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und sie hatten ihr hier, an diesem weihevollen Ort ihr Herz geöffnet.

      Mark von Borg war mit seiner kleinen Tochter Astrid öfter hier gewesen, verzweifelt, unglücklich, Trost suchend, nicht bei ihr. Er hatte sich wohl an Gott gewandt. Oder hatte er Zwiesprache mit seiner verstorbenen Frau gehalten?

      Was auch immer, um ein neues Lebensglück hatte er bestimmt nicht gebetet. Und dennoch war es ihm über den Weg gelaufen in Form der netten Delia Haßkamp, die nach dem Tod ihres Mannes mit ihrem kleinen Sohn Robin auf den Fahrenbach-Hof gekommen war, um in der friedvollen Atmosphäre wieder ins Leben zurückzufinden. Auch Delia hatte der Sinn nicht nach einem neuen Mann gestanden.

      Und dennoch hatte das Schicksal die Karten neu gemischt und Mark und Delia zueinander finden lassen, und nun waren sie ein glücklich verheiratetes Paar, und Astrid und Robin hatten nicht nur wieder Eltern, sondern einen Bruder beziehungsweise eine Schwester dazubekommen.

      Warum dachte sie eigentlich gerade jetzt daran? Weil es eine so schöne Geschichte mit Happy End war?

      Bei ihr würde es auch ein Happy End geben, aber mit einem anderen Mann.

      Jan …

      Bettina stand auf und zündete Kerzen an, eine für Linde, damit die aus ihrer Verwirrtheit fand. Christian würde sie niemals betrügen. Eine für Jörg und Doris, weil diese nach vielen Irrwegen miteinander wieder glücklich waren. Möge es so bleiben! Diesmal für immer. Eine Kerze war für Yvonne, damit die wieder das Lachen lernte und endlich begriff, dass man auch ohne Kind glücklich sein konnte, dass es Dinge im Leben gab, die man nicht erzwingen konnte. Eine Kerze bekamen Toni und Babette, damit sie aus ihrer Trauer um das verlorene, nicht geborene kleine Mädchen fanden, das nicht das Licht der Welt erblicken durfte, weil ein viel zu schnell fahrender Autofahrer die Gewalt über sein Fahrzeug verloren hatte. Eine Kerze zündete sie für alle an, wer immer sie auch sein mochte. Tom und sich vergaß sie nicht, und dann waren drei Kerzen für Jan.

      Ein wahres Kerzenmeer, dachte sie, als sie sich wieder auf ihre Bank setzte, deren Holz im Laufe der vielen, vielen Jahre altersdunkel geworden war.

      Bettina schloß die Augen.

      »Bitte, lieber Gott, mach, dass ich die richtigen Worte finde, wenn ich Jan sagen muss, dass es aus zwischen uns ist …, und bitte, lass ihn Verständnis haben und ihn unter unserer Trennung nicht zu sehr leiden …«

      Jemand war hereingekommen, aber Bettina interessierte das im Moment nicht, sie war in Gedanken bei Jan, dem sie in wenigen Stunden weh tun musste.

      Aber hatte er ihr nicht auch weh getan, wenn er, um seinen Bedürfnissen nachzugehen, immer wieder gegangen war?

      Geräusche vom Altar her ließen sie doch die Augen öffnen. Sie sah, wie eine Dorfbewohnerin die Blumen in den beiden Vasen durch neue Sträuße ersetzte.

      Die Blumen waren zwar noch gut gewesen, aber diese Rosen sahen traumschön aus und begannen schon, einen verführerischen, lieblichen Duft zu verbreiten.

      Die Frau packte die alten Sträuße in einen mitgebrachten Eimer, in dem vermutlich das Wasser für die neuen Blumen gewesen war. Dann nickte sie Bettina zu, um sie in ihrer Andacht nicht zu stören, und verließ die Kapelle.

      Bettina lauschte den sich entfernenden Schritten nach, bis sie verklungen waren. Doch mit ihrer Ruhe war es jetzt auch vorbei.

      Sie sprach noch ein kurzes Gebet, blickte auf die Rosensträuße, die wie gemalt aussahen. Und jetzt wußte Bettina auch, wer die Frau war. Sie wohnte in der Nähe der Mühle und züchtete in ihrem Garten alte, englische Rosen, teilweise ganz seltene Sorten.

      Wie nett von der Frau, einige ihrer Kostbarkeiten hergebracht zu haben.

      Aber so waren sie nun mal, die Fahrenbacher, zumindest die Alteingesessenen. Sie liebten »ihre« Kapelle und freuten sich, sie schmücken zu dürfen.

      Bettina stand auf, um endlich zu gehen, denn sonst würden Tom und Jörg noch vor ihr auf dem Hof sein. Und wenn sie dann erfuhren, wo sie gewesen war, würde zumindest Jörg sich eine Bemerkung nicht verkneifen können. Ihren Bruder amüsierte es nämlich, dass sie immer wieder in die Kapelle ging. Aber der hatte doch keine Ahnung! Wer weiß, vielleicht hatten ja auch ihre Gebete, die vielen Kerzen, die sie für ihn angezündet hatte, zu seiner wundersamen Rettung beigetragen?

      Den ganzen Tag über war der Himmel bedeckt gewesen, doch als Bettina nach draußen kam, war die Wolkendecke aufgebrochen und eine sattgoldene Sonne strahlte auf die Erde hinab und hüllte alles in ein sanftes Licht.

      Sollte sie das als ein gutes Zeichen werten?

      Es war ein schöner, verführerischer Gedanke, und sie wollte einfach daran glauben.

      Ehe sie wieder den Weg hinunterlief, zupfte sie von einem der mächtigen Hortensienbüsche ein paar welke Blätter ab und stopfte sie in den dafür vorgesehenen, in der Nähe stehenden Behälter.

      Sie grüßte eine ältere Dame, die zur Kapelle wollte, dann eilte sie zu ihrem Auto, begleitet von dem gleichmäßigen Gemurmel des Baches …

      *

      Obschon Thomas und Jörg versucht hatten, Bettina abzulenken, war es ihnen nicht gelungen. Sie hatte schlecht geschlafen, trotz des Beruhigungstees, den sie getrunken hatte, sogar versehen mit zwei Teebeuteln statt mit einem. Dieser unruhige Schlaf war begleitet gewesen von wirren Träumen, und so war sie beizeiten aufgestanden, hatte sich geduscht und angezogen.

      Normalerweise trug sie die schwarze Leinenhose und das schlicht geschnittene seidige Shirt gern, sie wusste auch, dass sie Jan darin gefiel. Aber an diesem Morgen kam sie sich wie eine spanische Witwe vor, außerdem fand sie sich viel zu blass, sie kam sich vor wie der Tod von Bagdad. Wenn man sie allerdings gefragt hätte, wie genau der Tod von Bagdad aussah, hätte sie keine Antwort geben können. Außerdem war sie überhaupt nicht blaß, das war nur ihre ureigenste subjektive Meinung, die sie von sich hatte. Sie war viel im Freien, und ihre Haut war leicht gebräunt und sie sah, auch an diesem Morgen, sehr gesund aus.

      Auf jeden Fall hatte Bettina schon morgens um fünf den ersten Kaffee getrunken und rannte in der Küche auf und ab, dabei wusste sie genau, dass Jan unmöglich so früh hier aufkreuzen würde.

      Zum Frühstück hatte er gesagt, und das fand niemals so zeitig statt.

      Tom und Jörg hatten auch am Morgen versucht sie aufzuheitern, aber sie hätten die allerbesten Comedians der Welt vor ihr auftreten lassen können, niemand hätte sie erheitert. Und so war sie froh, als die beiden endlich aufbrachen und sie wieder allein war.

      Sie überlegte kurz, zu Leni zu gehen, sich da ein paar Streicheleinheiten zu holen, aber wenn Jan inzwischen eintreffen würde? Nein, es wäre blöd, wenn er sie nicht vorfinden würde.

      Also trank Bettina den nächsten Kaffee. Der wievielte war es eigentlich? Die dritte oder vierte Tasse? Kein Wunder, dass sie innerlich flatterte und fürchtete, gleich zu hyperventilieren.

      Am liebsten hätte sie sich jetzt eine Plastiktüte genommen, um da hineinzuatmen, um sich wieder herunterzuholen. Aber sie wusste im voraus, dass das nichts bringen würde. So viele Plastiktüten gab es gar nicht, um sie zu beruhigen.

      Sie lief auf und ab und versuchte, sich Sätze zurechtzulegen, die sie ihm sagen wollte. Aber sie hatte nicht mal einen zu Ende gebracht, als sie ihn auch schon wieder verwarf.

      Außerdem – ging das überhaupt? Sie würde keinen Monolog halten und auch nicht gegen eine Wand sprechen, sondern zu einem Menschen. Und der hatte auch einen Mund, war der deutschen Sprache mächtig, als bekannter Journalist sogar noch besser als sie. Also war es Unfug, sich da etwas zurechtzuzimmern. Sie war keine Hellseherin und konnte seine Worte nicht voraussehen. Das wäre natürlich toll, wenn das ginge. Dann brauchte sie nur alles aufzuschreiben und konnte es vom Blatt ablesen.

      Wie würde Jan reagieren?

      Würde er gleich nach ihren ers­ten Worten wütend davonlaufen?

      Nein, wohl eher nicht. Jan war ein besonnener Mann, anhören würde er sie schon.

      Wie sollte sie anfangen?

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