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du, Bettina, was ich inzwischen begriffen habe, Papa war die Firma, mit ihm stand und fiel alles, und er hat alles zusammengehalten. Seit seinem Tod hat sich so vieles verändert. Frieder ist nicht in der Lage, das ihm hinterlassene Unternehmen zu führen, Grit ist wegen des vielen ererbten Geldes durchgeknallt, du …«, er machte eine kleine Pause, »du bist anders, du machst es, glaube ich, alles richtig. Aber das liegt vermutlich daran, dass du wie Papa bist, dass du seinen Charakter geerbt hast und er dir auch dieses Gefühl für Tradition vermittelt hat, aber auch dieses Pflichtbewusstsein … oder drückt dich die Last deines Erbes auch?«

      Darüber musste Bettina nicht eine Sekunde lang nachdenken.

      »Nein«, antwortete sie, wie aus der Pistole geschossen, »ich bin glücklich und möchte kein anderes Leben führen.«

      »Dann bist du zu beneiden«, erwiderte er. »Ich weiß noch nicht wirklich, was ich will, aber was ich nicht mehr will, das weiß ich genau.«

      Bettina wollte jetzt nicht näher darauf eingehen. Es gab noch so vieles, was sie ihm erzählen musste, auch das zweite Testament ihres Vaters kannte er nicht, sie hatte den an ihn gerichteten Brief noch nicht vom Notar abgerufen, wo er noch immer in sicherer Verwahrung war. Jörg wusste nichts von der wunderbaren Hermann-Fahrenbach-Stiftung, die schon so viele Jahre existierte, und von der sie allesamt keine Ahnung gehabt hatten.

      Nichts lief davon, nichts brannte an. Wenn Jörg sich erst einmal in seinem ›normalen‹ Leben wieder eingelebt haben würde, war noch hinreichend Zeit über alles das zu sprechen.

      Eines aber interessierte sie schon.

      »Doris …«

      Sie brach ab, weil ihr auf einmal bewusst wurde, dass sie mit ihm jetzt nicht über seine geschiedene Frau sprechen konnte, die ihre Gefühle für ihn wiederentdeckt hatte und die mit ihm auch telefonierte.

      Aber Jörg schien damit kein Problem zu haben.

      »Ach, die Doris«, sagte er, »sie hat mich anfangs ein bisschen genervt, weil sie mich ständig angerufen hat. Aber zum Glück hat das ein wenig nachgelassen.«

      Bettina wollte ihm jetzt nicht sagen, dass sie ihrer Schwägerin geraten hatte, sich etwas zurückzuhalten.

      »Du weisst ja, dass sie dich noch immer liebt, oder richtiger gesagt, wieder liebt.«

      Er nickte.

      »Sie ist mir auch nicht gleichgültig. Doris ist eine patente Frau, zwischen uns hätte alles anders laufen können … Frankreich war nicht gut für uns.«

      Bettina wagte einen leisen Vorstoß.

      »Wenn du das Chateau doch verkaufen willst …«

      Er winkte ab.

      »Bettina, das hat nichts damit zu tun. Ich mag Doris, wie gesagt, sehr. Ehe ich nach Neuseeland geflogen bin, war ich sogar, obwohl wir da bereits geschieden waren, so richtig fummelig auf sie. Zum Glück hat sie das Ticket nicht eingelöst und ist nicht gekommen … wir haben uns voneinander entfernt, aufgewärmte Beziehungen sind niemals gut, ihnen wird in der Regel auch keine große Haltbarkeit nachgesagt … Freundschaft, ja, die kann ich mir mit Doris gut vorstellen, aber mehr …«, er zuckte die Achseln, »man soll nie nie sagen. Im Moment ist es allerdings unvorstellbar für mich.«

      »Dann bist du nicht anderweitig verliebt?«

      Irritiert schaute er sie an.

      »Verliebt?«, wiederholte er gedehnt, ehe er in schallendes Gelächter ausbrach, »Schwesterlein, hast du vergessen, wo ich mich aufgehalten habe? Ich war bei, das meine ich jetzt wirklich nicht abwertend, aber es stimmt, …Wilden … die hatten vorher noch niemals einen Weißen gesehen.«

      »Aber du wurdest nicht allein gerettet, ich meine …«

      Sie brach ihren Satz ab, und er schwieg eine ganze Weile, ganz so, als müsse er über ihre Worte nachdenken.

      »Du meinst Miriam«, sagte er schließlich. »Sie ist ein ganz wunderbarer Mensch, aber wir hatten, weiß Gott, anderes zu tun als Gefühle füreinander zu entwickeln. Wir waren nicht auf einem Strandurlaub. Nicht nur, dass wir ständig auf der Hut sein mussten, weil wir nicht wussten, wie diese Menschen sich verhalten würden, ganz besonders Miriam gegenüber, hatten wir das traumatische Erlebnis des Flugzeugabsturzes zu verarbeiten.«

      »Entschuldige bitte, Jörg, ich wollte wirklich nicht indiskret sein.«

      Ihre Neugier war Bettina richtig peinlich.

      »Du musst dich nicht entschuldigen«, wehrte er sofort ab. »Ein solcher Gedanke ist nur ein wenig grotesk angesichts dessen, was ich hinter mir und unter welchen Umständen ich in dem Dorf gelebt habe. Ich werde es dir irgendwann erzählen. Mit Miriam und mir … ich weiß nicht, was es ist. Aber solche Erlebnisse schmieden auf jeden Fall zusammen. Es gibt viele Richtungen, in die sich etwas entwickeln kann, es kann aber auch sein, dass sich unsere Wege nach einem letztmaligen Treffen, wenn wir beide wieder gesund sind, auf immer trennen, weil wir an das Erlebte nicht mehr erinnert werden wollen. Weißt du, Bettina, auch da ist bei mir etwas anders geworden, hat sich etwas verändert, ich mache keine Pläne mehr für die Zukunft. Nur das Heute zählt, sonst überhaupt nichts.«

      Das stimmte, in gewisser Weise musste sie ihm recht geben, aber dennoch wollte sie es nicht aufgeben, das Träumen von einer Zukunft, von dem, was einmal werden würde.

      Sie merkte, dass ihr Besuch Jörg angestrengt hatte.

      »Ich gehe jetzt«, sagte sie und stand auf, »und komme morgen noch mal wieder, ich habe mir hier ganz in der Nähe ein Hotelzimmer genommen.«

      Ihm war anzusehen, wie sehr es ihn freute, er sagte schnell: »Das ist phantastisch, Schwesterlein. Aber sag, warum erst morgen? Ich ruhe mich ein wenig aus … es wäre ganz wundervoll, wenn du gleich nochmals wiederkämst. Hier in diesem Krankenhaus besteht die Möglichkeit, dass Gäste auch ein Essen bestellen können.«

      »Und ist das Essen gut?«, wollte sie wissen.

      Jörg verzog das Gesicht.

      »Krankenhausessen halt aus einer Großküche, also, eine Offenbarung ist es wirklich nicht.«

      »Dann hab ich eine bessere Idee, du verzichtest, und ich hole in einem Restaurant etwas für uns. Worauf hast du Lust?«

      Jörg freute sich wie ein Kind. Es fehlte nur noch, dass er vor lauter Begeisterung in die Hände klatschte.

      »Phantastisch, wenn du mich so fragst, ich habe Ewigkeiten kein chinesisches Essen mehr gehabt. Mir läuft das Wasser im Munde zusammen, wenn ich an gebackenes Hühnchen in Erdnuss-Sauce denke.«

      Bettina war ganz gerührt. Das war schon immer sein Lieblingsessen gewesen, wenn sie in einem chinesischen Restaurant gewesen waren.

      »Bring ich dir mit, lieber Bruder. Dann ruh dich aus, nach achtzehn Uhr werde ich, beladen mit dem Essen, wieder hier sein.«

      »Und kannst du mir vielleicht auch noch eine Wan Tan-Suppe mitbringen?«

      Bettina lachte.

      »Hätte ich ohnehin getan. Die gehörte für dich doch auch immer mit dazu. Jetzt bestell bloß keine Orangenlimo dazu.«

      »Nein, das nicht. Aus dem Alter bin ich raus.«

      Sie verabschiedeten sich voneinander. Jörg war so glücklich, dass es nicht nur ein kurzer Besuch seiner Schwester gewesen war, und Bettina beglückwünschte sich insgeheim, dass sie eine Übernachtung eingeplant hatte.

      Jetzt galt es nur noch, ein gutes chinesisches Restaurant zu finden. Doch da machte sie sich keine Sorgen. Wie es früher die jugoslawischen Restaurants gewesen waren, die man an allen Ecken gefunden hatte, waren es jetzt die Chinarestaurants oder Chinaimbisse.

      Als Bettina sich in ihr Auto setzte, um zunächst einmal zum Hotel zu fahren, dachte sie an das, was Jörg gesagt hatte und was sie nicht wahrhaben wollte, womit sie sich aber doch abfinden musste.

      Er wollte Chateau Dorleac verkaufen …

      Besitz belastet,

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