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steckte. Nachdem er die erste Schlaufe abgestreift hatte, zerfiel der ganze Knoten wie ein aufdröselnder Kokon. Er befreite seine Beine, seine Arme und seinen Schwanz, fühlte wieder Blut durch seine Gliedmaßen und Luft durch sein Fell strömen.

      Der Summton war jetzt ohrenbetäubend. Steif lief Sebastian zu dem Gebäude, auf dem sich der Mensch verschanzte. Ein Objekt streifte über den Himmel. Das öffentliche Bauwerk explodierte in einem Ball aus Feuer und Rauch. Die umliegenden Fenster platzten mit dem Klang von Millionen disharmonischen Glöckchen. Die Erschütterung der Detonation ließ den Gehweg mitsamt Sebastian aufspringen. Glassplitter prasselten ringsum auf den Asphalt, klimperten wie winzige Diamanten.

      Schreie hallten durch die Straße. Inmitten der Trümmer rief Culdesac seine Leute herbei, um zu sehen, wer noch lebte. Das Feuer warf Licht auf den Ascheregen.

      Sebastian hörte Schritte. Nicht gepolsterte Katzenfüße, sondern menschliche Stiefel. Als er den Kopf hob, sah er einen Mann über die Kreuzung rennen. Er stand auf und sprintete ihm nach. Der Mann hielt ein Walkie-Talkie ans Ohr und brüllte panisch Codewörter hinein. Er hörte nicht, dass er verfolgt wurde, bis es zu spät war. Sebastian rempelte ihn an und schleuderte ihn zu Boden, sodass sein Körper über den Beton rutschte. Dann packte der Kater sein fettiges Haar.

      »Wer bist du?«, wollte er wissen.

      »Herr.«

      »Was?«

      »Herr, vergib diesen unseligen Kreaturen«, schluchzte er. »Sie wissen nicht, was sie tun.«

      Sebastian konnte nicht genug vom Geruch des Menschen kriegen. Er ähnelte so sehr Daniels. Obwohl dieser Mann sein Feind war, fähig, tödliches Feuer vom Himmel zu rufen, wollte er nichts mehr, als sich im Duft der Vergangenheit verlieren, dem der Deodorants, des Schweißes, der Mundgerüche, des Kaffees und der Zigaretten. Etwas in ihm würde auf ewig zerbrochen sein, sich immer nach den toten Freunden, launenhaften Herren und dem Schein des Sklavenlebens sehnen.

      Bevor Sebastian etwas sagen konnte, traf die Red Sphinx ein. Sie bildeten einen Kreis um den Menschen.

      »Gute Arbeit, Namenloser«, meinte Culdesac irgendwo in der Menge. »Ich denke, du bist geheilt.«

      »Er ist sauber«, sagte eine andere Stimme.

      »Lass uns ab jetzt übernehmen. Du bist hungrig, nicht wahr?«

      Sebastian wollte dem Mann Fragen darüber stellen, was es dort draußen gab, warum das hier geschehen war und ob er möglicherweise umherwandernde Hunde gesehen hatte. Doch der Kerl rezitierte weiter seine Beschwörungen. Er befand sich in einer Art Trance und sprach zu Leuten, die nicht da waren.

      Als Sebastian aufstand, blieben die Gewehre ausgerichtet. Er war so müde, hungrig und schmerzdurchzogen, dass es ihm unbedeutend erschien, ob sie ihn erschossen.

      »Kannst du mich hören, Mensch?«, fragte Culdesac.

      Der Mann faselte weiter, tat, als könnte er keinen von ihnen sehen.

      »Du hast gerade dein eigenes Barbecue angezündet«, sagte er und deutete auf das schwelende Gebäude.

      »Dieses Tier könnte noch symptomatisch sein, Captain«, meinte Luna. »Wir könnten ihn noch einschläfern. Ich empfehle, dass wir …«

      »Luna«, unterbrach Culdesac sie.

      »Ja, Sir?«

      »Du bist des Kommandos enthoben und nicht länger meine Nummer eins.«

      Ihr Gewehr sank ein wenig. »Jawohl, Sir.«

      »Nimm drei Soldaten. Bereite unser Festmahl vor.«

      »Ja, Sir.«

      Luna und zwei andere Katzen schleppten den Mann weg. Dunst drang aus ihren Nasenlöchern.

      »Namenloser«, sagte Culdesac. Sebastian blickte ihn an. Dem Luchs schien seine herausfordernde Körpersprache zu gefallen. »Wir reden jetzt. Du und ich.«

      Culdesac und Sebastian spazierten entlang der Uferpromenade. Das Wasser reflektierte den Mond, sendete Lichtstrahlen in den Himmel und verwandelte das Gesicht des Luchses in einen silbernen Halloween-Kürbis.

      Der Duft gebratenen Fleisches umwehte sie, der gelegentlich von der Brise am Fluss unterbrochen wurde. Würzig, stark und köstlich verweilte er in Sebastians Mund und Nase.

      »Du musst es mir nachsehen«, sagte Culdesac. »In meiner Kindheit habe ich Ratten und Larven gegessen. Roh. Und nun versorgt uns die Kolonie mit Proteinrationen von ihren Bio-Farmen. Sie erfüllen ihren Zweck, sind aber fade. Gegartes Menschenfleisch ist eine Delikatesse für mich geworden.«

      Sebastian nickte, um zu zeigen, dass er verstand. Er wusste immer noch nicht, ob er an der Mahlzeit teilnehmen würde, egal wie hungrig er war.

      »Du bist eine Hauskatze. Ein Haussklave. Weggesperrt von all dem. Du musst dich fragen: Warum die ganze Zerstörung?«

      »Stimmt.«

      »Weil die Menschen gefährlich sind. Und ich meine nicht nur ihre Technologie oder ihre Seuche. Es ist ihre Philosophie. Sie ist vergiftet.«

      Sebastian nickte.

      »Du musst es bemerkt haben.«

      Ein Betongeländer trennte sie vom Fluss. Leichter Wind kräuselte das Wasser.

      »Schätze ja.«

      »Diese Menschen. Sie haben sich im Zentrum des Universums eingeordnet. Du und ich, wir könnten beide eine Partnerin mit einem Wurf Kitten haben und über die Hügel streifen, wie es die Natur vorgesehen hat. Den Menschen wäre es ein Ärgernis gewesen, das es auszumerzen gälte. Die Königin hat das behoben. Wir verdanken ihr alles.«

      »Warum hat sie das für uns getan?«, wollte er wissen.

      »Wir sind ihr Experiment«, sagte Culdesac und spreizte die Arme, um das Ausmaß zu verdeutlichen. »Alles, was sie tut, geschieht in ihrem Streben nach Wissen, nach Wahrheit. Sie entschied, uns zu erheben, sodass wir die Menschen ersetzen können. Sie führt uns, während sie uns unsere eigenen Schicksale wählen lässt.«

      »Wie werden wir uns von den Menschen unterscheiden?«

      »Nun«, begann er die Seite seines Halses kratzend, »in vielerlei Hinsicht werden wir gleich sein. Wir können nicht genauso leben wie bisher, indem wir einander wegen Nahrung und Land töten. Unsere angestrebte Gesellschaft wird der der Menschen sehr ähneln. Wir werden Häuser und Jobs haben, Familien großziehen, sogar fernsehen, sobald der Strom wieder eingeschaltet ist. Aber einen Unterschied wird es geben.«

      Culdesac machte eine Pause. Sebastian spürte die aufbauende Spannung.

      »Wir werden nicht denken, dass diese Welt uns allein gehört.«

      »Das glauben sie wirklich?«

      »Schlimmer noch. Viele von ihnen denken, es gebe einen Menschen im Himmel, einen alten Mann mit Bart. Er habe die Erde als Garten für sie geschaffen und uns als ihre Sklaven. Du musst die Gesänge deiner Herren zu diesem alten Mann bemerkt haben, die ihn um Gefälligkeiten und Kinkerlitzchen baten.«

      Sebastian erzählte Culdesac von Janets Flüstern zu jemandem, der nicht da war.

      »Sie glauben, dass eine andere Welt auf sie wartet, wenn sie sterben. Natürlich denken nicht alle von ihnen so. Und unter denen, die es tun, gibt es viele, die es nicht ernst nehmen. Doch der Glaube hat sie verdorben. Ich habe das Übel aus der Nähe beobachtet, habe gesehen, wozu ein Mensch imstande ist, der in die Ecke gedrängt wird und seinen Gott um Erlösung bittet. Es gibt nichts Gefährlicheres, nichts Grausameres, nichts Animalischeres.«

      Culdesac ließ die Worte sacken. Aus der Ferne drang dumpfes Gelächter der Red Sphinx, während sich die menschliche Leiche an einem Spieß über dem Feuer drehte.

      »Darum kämpfen wir«, flüsterte er. »Um ein Land zurückzuerobern, das vom Bösen befallen wurde. Vom Bösen des Menschen, der glaubt, über uns zu herrschen, von jenen, die keine Vernunft besitzen und die verrückt genug sind, eine gefährliche

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