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und kehrte zum Gebäude zurück.

      »Halt durch, Hauskatze.«

      Mitten in der Nacht, nach tagelangem Wackeln mit dem Schwanz, stand er kurz davor, ihn aus der Schlinge zu befreien. Gerade rechtzeitig. Denn in derselben Nacht sah er einen Menschen.

      Es begann mit einem rauschenden Laut über ihm, als wäre dort oben ein riesiger Vogel. Etwas glitt an den Sternen vorbei, ein gigantisches Dreieck aus einem durchscheinenden Stoff. Ein Objekt baumelte an der Unterseite. Als es auf einem Gebäude zwei Blocks weiter landete, erkannte Sebastian, dass dieses Dreieck eine Art motorloses Fluggerät war, gesteuert von einem einzelnen Mann. Dieser verstaute den Gleiter hinter einer Satellitenschüssel, suchte das Gebiet mit einem Fernglas ab und flüsterte in ein Kommunikationsgerät. Danach verschwand er.

      Für ein paar Stunden erlaubte es sich, Sebastian zu glauben, dass diese neue Entwicklung sein Sitzen hier irgendwie beenden würde. Doch dann dachte er daran, was Tiberius gesagt hatte. Die Tiere waren im Krieg mit den Menschen, die ihnen eine Art Virus verpasst hatten. Sebastian könnte infiziert sein, ohne es zu wissen.

      Sheba könnte infiziert sein.

      Da war er wieder, dieser Gedanke, der in sein Hirn sprang, wann immer er wollte. Wie ein Parasit, wie der Virus, den Tiberius fürchtete.

      Sebastian versuchte seinen Schwanz aus der Fessel zu winden. Die Gelenke knackten. Schließlich gab der Knoten nach. Er stellte sich vor, Sheba zu sein, als er das erste Mal seit Tagen seinen Schwanz frei hin- und herbewegte. Den Erinnerungen an seine alte Freundin konnte er nicht entkommen. Was auch passierte, sie begleitete ihn.

      Culdesac kam kurz nach Sonnenaufgang. Zu dem Zeitpunkt war Sebastian bis ans obere Ende des Mastes gerutscht. Seine Füße schwebten neun Meter über der Straße. Doch er kam nicht weiter. Kabel überspannten die Spitze und hinderten ihn daran, die Schnur abzustreifen. Er kämpfte weiter damit, versuchte die Fesseln zu lockern, aber es hatte keinen Zweck. Sie umwickelten seine Handgelenke und Knöchel zweifach. Obwohl er unter Schmerzen hinaufgeklettert war, kam er nicht los. Er grub seine hinteren Krallen in das Holz, um sich zu halten.

      Culdesac traf sich mit der Kätzin und einigen Untergebenen am Fuß des Mastes. Während die anderen ihr salutierten, salutierte sie ihm. Culdesac war nicht bloß verwildert, sondern ein Luchs und darum viel größer als der Rest. Er hatte glänzend sandbraunes Fell mit schwarzen Flecken, was eine passende Tarnung für die Wildnis war, aus der er stammte. Seine kohlefarbenen Ohren erinnerten an Hörner. Er trug die Armbinde und einen Gürtel, beschwert mit einer Pistole und mehreren Geräten, die Sebastian nicht kannte.

      »Was tust du da oben?«, fragte Culdesac.

      »Frag deine Freunde.«

      »Wir halten dich zu deinem eigenen Schutz fest. Und zu unserem.«

      »Er zeigt die Symptome«, flüsterte die Kätzin zu ihm, wahrscheinlich in dem Wissen, dass Sebastian sie noch hören konnte.

      »Er sieht aber nicht danach aus.«

      »Delirium. Seltsames Gerede.«

      »Na ja, ihr habt ihn zwei Tage lang festgebunden.«

      »Fragen Sie ihn nach Sheba«, schlug sie vor. »Er schrie ihren Namen, als wir ihn fanden.«

      Der Luchs trat näher an den Mast, bis er senkrecht hinaufschaute. »Mein Freund. Ich heiße Culdesac. Und das ist meine Nummer eins, Luna.«

      Sie nickte.

      »Frag nicht nach meinem Namen«, sagte Sebastian. »Ich habe ihn ihnen nicht genannt und werde ihn dir auch nicht nennen.«

      »Na schön. Aber wie wäre es, wenn du mir erzählst, wer Sheba ist?«

      Dieser Luchs zeigte eine Leichtigkeit, die Sebastian beunruhigte. Culdesac redete in der Art eines Menschen, ähnlich wie der Sprecher der wiederholenden Notfallübertragung. Dagegen kämpfte Sebastian mit der richtigen Verwendung seines wachsenden Vokabulars. Es war ein gewaltiger Nachteil, als wäre er ein zweites Mal gefesselt worden.

      »Ich habe es bereits deinen Freunden erklärt«, sagte er. »Ich habe nach ihr gesucht.«

      »In dieser Stadt gibt es schon seit Wochen keine Lebewesen mehr.«

      »Ich sah eins letzte Nacht.«

      »Was heißt das?«

      »Ich sah einen Menschen.«

      Ein erstauntes Schweigen legte sich über die Gruppe. Die Katzen sahen einander an. Es vermittelte ihm das Gefühl, als hätte er irgendwie Macht, obwohl er ein Gefangener war.

      »Das ist unmöglich«, meinte eine.

      »Wo hast du den Menschen gesehen?«, fragte Culdesac.

      »Er flog in einer Art … Dreieck.«

      »Ich hab's Ihnen gesagt«, lachte Luna. »Wir müssen dieses Tier einschläfern, bevor es das Virus verbreitet.«

      Es war ein Satz, den Sebastian in irgendeinem Buch gelesen hatte. Ihn einschläfern. Luna hatte das von einem Menschen übernommen.

      Sie wirkte selbstzufrieden, bis sie merkte, dass Culdesac sie anstarrte. »‘Dieses Tier' ist eines von uns.« Er wandte sich Sebastian zu. »Hier sind keine Menschen mehr. Die Ameisen haben sie fortgejagt. Wir waren dabei, uns mit dem Rest der Armee auf der anderen Seite des Flusses zu treffen. Dann fanden wir dich.«

      »Ich halte euch nicht auf«, entgegnete er.

      Culdesac und Luna tauschten Blicke aus.

      »Wartet«, sagte eine Stimme. Sie kam von Tiberius, der sich an den anderen vorbeidrängte, um zu seinem Anführer zu gelangen. »Ich weiß, was ihr denkt. Wir können ihn nicht hierlassen.«

      »Da liegst du richtig«, meinte Luna. »Deshalb werden wir ihn einschläfern. Das ist der einzig sichere Weg.«

      »Sir«, sprach er zu Culdesac. »Wir können beides nicht tun.«

      »Ja, hört auf Tiberius«, sagte Sebastian.

      Dieser zuckte zusammen. Die anderen brachen in Gelächter aus.

      »Was hast du gesagt?«, fragte Culdesac.

      »Ich sagte, hört auf ihn.«

      »Nein, wie hast du ihn genannt?«

      »Tiberius?«

      Sie lachten wieder.

      »Nenn ihnen deinen richtigen Namen«, befahl der Luchs.

      Beschämt fasste sich der Kater an den Arm. »Socks«, murmelte er, was noch mehr Hohn und Pfiffe provozierte.

      »Weißt du«, sagte Culdesac zu Sebastian, »man muss sich seinen neuen Namen verdienen, um ein Teil der Red Sphinx zu sein.«

      »Was ist eine Red Sphinx?«

      »Wir sind die Red Sphinx.« Er zeigte auf seine Armbinde. »Wir Streuner nutzen unsere Fertigkeiten, um für die Königin zu kämpfen. Wir lieben es, Menschen zu töten.«

      Es gab Gekicher und zustimmendes Nicken.

      »Aber Socks hier glaubt, er verdiene es nicht mehr, mit seinem Sklavennamen angesprochen zu werden.«

      »Mich kümmert deine Red Sphinx nicht«, entgegnete Sebastian. »Hört mir keiner von euch zu? Ich sagte, da draußen waren Menschen.«

      »Ich glaube ihm«, äußerte Tiberius.

      »Halt die Klappe«, blaffte Luna. Dann wandte sie sich an Culdesac. »Sir, wir müssen eine Entscheidung fällen. Wir sind sowieso schon spät dran, um uns mit dem Rest zu treffen und …«

      »Wir bleiben hier«, unterbrach er sie. Bevor sie etwas erwidern konnte, fügte er hinzu: »Die Befehle haben sich geändert. Wir sollen ungewöhnliche Aktivitäten melden.«

      »Aber hier ist nichts.«

      Culdesac antwortete, indem er zu Sebastian raufschaute.

      »Er?«,

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