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zu sit­zen und in sein Ta­schen­buch zu schrei­ben. Auch heu­te saß er dort – in sich zu­sam­men­ge­sun­ken und mit ei­nem Arm über der Sei­ten­leh­ne hän­gend, die ihn am Nie­der­glei­ten hin­der­te. Die alte Fa­mi­li­en­pis­to­le lag ne­ben ihm am Bo­den. Sie hat­te gute Ar­beit ge­macht: Stel­lung und Ge­sichts­aus­druck des To­ten zeig­ten, dass das Ende leicht und rasch ge­we­sen war.

      Trotz der frü­hen Stun­de wa­ren wir nicht die Ers­ten, die ihn fan­den. Eine Wa­che war schon bei ihm auf­ge­stellt, um zu ver­hin­dern, dass je­mand ihn be­rüh­re, ehe das Ge­richt zur Stel­le sei, und eine An­zahl Men­schen stand gaf­fend in der Nähe.

      Die Wa­che woll­te uns das Heran­tre­ten ver­weh­ren, aber mit ei­nem Sprung war Kuno bei dem To­ten und rief au­ßer sich:

      Gu­stav! Gu­stav! Was hast du ge­tan! Ich kann dir nicht mehr hel­fen, ich kam zu spät, um zu ret­ten. Du hast dein Ge­wand weg­ge­wor­fen, be­vor drü­ben das neue für dich ge­webt war. Was soll nun aus dir wer­den?

      Verzwei­felt sah er sich nach al­len Sei­ten wie nach ei­nem un­sicht­ba­ren Ret­ter um:

      Ihr gu­ten Geis­ter, die ihr zum Schutz für die Un­glück­li­chen da seid, lasst ihn nicht nackt und frie­rend um­her­ir­ren. Deckt ihn mit eu­ren Fit­ti­chen, hal­tet ihn an eu­rem Brust­flaum warm, bis er wie­der hat, wor­ein er sich hül­le.

      Acht­los auf die Um­her­ste­hen­den, sprach er bald auf den Ent­seel­ten ein, als ob die­ser ihn noch ver­ste­hen kön­ne, bald zu den Über­ir­di­schen, de­ren Bei­stand er ihn emp­fahl.

      Die Gaf­fer, so­weit sie die deut­sche Spra­che ver­stan­den, wur­den von Scheu und Schau­der er­fasst und be­kann­ten spä­ter, dass sie sich ge­fürch­tet hät­ten.

      Die gan­zen Tage, die der Tote noch über der Erde ver­brach­te, war Kuno wie von Sin­nen. Er klag­te sich aufs bit­ters­te an, dass er zu lang­sam ge­we­sen sei, die See­le, der er sich zu­ge­schwo­ren hat­te, vor ih­rem schwers­ten Miss­griff zu be­wah­ren. Die Not des Freun­des, die für uns an­de­re be­schlos­sen war, für ihn be­gann sie mit sei­nem Ende.

      Be­vor der Sarg zu­ge­na­gelt wur­de, knie­te er noch ein­mal bei dem To­ten nie­der und blick­te lan­ge in das ent­seel­te An­ge­sicht, das einen Aus­druck leid­vol­ler Er­ha­ben­heit trug. Dann beug­te er sich zu sei­nem Ohr her­ab, und man hör­te ihn dumpf und ein­dring­lich sa­gen:

      Wie­der­keh­ren! Bes­ser ma­chen!

      Die Blu­men auf Sel­mas Hü­gel wa­ren noch nicht ver­welkt, als wir den un­glei­chen Schick­sals­ge­fähr­ten ne­ben ihr zur Ruhe brach­ten. Nur we­ni­ge schlech­te Freun­des­krän­ze schmück­ten den Dich­ter­sarg. Zu­letzt kam ein Kna­be und leg­te einen vol­len schwe­ren Lor­beer­kranz nie­der, des­sen wei­ße Schlei­fe die über­ra­schen­de Auf­schrift zeig­te: Von Olaf Han­sen. Kuno sah mich durch­drin­gend an, aber das Rät­sel lös­te sich auf na­tür­li­che Wei­se. An­ge­la hat­te das Gold­stück, das ich noch im­mer mit ei­nem von Olafs Hand be­schrie­be­nen Blätt­chen bei mir trug, aus mei­ner Brief­ta­sche ge­nom­men und es ge­mäß dem Wunsch des Längst­ver­bli­che­nen in die erns­te Hul­di­gung für den Größ­ten un­se­res Ju­gend­krei­ses ver­wan­delt.

      Be­vor wir ab­reis­ten, schüt­te­te ich die ver­kohl­ten Pa­pi­er­res­te, die wir in Gu­stavs Ka­min zu­sam­men­kehr­ten, in den See, da­mit nicht die Asche sei­ner Kin­der im Stra­ßen­keh­richt ende. Die Ur­schrift des »Be­frei­ers« ist, so­viel Kuno Schüt­te da­nach fahn­de­te, nie­mals wie­der zum Vor­schein ge­kom­men.

      Als ich nach Jah­ren al­lein und von dem En­gel mei­nes Le­bens durch das Grab ge­schie­den, zum ers­ten Mal die Stel­le wie­der be­trat, da fand ich sie durch den ein­fa­chen lie­gen­den Stein be­zeich­net, den un­ter­des­sen dich­tes Efeu­ge­schling um­wu­chert hat.

      Kein Name stand dar­auf. Nur die selt­sam er­grei­fen­de In­schrift:

       Las­set die To­ten ruh’n!

       Ver­ge­bung sei ihr schüt­zen­des Bahr­tuch,

       Und drü­ber schwei­ge die große Stil­le.

      Wer den Stein ge­setzt und den Spruch ver­fasst hat, konn­te ich nicht er­fah­ren.

Die Nacht im Teppichsaal

       Der

       Her­rin und Ge­stal­te­rin

       des

       Wun­der­schlos­ses Bel­los­guar­do

       im Ge­den­ken

       an die ge­mein­sa­men Fahr­ten

       durch

       ita­li­sche Lan­de!

      Er war über den Con­su­ma­pass ge­kom­men um das Ca­sen­ti­no nach al­len Rich­tun­gen zu Fuße zu durch­strei­fen. Früh­som­mer lag über der Berg­welt und ver­jüng­te ihre her­ben Züge durch das zwi­schen dem dunklen Ei­chen- und Kas­ta­ni­en­grün vor­drin­gen­de neue Bir­ken- und Bu­chen­laub; an den Ab­hän­gen leuch­te­te der gold­gel­be Gins­ter; die Son­ne hat­te schon be­trächt­li­che Kraft. Den Wan­de­rer stör­te sie nicht, sein seh­ni­ger Kör­per kann­te kei­ne Er­schlaf­fung. Er hielt in den Wäl­dern Mit­tags­rast, und wenn er ir­gend­wo an ver­schwie­ge­ner Stel­le un­ter der Brau­se ei­nes Wild­bachs ge­ba­det hat­te, fühl­te er sei­ne Glie­der kraft­voll und ge­schmei­dig wie den bieg­sams­ten Stahl.

      Er war kein Wan­de­rer, wie sie alle Tage des We­ges ge­hen, um den Kopf zu lüf­ten und die Füße zu ver­tre­ten oder auch des blo­ßen An­kom­mens we­gen, er war viel­mehr ei­ner, der im­mer in Wan­der­schu­hen ging, dem das Wan­dern Zweck und Sinn des Da­seins, ein wäh­ren­der Tem­pel­dienst im Hei­lig­tum des Ge­schaf­fe­nen war. Nicht mehr jung und noch nicht alt, auf dem Schei­tel­punk­te des Le­bens, wo die Waa­ge für eine Wei­le still­zu­ste­hen scheint, ging er sei­nes We­ges, be­sitz­los und wunsch­los, als ein Lie­ben­der der Na­tur und ein Ge­hör für ihr heim­li­ches We­ben. Da­rum ver­irr­te er sich nie, noch frag­te er nach der Rich­tung, er hat­te die Land­schaft in sich und ging über­all wie im ei­ge­nen. Alle Vo­gel­stim­men kann­te er, und aus dem nächt­li­chen Ster­nen­schein las er die Stun­den ab wie von ei­nem Zif­fer­blatt. Er lieb­te es mit dem Lauf der Flüs­se zu ge­hen, und am nächs­ten fühl­te er sich dem Gött­li­chen, wenn er sie an ih­rem Ur­sprung auf­su­chen konn­te. Da­rum hat­te er un­ter­wegs die rau­en Fel­sen­pfa­de der Fal­te­ro­na nicht ge­scheut, um dem hoch­ge­bo­re­nen Arno als Kind­lein an der Wie­ge zu hul­di­gen und hat­te dann, auf das öst­li­che Ge­biet hin­über­wech­selnd, un­ter den Bu­chen des Mon­te Fu­ma­juo­lo den dort viel­fach ent­spru­deln­den Ti­ber­quel­len das glei­che ge­tan.

      Aber er war nicht nur ein Au­gen­mensch, dem bloß das Sicht­ba­re ge­hört, er war auch ein Be­schwö­rer, dem die Geis­ter Rede stan­den. Sch­lös­ser und Bur­gen frag­te er ab, was sie im Lauf der Jahr­hun­der­te ge­se­hen hat­ten; und über wel­che Stät­te er schritt, da ge­sell­te sich ihm der Ge­ni­us loci und mach­te ihn sei­ner Erin­ne­run­gen teil­haft. – Es gebe nichts Ver­gan­ge­nes, pfleg­te er zu sa­gen, was man so nen­ne, das sei nur in eine tiefe­re Schicht hin­ab­ge­stie­gen, aber auf den rech­ten An­ruf kom­me es ger­ne wie­der her­vor.

      De­nen, die ihn auf sei­nem Wege ken­nen­lern­ten, war er ein wan­dern­des Ge­heim­nis, das, ehe man

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