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er­war­ten? Fühl­te er nicht mit sei­nem fei­nen Kun­st­emp­fin­den schon al­les, was ich ihm sa­gen konn­te, heim­lich selbst?

      Die Nach­rich­ten aus La Tour flos­sen spär­lich, und durch alle klang ein un­aus­ge­spro­che­nes Schre­ckens­wort. Nur zu An­fang muss­te in den schmeich­le­ri­schen Son­nen­lüf­ten eine kur­ze Bes­se­rung ein­ge­tre­ten sein, die nicht von Be­stand war. Die Kran­ke sehn­te sich nach An­ge­la. Die Ärms­te be­saß we­der Mut­ter noch Schwes­ter, und von den Kunst­ge­nos­sin­nen an der Büh­ne hat­te sie sich im­mer fern­ge­hal­ten, um in kei­ne Hän­del hin­ein­ge­zo­gen zu wer­den. Was eine Frau der an­dern sein kann, das hat­te sie erst jetzt er­fah­ren.

      Sei, was du hei­ßest, schrieb sie an An­ge­la, und komm zu dei­nem ver­lo­re­nen Schwes­ter­lein.

      Zu­wei­len un­ter­schrieb sie sich Per­di­ta, ein Name, mit dem sie ir­gend­ei­ne nicht aus­ge­spro­che­ne Be­deu­tung ver­knüpf­te.

      In La Tour de Peilz hol­te Ruh­land uns an dem klei­nen Bahn­hof ab. Auf die ban­ge Fra­ge nach Frau Sel­mas Be­fin­den hob er die Schul­tern hoch und schwieg be­deut­sam. Man konn­te se­hen, wie es ihn in der Keh­le würg­te. Sie war ihm ja, wie ich von ihr sel­ber wuss­te, ein­mal sehr teu­er ge­we­sen.

      Dann sag­te er mög­lichst sach­lich und tro­cken: Der Krank­heits­herd brei­tet sich nach An­sicht des Arz­tes mit großer Ge­schwin­dig­keit aus.

      Als ich nach dem Gat­ten frag­te, ein neu­es Ach­sel­zu­cken:

      Er will jetzt zu viel tun, wo er vor­her zu­we­nig tat. Aber ich zweifle, ob er der Kran­ken da­mit eine Er­qui­ckung be­rei­tet. Es wird gut sein, wenn jetzt ein Frau­en­au­ge über ihr wacht.

      Es ver­hielt sich so, wie der alte Haus­freund fürch­te­te. Der un­be­re­chen­ba­re Mann be­ängs­te­te und be­dräng­te die hin­ster­ben­de Frau jetzt mit ei­nem Über­maß von zärt­li­cher Sor­ge. Die er­fah­re­ne Wär­te­rin, un­ter de­ren Wal­ten das Rech­te ge­sch­ah, war zu ei­ner er­krank­ten An­ge­hö­ri­gen ab­ge­ru­fen wor­den, und ihre Nach­fol­ge­rin zeig­te sich der schwe­ren Auf­ga­be nicht ge­wach­sen.

      Wir rich­te­ten uns auf dem an­dern Flü­gel des Stock­werks ein, das durch eine große ge­mein­sa­me Glas­ve­ran­da mit der Borck­schen Woh­nung zu­sam­men­hing. Hin­ter die­ser Glas­wand, die un­mit­tel­bar auf den See ging und die gan­ze Son­nen­sei­te des Hau­ses ein­nahm, lag Sel­ma und täusch­te mit ro­si­gen Wan­gen und glän­zen­den Au­gen dem ers­ten Blick eine er­neu­te Ju­gend vor. Aber beim Auf­rich­ten ver­riet sich ihre er­schre­cken­de Ab­ma­ge­rung. Blu­men, die sie un­mä­ßig lieb­te und de­ren sie nie ge­nug sah, um­ga­ben sie in Üb­er­fül­le fast wie eine Tote, denn Gu­stav will­fahr­te jetzt blind­lings al­len ih­ren Wün­schen und konn­te sich mit Auf­merk­sam­kei­ten gar nicht ge­nug tun. An­ge­la trug gleich die stark­duf­ten­den hin­aus, öff­ne­te das Fens­ter und über­nahm in ih­rer sanf­ten Fes­tig­keit die Lei­tung der Pfle­ge.

      Du hast ge­le­sen? frag­te mich Gu­stav scheu, als ich ihm nach dem Auspa­cken sei­ne Blät­ter schwei­gend auf den Tisch leg­te. Wir spre­chen dar­über, mein Al­ter, sag­te ich herz­lich. Jetzt müs­sen die ers­ten Ge­dan­ken Sel­ma gel­ten. Es scheint nicht zum bes­ten bei ihr zu ste­hen.

      Weiß Gott, dass es nicht gut steht, ich gebe mich kei­ner Täu­schung hin, ant­wor­te­te er. Wüss­te ich nur, was den An­stoß zu die­sem plötz­li­chen Zu­sam­men­bruch ge­ge­ben hat. Wir hat­ten ihm aus gu­ten Grün­den die Be­geg­nung mit Som­mer ver­heim­licht, und auch das Mäd­chen schwieg, von An­ge­la in Pf­licht ge­nom­men. Aber sein grü­beln­der Geist ahn­te doch den Zu­sam­men­hang mit dem dunklen Ge­heim­nis sei­nes ei­ge­nen Schick­sals. Er litt un­säg­lich, such­te gutz­u­ma­chen, was er in all den Jah­ren an ihr ver­säumt und ver­bro­chen hat­te, und einen neu­en Lie­bes­früh­ling über sie aus­zu­schüt­ten, un­ter dem die kran­ke Frau nur schnel­ler ver­brann­te.

      Das Selt­sa­me war, dass Sel­ma den Zu­rück­ge­kehr­ten zwar mit Lei­den­schaft an sich zog, ihn aber nicht mehr deut­lich kann­te. Sie stand schon un­ter dem Ein­fluss des vie­len ge­gen den Hus­ten ge­reich­ten Mor­phi­ums. Ihr Be­wusst­sein, das die schreck­li­che, durch Som­mer über sie ge­brach­te Ent­hül­lung nicht lan­ge er­trug, hat­te die dunkle Last fal­len las­sen und ihr die Ge­stalt ih­res Man­nes in zwei Per­so­nen ge­spal­ten. Vor dem Na­men Gu­stav zit­ter­te sie wie vor dem ei­nes stren­gen Ge­bie­ters, ge­gen den sie sich ir­gend­wie ver­gan­gen hät­te, da­ge­gen ver­spann sie sich in ein Lie­bes­i­dyll mit ei­ner Fan­ta­sie­ge­burt, worin die Ge­stal­ten ver­schie­de­ner Büh­nen­hel­den mit dem Ju­gend­bild Gu­stavs, wie er ihr in Stutt­gart zu­erst be­geg­net war, ver­schmol­zen. Die­sen Traum­ge­lieb­ten nann­te sie mit dem im Fie­ber­wahn ge­fun­de­nen Na­men Gul­bert und um­schlang ihn in der Ge­stalt ih­res Gat­ten mit In­brunst. So­bald sie aber sein gram­ge­zeich­ne­tes Ge­sicht er­kann­te, er­schrak sie, ent­schul­dig­te sich we­gen ih­res Hus­tens und bat, sie in ein an­de­res Ge­lass zu brin­gen, wo sie ihn nicht stö­re, sie brau­che nicht den bes­ten Raum im Hau­se; und ihre ver­ängs­te­te De­mut traf ihn här­ter als je­der Vor­wurf.

      An­ge­las Er­schei­nen mach­te die­ser bei­der­sei­ti­gen Ver­zeh­rung ein Ende, denn nun klam­mer­te sich die Ster­ben­de mit ih­rer letz­ten Le­bens­hoff­nung an sie. Da­durch ge­wann ich die Mög­lich­keit, den un­glück­li­chen Mann zu lan­gen Gän­gen weg­zu­ho­len, die ihm wohl ta­ten, denn er hat­te bis da­hin den gan­zen Tag in der Nähe der Kran­ken oder, wenn sie schlief, am Schreib­tisch ver­bracht und sah jam­merns­wür­dig aus. Das aber war das ein­zi­ge, was ich für ihn tun konn­te. Das Wort, wor­auf er hoff­te, das er mir so oft for­schend aus den Au­gen zu le­sen such­te, das Wort: Ge­lun­gen! Dein Werk ist ge­lun­gen! konn­te ich nicht spre­chen. Täg­lich nahm ich mir vor, mit ihm zu re­den, und täg­lich ver­schob ich es an­ge­sichts der zu­neh­men­den Ver­schlech­te­rung im Be­fin­den der Kran­ken und des Schwe­ren, was ihm da be­vor­stand. Zu­wei­len schloss sich Ruh­land als Drit­ter an, und ich war ihm dank­bar, wenn er durch sei­ne Da­zwi­schen­kunft den Ver­schub der Auss­pra­che recht­fer­tig­te. Öf­ter aber blieb die­ser bei der Kran­ken zu­rück, die ihn gleich­falls Gul­bert nann­te und ihm in An­ge­las Ge­gen­wart zärt­li­che Din­ge sag­te; viel­leicht war er ihr sei­ner­zeit doch nicht so gleich­gül­tig ge­we­sen, wie sie sich da­mals den An­schein gab. Ja, der Name Gul­bert muss­te ihr un­be­wusst aus Gu­stav und Al­bert, wie je­ner mit dem Vor­na­men hieß, zu­sam­men­ge­ron­nen sein. Sie mach­te jetzt aus kei­ner Re­gung mehr ein Hehl und nann­te alle Du, als wür­de vor der Nähe des To­des die gan­ze mensch­li­che Ko­mö­die zu­nich­te.

      Als es dem Ende zu­ging, kam eine Un­ru­he und Wan­der­lust über sie, dass ihr Freund Ruh­land ihr die schöns­ten Rei­se­plä­ne ent­wer­fen muss­te. Sie lag un­ter ih­rem Glas­dach und sah un­er­sätt­lich dem Spiel der Mö­wen zu, die zu Hun­der­ten über dem blau­en Spie­gel auf und nie­der schweb­ten, oder hing mit den Au­gen sehn­süch­tig an den wun­der­ba­ren Li­ni­en der Sa­voy­er Al­pen drü­ben überm Was­ser, de­ren herbst­li­che Hän­ge mit rot und gold­durch­wirk­ten Wäl­dern wie mit kost­ba­ren Per­ser­tep­pi­chen glüh­ten und sich röt­lich im Was­ser spie­gel­ten.

      »Ach«, seufz­te sie, »wer da oben stün­de und den Fuß mit Göt­ter­schrit­ten von Gip­fel zu Gip­fel set­zen könn­te. Wer ge­nießt nur all die Herr­lich­keit, wenn dem Men­schen kei­ne Flü­gel­schu­he ge­ge­ben sind?«

      So

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