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mit hoher eckiger Stirn, dünnem Blondhaar, einer schmalen, ganz leicht gekrümmten Nase und einer Mund- und Kinnpartie, die der Herr Staatsanwalt vor acht Monaten zum Gegenstand besonderer Bemerkungen gemacht hatte: brutal, selbstbewußt, fast roh in der Linienführung, auf Jähzorn hindeutend – und so weiter! Der Mann hatte nicht so ganz unrecht gehabt. Nur eins stimmte nicht. Von Jähzorn hatte ich bei mir nie etwas gespürt. Lächerlich – ich, der schon als Schüler die Kunst der Selbstbeherrschung mit allen Kniffen modernster Seelenforschung geübt hatte!

      Wie unheimlich ich jetzt doch mit diesen eingefallenen Wangen und mit diesem ungesund bleichen Gesicht meiner Mutter glich! Eine frohe, lebensprühende Berlinerin war’s gewesen, die den Oberlehrer Doktor Abelsen heiratete, einen schwerblütigen, stumpfen echten Schweden von der Art, wie dieses Land sie nur zu oft hervorbringt, – Männer, zu tief veranlagt, um dem schnellen Rhythmus der modernen Zeit folgen zu können, – so tief veranlagt, daß das Einerlei des Alltags sie vorzeitig zu melancholischem Vegetieren verdammt. Daß zwei so grundverschiedene Naturen wie meine sonnige Mutter und mein niemals lächelnder Vater sich gegenseitig das Leben zur Hölle machen mußten, daß meine Mutter dahinwelkte und früh starb und mein Vater ihr aus Gram sehr bald folgte, denn auf seine Art hatte er sie ja geliebt, – war das ein Wunder?! Und das einzige Kind dieser unseligen Daseins-Nichtverwandtschaft war ich. Ich, in meinem Fühlen, Denken, Handeln weit mehr Deutscher als Schwede, ich, der die tote Mutter in seinem Herzen als Heilige verehrte und nie von ihr sprach – nie!

      Die Schminkstifte unauffällig zu benutzen, war nicht ganz so einfach für einen Laien auf dem Gebiete der Gesichtsveränderung. Nach mehreren mißglückten Versuchen war ich mit dem rotwangigen Gesicht Olaf Karl Abelsens – nein doch, des Chauffeurs Gunnar Aalfström zufrieden. Ich hatte ja auch Aalfströms Paß an mich genommen, ohne den ich niemals das Fährschiff nach Saßnitz hätte betreten können, da jetzt so kurz nach dem Ende des großen Völkermordens die Grenzkontrolle noch sehr scharf gehandhabt wurde.

      Ich wanderte dem Hafen zu. Trelleborg ist ein elendes, reizloses Nest, und wer von den eindrucksvollen Gestaden Rügens zum ersten Male nach Trelleborg kommt, muß unsagbar enttäuscht sein.

      Ich wußte, daß der Trajekt um sieben Uhr Trelleborg verläßt. Ich hatte gerade noch Zeit, mir eine Fahrkarte zu lösen. Gerda hatte mir in das Päckchen auch fünfhundert Kronen hineingelegt, dazu noch, mir sehr wertvoll, eine jener Damen-Miniaturpistolen, wie die Stockholmer Waffenfabrik sie neuerdings mit Patronenrahmen zu sieben Stück auf den Markt gebracht hat.

      Die Paßkontrolle ging ohne Weiterungen vonstatten, desgleichen die Zollkontrolle. Mein kleiner Koffer enthielt ja nur die allerbescheidensten und allernotwendigsten Reiseutensilien. Die Schminkstifte hatte ich weggeworfen.

      So betrat ich denn den Rauchsalon der eleganten »Drottning Viktoria«, setzte mich in einen Klubsessel und bestellte beim Steward Frühstück.

      Die Schiffsglocke am Kai begann zu läuten. Ich atmete doch ein wenig erleichtert auf. Gleich mußte der große Dampfer, den D-Zug unten in seinem weiten Bauche, die Liegestelle verlassen.

      Die Schiffsglocke hörte jäh mit ihrem Gebimmel auf.

      Die Maschinen, die bereits in Gang gewesen, stoppten wieder, und das dumpfe Dröhnen, das sie hier zum Oberdeck emporgeschickt hatten, verstummte.

      Ich nahm den ersten Schluck Kaffee und den ersten Happen des noch bäckerwarmen Brötchens, dann schob ich die kleine Pistole in den rechten Ärmel – entsichert. Lebend fing mich niemand. Und aß weiter, nur die Linke benutzend.

      Außer mir befanden sich nur noch zwei Herren im Rauchsalon, – ein fetter Handelsbeflissener und ein schlanker Mann mit bartlosem Gesicht, der nach mir hereingekommen war und mir nun den Rücken zukehrte und Zeitung las.

      Was ich vermutet, geschah: drei Herren in Zivil betraten den Salon und näherten sich mir. Mein Herz tat zehn raschere Schläge, beruhigte sich wieder. Mein kurz geschorenes Blondhaar wurde durch die tief herabgezogene Reisemütze verdeckt, und mein rotes, gesundes Gesicht, die dunkel gefärbten Augenbrauen und die Schatten um den Mund hatten von dem Aussehen eines vor fünf Stunden aus dem Staatshotel urplötzlich verschwundenen Gastes mit der Nummer 311 wenig übrig gelassen.

      Polizeibeamte … Fragten nach meinem Paß.

      »Bitte …«

      War in Ordnung …

      Ich kaute und nahm wieder einen Schluck Kaffee. Sechs Augen musterten mich, ließen sich täuschen.

      Die drei wandten sich dem Zeitungsleser zu. Der erschien mir sichtlich nervös, und als ich nun sein Profil gegen die dunkle Wandtäfelung als klare Silhouette sah, kam er mir merkwürdig bekannt vor. Nun, ich kenne viele Herren in Schweden, die mich nicht mehr kennen wollen.

      Und ich frühstückte weiter. Die drei zogen ab, und sehr bald bimmelte die Kaiglocke von neuem. Die »Drottning Viktoria«, jeder Schwede ist mit Recht stolz auf sie, dampfte in die stark bewegte Ostsee hinaus.

      Der zweite Punkt meines Programms war erledigt. Wenn der dritte, die Landung in Saßnitz, ebenso tadellos klappte, war ich nach fünf Stunden in Sicherheit.

      Der Steward brachte mir Zeitungen. Ich nahm ein Berliner Blatt und orientierte mich über die Weltgeschichte, denn das Hotel Düsterburg hatte in dieser Beziehung miserabel für seine Stammgäste gesorgt.

      Der Krieg war aus. Wilsons zehn Punkte beschäftigten die Herren Politiker. Ich habe für Politik nie etwas übrig gehabt. – Ich blätterte weiter … Berlin feierte den Frieden … Die Annoncen der Amüsierlokale füllten Seiten: freche Anpreisungen unwürdiger, angekränkelter Spekulation auf die Vergnügungssucht derer, die vier Jahre den Tod als steten Mahner in allernächster Nähe gehabt hatten!

      Der Trajekt schaukelte sanft, und die eintönige Musik des Regens, der gegen die Fenster des Salons klatschte, ließ mich in dem tiefen, weichen Klubsessel einschlafen. Als ich erwachte, war der Salon leer. Draußen schien die Sonne, und die Fahrgäste wanderten auf und ab. Der Steward räumte den Tisch leer, ich bezahlte, bestellte noch Zigaretten und begab mich gleichfalls auf das Promenadendeck hinaus, ging bis zum Bug und beobachtete die Leute des Minenauslugs, denn es sollten sich noch zahllose, vom Sturm losgerissene Minen in der Ostsee umhertreiben, hatte mir der Steward vertraulich mitgeteilt.

      Ich stand an der Reling halb hinter einem der Rettungsboote und sah nun von Westen her, aus dem berüchtigten Regenloch, eine pechschwarze Wolke heransegeln. Die Sonne verschwand, die ersten Tropfen fielen, und das Deck leerte sich schnell.

      Es goß. Ich hatte den Mantelkragen hochgeklappt. Das Rauschen des Regens erquickte mich. Auch der Wind blies schärfer. Es wurde sehr dunkel, und die »Drottning Viktoria« fuhr langsamer, ließ ihre Scheinwerfer spielen, um die gefürchteten Riesentöpfe aus Eisen rechtzeitig sichten zu können.

      Das Schiff, von den Wogen breitseits getroffen, rollte jetzt ziemlich schwer, da der Kapitän aus Vorsicht die Geschwindigkeit noch weiter mäßigte und die Kraft der Schrauben gegenüber den anrollenden Wasserbergen keinen genügenden Ausgleich mehr schaffte. Die Wellenkämme schickten ihren Gischt nur zu oft bis auf das Promenadendeck empor, und Regentropfen und das salzige Naß der Ostsee suchten mit keckem Übermut mein geschminktes Gesicht zu treffen, was für mich doch unangenehme Folgen hätte haben können, denn verlaufene Schminke würde wohl nur zu bald Argwohn erregt haben. Ich zog die Mütze noch tiefer, knöpfte den Mantelkragen zu und schritt breitbeinig, dem Unwetter den Rücken kehrend, davon, näherte mich wieder dem Rauchsalon und schwenkte plötzlich nach rechts ab – zur Haupttreppe, die in die unteren Decks des Trajekts hinabführte.

      Wie wenig ich, der wegen Totschlags zu zwei Jahren Zuchthaus Verurteilte, doch die Kniffe der Polizei kannte! Ich armseliger Tor hatte mir eingebildet, daß die drei Polizeibeamten in Zivil die »Drottning Viktoria« noch im Trelleborger Hafen verlassen hätten! Und soeben hatte ich zwei von ihnen oben auf der Brücke neben dem Kapitän im Lichtkreis der Strahlenflut eines Scheinwerfers erkannt, und den dritten rechts von mir an der Reling, mich mit eindeutiger Schärfe beäugend.

      Wieder hatte da mein im Hotel Düsterburg doch ein wenig nervös gewordenes Herz, das einst selbst bei den waghalsigsten Kletterpartien in den Felsschluchten der Jungfrau

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