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erreichten. Wir hatten draußen Deckung genommen, meine Repetierbüchse spie Kugel um Kugel, Steenpool feuerte mit seiner Pistole, und Gupa war mit der Fürstin nach der Wasserseite des Rasthauses geeilt, um dort die Angreifer abzuwehren.

      Ich schmetterte dann die Holztür zu, schob den Riegel vor … Wir waren vorläufig in Sicherheit, denn die feige Bande unternahm nichts weiter, und ihre Patronenvergeudung schadete nur den Lehmwänden und dem Ölpapier der Fenster.

      Wir verteilten uns kriechend über die Räume, wir stießen in das Ölpapier große Löcher, richteten die Bettgestelle vor den Fenstern auf und benutzten auch die dicken Filzvorhänge als Kugelfang.

      Absichtlich gesellte ich mich Wera und unserem braven Gupa bei, – wir hatten im ganzen sieben Büchsen und fünf Pistolen zur Verfügung, leider jedoch nur wenig Munition. Wera hatte wacker geholfen, das Haus in Verteidigungszustand zu setzen, jetzt kniete sie neben mir, und die Röte ihrer Wangen und die harten Falten um den Mund mahnten mich an meine unüberlegten Äußerungen.

      »Sind Sie mir sehr böse, Wera?« – ich tastete nach ihrer Hand und sie erwiderte den Druck meiner Finger.

      »Nein, Olaf … Ihnen nicht, mir selbst!« sagte sie gedämpft. »Ich mache mir die bittersten Vorwürfe, weil ich …«

      »Lassen Sie das doch …« – meine Aufmerksamkeit galt plötzlich nur den großen Holzflößen am Seeufer.

      Ich konnte von meinem Platze aus auch die Talwand überblicken, – die Gegner dort waren verschwunden … Offenbar hatte die ganze Bande sich an der Vorderseite des Hauses versammelt, denn nur dort knallte es noch zuweilen, und Steenpools frohlockende Stimme klang schrill durch die Räume – so recht der Kürbis – Steenpool war es, der uns zubrüllte:

      »Die dachten, ich könnte nur mit Robbenkeulen werfen, – sie reißen aus, Abelsen! Nicht mal hinter der Hürde bleiben sie liegen, die Kerle!«

      Nochmals drei – vier Schüsse …

      Dann stieß Gupa mich an …

      »Die Flöße . .!!«

      Er hatte genau denselben Gedanken wie ich …

      Was dann folgte, war Spiel ums Leben, war Wettrennen mit dem Tode …

      Wir alle brachen durch die Hintertür nach dem nahen See hin eilenden Laufes durch, – Gupa zerschnitt die Weidenruten, wir wälzten ein paar Stämme des größten Floßes als Brustwehr übereinander, wir wurden aus den Häusern und Jurten mit Kugeln überschüttet, wir stießen vom Ufer ab, – der Riese Gupa allein genügte, das plumpe Floß vorwärtszutreiben … Mit einer Kaltblütigkeit, die ohnegleichen war, handhabte er die Stoßstange, – er mußte aufrecht stehen, er schrie mich grob an, als ich ihm helfen wollte …

      Nach Westen zu reichte der See bis dicht an die Talwand, – das Gelände war flach, und jeder Versuch der Feinde, aus den Häusern hervorzubrechen, kostete ein paar gesunde Knochen – nicht bei uns! Steenpool war hier unvergleichlich, Wera war eine Schützin, die alle Anerkennung verdiente, und ich …?! Nun, ich hatte auf schnelleres Wild schon gefeuert, und der Doktor und die vier Wangs spielten klugerweise nur die Büchsenspanner und reichten uns die Gewehre zu …

      Gupa aber – Gupa allein verdankten wir unser Leben, unser Entkommen … Keiner von uns besaß seine Bärenkräfte, keiner hätte das Floß so dirigiert wie er …

      Seine linke Schulter blutete, seine Ärmel zeigten Kugellöcher, – – und dann stieß das Floß gegen das flache Ufer …

      Wieder schnellten wir wie die Panther davon, hinein in die Büsche, hinein in die Felsen des Abhangs, arbeiteten uns empor …

      In solchen Minuten verlieren sich die Einzelheiten des Geschehens, – erst später besinnt man sich auf dies und jenes, das als besondere Episode die Gedanken für Sekunden ablenkte.

      Ich half Wera empor, neben uns klatschten Kugeln gegen das Gestein, kleinere Bienen summten unaufhörlich vorüber, zerstiebten, Bleisplitter ritzten uns die Gesichter, – ein letzter Stoß, und Wera rollte über den Rand des Abhangs ins Gras, ich kroch hinterdrein, – Gupa trug jetzt den kleinen Doktor, wir rannten … rannten … drüben war ein Zaun, dahinter an die dreißig struppige Gäule.

      Hier deckte uns der Abhang. Wir konnten wenigstens etwas Atem schöpfen. Zu meinem Schreck sah ich, daß der arme bebrillte Doktor, den der tapfere Gupa in das Gras gelegt hatte, ohne Bewußtsein war. Aus dem halb geöffneten Munde rannen ihm zwei blasige Blutfäden zum Kinn herab.

      »Schuß durch die Lunge,« sagte Gupa nur. Menschenleben war hier billig. Und er begann sofort mit Hilfe der Wangs aus Riemen und Stricken für die Pferde Trensen zu knoten. Sättel hatten wir nicht. Aber in dem erbärmlichen Winterstall der Gäule hingen verrottete Filzdecken, – daraus schnitten wir Ersatzsättel zurecht. Alles ging wie im Fluge, mußte wie im Fluge gehen, denn jeden Moment konnten die Dorfbewohner auftauchen.

      Die Wangs, die sich gerettet hatten, waren sämtlich Halbchinesen, Mischlinge, und nur vorübergehend hier in Choto anwesend. Sie hatten, wie sie nun offen zugaben, eine Karawane mit Waffenkisten von der Amurstadt Chailar hierher begleitet und die Kisten vorläufig drüben im Gebirge versteckt. Die anderen Wangs, die der Totenfeier für Gowin und Chedee beigewohnt hatten, waren hinterrücks zusammengeschossen worden.

      Wir brachen auf. Den totwunden Doktor nahm Gupa vor sich in den Sattel. Unser Ziel waren die nahen Ausläufer des Chingan-Gebirges. Wir trabten davon, – die ersten Feinde erschienen beritten hinter uns, als wir bereits die erste Felsschlucht erreicht hatten.

      Mongolengäule klettern wie die Katzen. Wir wählten einen flachen Gießbach zum Anstieg, der unsere Fährten unsichtbar machte und durch einen Hochwald sich schlängelte. Einer der Wangs machte den Führer, wir wollten das geheime Waffenlager aufsuchen und unsere Munition ergänzen. Die Gefahr für uns war vorüber, unser Vorsprung in diesem bergigen, unübersichtlichen Gelände genügte, die Verfolger abzuschütteln.

      Nach einer Stunde bog der Führer in ein schmales, düsteres Hochtal ein. Die Wände waren mit riesigen Tannen bestanden, im Hintergrunde gab es verschiedene Windbrüche, riesige Haufen entwurzelter Bäume, die jedes Vordringen unmöglich zu machen schienen. Trotzdem gab es versteckte Durchschlüpfe, und in einem dritten Windbruch fanden wir unter Steingeröll die gesuchten Kisten, fanden aber auch deutliche Anzeichen, daß kurz vorher jemand zwei der Kisten geöffnet hatte. Es fehlten eine Büchse, zwei Pistolen und fünf Pakete mit Patronen. Wer dieser Mann gewesen, der sich hier bewaffnet hatte, brauchte nicht weiter erörtert zu werden. Zubanoff hatte als dreizehnter Tschu dieses oft benutzte Versteck gekannt, – er hatte für seine weitere Flucht sich mit Schußwaffen versorgt.

      Der kleine Doktor, der als elfter Tschu ein Geächteter war und nun mit dem Tode rang, kam nur noch einmal halb zum Bewußtsein. Wir saßen um sein Leidenslager herum: Wera, Steenpool und ich. Wir sahen, daß er die Augen mühsam öffnete. Sein Blick suchte Wera, und dann wollte er sprechen. Ein Blutstrom schoß ihm ans dem Munde, – mit allerletzter Anstrengung stieß er die vom Sprudeln des Lebenssaftes kaum verständlich klingenden Worte hervor:

      »Er … Sankt Antonius … Mönch …«

      Mehr verstanden wir nicht.

      Der kleine Doktor war tot.

      In der Nähe begruben wir ihn. Gupa hielt mit den vier Halbchinesen die Totengebete am Grabe, verbrannte harzige Äste, – wir Europäer standen mit gefalteten Händen dabei.

      Meine Gedanken waren bei des Toten letzten unklaren Äußerungen, die doch zweifellos für Wera ein Wink hatten sein sollen, was Zubanoff fernerhin beabsichtigte.

      Was war dies?!

      Was bedeutete Sankt Antonius, was sollte »Mönch« besagen?!

      Nachher rieten Steenpool und ich hin und her, während die anderen eine Mahlzeit am Feuer bereiteten. Wera zeigte keinerlei Teilnahme. Sie hatte Gupas Schulterstreifschuß verbunden, so gut es ging, – nun saß sie abwesenden Blickes da und ließ uns beide dem Rätsel dieses »Sankt Antonius« nachspüren.

      Ich hatte an den Eingang

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