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Männer war die Kunde von Dorf zu Dorf, von Weiler zu Weiler bis in die entlegensten Einödhöfe getragen worden mit dem Beifügen, daß die Rekrutierungskommissionen dort, wo sie in geringer Bedeckung sich befänden, unschädlich gemacht werden sollten. Und wie das erste Feuer emporflammte, steckten die Auslueger ihre Stöße in Brand, von Bühl zu Bühl lohte es auf, und in wenigen Stunden riefen die Flammenzeichen durch die ganze Grafschaft die Salpeterer zu den Waffen. Mann für Mann, die Burschen im Rekrutenalter, Weiber und Mädchen, zogen aus in selbiger Nacht über Berg und Thal, durch den ungeheuren Tann mit Fackeln und Mordinstrumenten. Wer sich unterwegs sträubte mitzugehen, ward niedergeschlagen, Halunkenhäuser wurden wenigstens in Bezug auf Proviant ausgeraubt, und die Schnapsflaschen gingen von Mund zu Mund, die immer anschwellende Schar völlig trunken machend, so daß die Wälder von Geschrei und Gejohle widerhallten. Krähten an einsamen Waldhöfen die Göckel und gackerten Hennen, grunzten Schweine: flugs begann die wilde Jagd und mit brüllendem Halloh ward die Beute mitgeschleppt, so der Höfler zu Hause war und damit bekundete, daß er zur Halunkenpartei gehört. Jeder echte Salpeterer muß sich ja nach dem nächtlichen Alarmsignal auf der Wanderung nach Kuchelbach befinden! Wer zu Hause bleibt, ist ein Halunke! Es gilt die Freiheit der Grafschaft, es gilt den Glauben!

      Wie sonst die Bevölkerung der Hauensteiner Gemarkung am Allerseelensonntag von den Berghalden herabsteigt und frommen Sinnes zum Dörflein pilgert, um die Gräber der Verstorbenen zu schmücken und mit brennenden Kerzen unter Glockengeläute laut betend in feierlicher Prozession die Raststätten ewiger Ruhe zu umgehen: diesmal wallen die Scharen erregt, gröhlend, aus dem Tann herab gen Kuchelbach, dem Rufe zum Aufstand folgend. Der Friedhof des Dorfes ist der Sammelpunkt, und in der Kirche soll Gottes Segen erfleht werden für den Kampf ums heilige alte Recht. Die Glocken wimmern im frischen Morgen; Riedmatter, der Führer der weitverzweigten Bruderschaft, hat das Sturmgeläute befohlen und den protestierenden Pfarrer einfach im Pfarrhofe gefangen gesetzt und bewachen lassen. Wer gegen den Führer ist im Denken und Handeln, ist Halunke, auch der Pfarrer, auf den sonst der Hauensteiner viel hält, so dieser nicht neumodisch sich der Fremdherrschaft beugt und der Obrigkeit zu Willen ist.

      Es wimmelt auf den Halden, in dichten Scharen ziehen die fanatisch erregten Menschen herab, Kreuze tragend, bewaffnet bis an die Zähne mit altem Geraffel, Sensen, Gewehren, Dreschflegeln, Sicheln und Prügeln. Weithin ist das Gekreisch der trunkenen Weiber, das Gejohle der Männer hörbar; das Sturmgeläute stachelt zur Sinnlosigkeit auf. Der Friedhof zu Kuchelbach gleicht einem Kriegslager; die Salpeterer des Dorfes haben zwischen den Gräbern ihr Hauptquartier aufgeschlagen; es sollen auch die Toten ihren Anteil am Befreiungskriege haben! Waffen aller Art liegen wirr durcheinander auf den Grabhügeln, und außerhalb der Kirchhofsmauern sind fliegende Schänken errichten, in denen geraubter Halunkenwein für die „Brüder“ verzapft wird. Auf einem improvisierten Podium, mit Totenschädeln aus dem Beinhaus garniert, thront Ägidius Riedmatter, von bäuerliche Adjutanten umgeben. Der alte Mann hat einen ungeheuren Husarensäbel umgeschnallt, und seine Hotzenmütze trägt einen Gardistenfederbusch in österreichischen Farben zum Zeichen seiner Generalswürde. Mit Genugthuung sieht Riedmatter, dem das Machtgefühl zu Kopf gestiegen, auf die heranwallenden Scharen, die seine „Armee“ rasch verstärken. Auf solch' großen Zuzug hat der „Feldherr“ selbst nicht gerechnet. Wie die vielhundertköpfigen Scharen verköstigt und für die Nacht untergebracht werden sollen, kümmert Ägidi in seinem Hoheitsgefühle wenig. Was den Halunken in Kuchelbach, Unteralpfen und Birndorf abzunehmen war aus Rauchkammern und Kellern, ist im Requisitionswege genommen und ins Hauptquartier geschleppt worden. Das Weitere wird sich wohl finden, im Notfalle können die Scharen in der Kirche übernachten. Krieg und Not kennt kein Gebot. Wer weiß, wann es schon zum Angriff geht; je eher, desto besser, denn die versammelten Salpeterer sind voll guter Hoffnung und voll des Weines, der Begeisterung schafft. In solcher Stimmung kämpfen die Leute besser als abgehetzt und mit leerem Magen. Drum läßt Ägidi immer neue Fässer anzapfen; sie sollen toll werden, bis die Husaren und Panduren von Waldshut anrücken. Die „Adjutanten“ empfangen jeden neuen Trupp und geleiten die gröhlenden Leute vor den „Thron“ des „Feldherrn“ zur Huldigung. Riedmatter steht mit hocherhobenem Säbel auf dem Podium und läßt sich umjauchzen. Dann winkt er, Ruhe heischend, und befiehlt: „Hut ab und Mützen 'runter! Ich will reden!“ Allmählich wird es still im Kirchhof und dessen nächster Umgebung. Riedmatter reckt sich und wirft sich in die Brust. Dann hebt er an: „Gottwilche! Seid gegrüßt im Namen der heiligen Mutter Gottes! Und seid bedankt für euer Kommen! Es gilt jetzt einen Hauptschlag! Mit kleinen Mitteln haben wir uns bishero gewehret gegen Bedrückung jeglicher Art, gegen Zehent und Steuern und neumodische Verordnungen, die im Widerspruch stehen gegen alte Brief, Privilegy und Handfesten von unserem Grafen Hans von Hauenstein. Wie mir gemeldet, wollen sie uns jetzt die Blutsteuer auferlegen, unsere Söhne nehmen und zu Soldaten machen. Und weil auf meinen Befehl die Rekrutenkommissionen überall im Walde verjagt sind, wird man uns wohl Panduren, Kroaten und Husaren auf den Leib schicken, um uns zu zähmen und zu bändigen. Es soll ihnen aber by Gott übel bekommen. Denn fest geschlossen ist unser Bund, heilig unsere Sache! Ich sage es, und das genügt! So lange auch nur drei Salpeterer zusammenhalten,[14] werden wir obsiegen, denn unsere Sache ist gerecht. Dafür ein Beispiel: Ein Halunke hat den Anspruch gethan: wenn die Salpeterer recht hätten, so wolle er den priesterlichen Segen nicht mehr empfangen. Und gestern begegnete der Mann zwischen Waldshut und Oberalpfen einem Kaplan, der ihm an einem Kreuz den Segen gab. Da ist der Halunke plötzlich tot niedergefallen. Also ist unsere Sache gerecht, vom Himmel, von Gott gesegnet! Des Himmels und des Papstes Beistand ist uns sicher! Und wir gehen freudig und mutig in den Kampf für Gott, den Glauben und unser Recht! Die Freiheit über alles! Schwöret mir anjetzo Treu' und Gehorsam, Tapferkeit vor dem Feinde! Schwöret!“

      Mit erhobenen Armen und ausgespreitzten Fingern leisten die Scharen den verlangten Schwur, es kreischen die Weiber, es gröhlen die Männer und Jünglinge. Nur der Sepli von Herrischried, den seine Vroni zum Mitmarschieren gezwungen, rührt sich nicht, und er erhebt die Hand auch nicht, als sein fanatisches Weib ihm Rippenstoß über Rippenstoß verabreicht, und ihm abermals mit Eheabbruch droht. Im wirren Tumult beachtet niemand diese eheliche Streitscene; um die fehlende Schwurhand zu ersetzen, hebt Vroni ihre beiden Hände empor und schwört doppelt, gleichzeitig aber den bockbeinigen Gatten mit Fußtritten traktierend.

      Nach geleistetem Schwur drängt alles, rücksichtslos über die Gräber steigend, Kreuze achtlos brechend, hinaus zu den Weinfässern, die mit Gebrüll und Gejohle gestürmt werden wie die Berge von Rauchfleisch und Schinken. Eingekeilt in die Menge, wird auch der ruhige Sepli mit seiner Vroni hinausgeschoben. Kaum spürt Sepli etwas Freiheit, so trifft er Anstalt, sich zu drücken; ihm ist der ganze lächerliche und ebenso gefährliche Rummel in die Seele hinein zuwider. Er erkennt, daß die trunkenen Leute, ohne es zu ahnen, um ihr Leben spielen und vor dem Tode stehen, und drum will er sich für seine Person rechtzeitig in Sicherheit bringen, denn sind die Panduren einmal da, so wird einfach geschossen und nicht lange gefragt, ob einer Halunke oder Salpeterer sei. Mitgefangen, miterschossen, heißt es da. Vroni scheint zu ahnen, was Sepli beabsichtigt, und mit einem festen Griff packt sie den Ausreißer am Rockkragen und zerrt ihn mitten in die wilderregte Menge.

      Riedmatter sitzt noch immer gebieterisch auf seinem Thron und spricht einem dickbauchigen Weinkrug fleißig zu. Er will sich Mut antrinken. Da kommt kreidebleich ein Adjutant heran und stottert: „Die Kroaten kommen!“ Riedmatter das hören, den Säbel und die Mütze wegwerfen, mit einem Sprung vom Podium herabsetzend und wie rasend flüchtend, ist eins! Und wie besessen, zeternd, kreischend, um Hilfe schreiend eilen die Nächststehenden nach, indes von den jüngeren Burschen mehr aus Übermut und Ulk Schüsse abgefeuert werden. Und das ist zum Unglück, denn die im Laufschritt herankommenden Panduren glauben, die Schüsse der Rebellen haben ihnen gegolten und feuern nun in das zurückgebliebene Menschenhäuflein. Eine Kugel trifft den armen Sepli, der mit dem Rücken gegen die Panduren stehend, die Gefahr nicht wahrgenommen hatte und sich nicht mehr rechtzeitig retten konnte. Aufschreiend stürzt Sepli vornüber zu Boden mit durchschossener Brust. Sein Weib hat sich gleich hinter Riedmatter in Sicherheit gebracht. Drei, vier Salpeterer sinken gleichfalls tödlich verwundet nieder; alles andere ist flüchtig davon. Wie besäet ist der Platz am Kirchhof von Waffen und Gerümpel, zertretenen Fässern, Fleischresten und dergleichen. Die Panduren schwärmen aus, Husaren sausen im Galopp den Flüchtigen nach, das Dorf wird im Sturm genommen ohne Widerstand. Die Halunkengreise, Männer,

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