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Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe
Читать онлайн.Название Gesammelte Werke
Год выпуска 0
isbn 9783962816056
Автор произведения Wilhelm Raabe
Жанр Языкознание
Серия Gesammelte Werke bei Null Papier
Издательство Bookwire
Dieses und noch manches andere erzählte der Afrikaner, da man es von ihm verlangt hatte; aber er sprach doch traurigen Mutes, und die beiden Frauen konnten ihm auch nicht mit freier Seele zuhören. Es wurde wieder Abend; der Spitz kam ohne den Igel aus dem Walde heim; aber Christine brachte ihren Laib schwarzen Brotes mit.
»Gib mir noch davon, Mutter, dann will ich gehen«, sagte Nikola von Einstein.
Mit zitternder Hand schnitt die Greisin ein Stück ab und reichte es stumm der Braut des Herrn von Glimmern.
»Ich will es mit mir nehmen in mein neues Leben«, sprach Nikola weiter, »und ich will in der rechten Stunde immer davon essen – es soll mir guttun, so hart es auch werden mag. O Mutter, Mutter, du hast mir so viel gegeben aus deinem reichen, süßen Herzen; aber dies ist nun das letzte, was du mir geben kannst. Ein Stück schwarzen Brotes der armen Nikola auf den Weg, das ist das letzte Zeichen!«
Sie knüpfte das Brot in ihr Taschentuch und wendete sich gegen Leonhard:
»Nun gehen Sie vorauf, mein Freund; ich hole Sie doch ein auf dem Prospero, um Ihnen ein besonderes Lebewohl sagen zu können. Aber jetzt muss ich noch einen Augenblick allein sein mit meiner Mutter, um sie zum letztenmal zu küssen.«
Tief bewegt und wortlos trat Leonhard Hagebucher zurück und verließ die Mühle langsamen Schrittes und ohne sich umzusehen. Im Walde nistete sich die Dämmerung bereits ein, und auf der Fliegenhausener Landstraße trieb ein erstes kühleres Abendlüftchen Staubwirbel vor sich her. Er wartete vergeblich am Ausgang des Holzes auf die schöne Reiterin; er stand oft still und blickte auch im Wandern über die Schulter zurück; aber erst hinter dem Dorfe vernahm er den Hufschlag des Schimmels hinter sich, und dann ritt Nikola von Einstein noch eine ganze Weile stumm neben ihm her, und er wagte kaum, zu ihr aufzublicken.
Sie auch nahm die Unterhaltung auf, indem sie sagte:
»Es war doch ein schöner Sommer, Herr Hagebucher, und wenn wir einander wieder begegnen, so werden wir seine guten Gaben sicherlich richtiger zu schätzen wissen, als wir es in dieser dämmerigen Stunde vermögen. Wir werden jedenfalls wieder zusammentreffen, Kamerad; dann grüßen wir uns nach einer anderen Welt Art und Sitte und haben wohl darauf zu achten, wie wir’s treiben, dass das kluge Narrenvolk dort hinter den Bergen uns nicht unter die Füße bekommt. Wir besitzen aber beide das Bürgerrecht in einem Reiche, von welchem jenes Volk nichts weiß, und keine Macht soll uns es entreißen. Jetzt wollen wir uns die Hände drücken und kurz Abschied nehmen; mit Redensarten ist keinem von uns gedient. Wenn Sie Ihre Waffen geschmiedet haben, so lassen Sie dort in der Katzenmühle von der alten Frau den Segen darüber sprechen, und dann mögen Sie mir nachfolgen. Leben Sie wohl, Leonhard Hagebucher!«
»Leben Sie wohl, Fräulein von Einstein!« sagte der Mann vom Mondgebirge. Nikola ritt talab weiter auf der Landstraße, Leonhard aber folgte wieder jenem uns schon bekannten Feldwege, umschritt das Dorf Bumsdorf in einem Bogen und erreichte wie gewöhnlich in dunkler Nacht das Quartier des Vetters Wassertreter.
Dreizehntes Kapitel
Da uns in früheren, dunkleren Jahrhunderten leider schon viel deutsche Geschichte dadurch verzettelt wurde, dass jeder Mönch, der sich in dieser Weise schriftstellerisch beschäftigte, nur die Historie seines eigenen Klosters für die Ewigkeit niederschrieb, so wollen wir an dieser Stelle nicht die Geschichte der Stadt Hannover, Braunschweig, Darmstadt, Kassel, Stuttgart und so einige dreißig Mal und so weiter schreiben. Wir können unsere mittel- und kleinstaatliche Herrlichkeit an den Fingern herzählen, aber, in echt germanischer Schamhaftigkeit, ohne einen Namen zu nennen; der Plunder bleibt eben überall derselbe und die Liebe und Verehrung zum angestammten Fürstenhause sowie die Anhänglichkeit an sonstige altgewohnte, behagliche oder unbehagliche Überkommnisse und Einrichtungen gleichfalls.
Solch eine deutsche Kulturstätte, von einem im ganzen ziemlich unbedeutenden Bruchteil der Nation seine Residenz genannt, liegt entweder in einem Tal oder in einer Ebene und nie auf einem Berge, hat jedoch stets in ihrer Umgebung eine natürliche oder künstliche Erhöhung des Bodens, von welcher aus man eines umfassenden Blickes über die Pracht genießt und auf welche die Leute des Ortes und der Gelegenheit sehr gern ihre Gäste führen, um sich an ihrem Erstaunen und Entzücken mit bescheidenem Stolz zu weiden.
Solch eine deutsche Residenz hat immer die Ähnlichkeit mit der Stadt Rom, dass sie wie diese nicht an einem Tage erbaut worden ist. Ihr Alter ist häufig ganz bedeutend, ein Umstand, auf den man sich gemeiniglich auch etwas zugute tut, welcher aber jedenfalls nicht immer seinen letzten Grund in der Überschwenglichkeit der landschaftlichen Reize findet.
Dichter Nebel, Sumpf und Urwald bedeckten vor zweitausend Jahren die Stelle, auf welcher heute die Gesittung und Bildung ihre schönsten Blüten treiben. Wo heute vor dem Hotel de St. Pétersbourg der Polizeimann die öffentliche Moral im Auge behält, da lauerte einst der wilde Urgermane auf den zottigen Bär; wo heute Staatsräte und Generalmajore, Präsidenten des Obertribunals und Konsistoriums, Direktoren, Ministerial-, Oberkriegs- und