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Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe
Читать онлайн.Название Gesammelte Werke
Год выпуска 0
isbn 9783962816056
Автор произведения Wilhelm Raabe
Жанр Языкознание
Серия Gesammelte Werke bei Null Papier
Издательство Bookwire
»Und Sie wollen nicht warten und uns nicht mit sich nehmen?« rief der Vetter Wassertreter.
»Nein, nein! Was hat Sie auch angetrieben, uns jenen dort herzuschleppen? Auch wir kommen selten genug dazu, uns einer guten Stunde zu freuen, und es ist durchaus nicht nötig, dass man uns ungeladen eine Fratze in den Sonnenschein schneide. O Frau Geduld, werden Sie einmal recht, recht ungeduldig und sagen Sie dem Herrn aus dem Mohrenlande, dass wir unsere Meinungen und Ratschläge keineswegs wie Brombeeren hergeben, oder, noch besser, rufen Sie die Christine mit dem Besen und lassen Sie Ihr Haus kehren. Guten Abend, Madam! Guten Abend, Gentlemen! Ich hab an meinem eigensten Eigensinn schwer genug zu tragen und brauche mir von keinem anderen dazu mit dem Borstwisch durch die blaue Minute fahren zu lassen. Guten Abend, meine Herrschaften, guten Abend, Herr Leonhard Hagebucher – vielleicht treffen wir in einer bessern Stimmung wieder zusammen.«
Sie hatte der Frau Klaudine die Stirn geküsst und war zur Tür hinausgesprungen. Sie saß auf dem weißen Pferde und grüßte in lachender Schönheit, die nun gar seltsam mit ihren ärgerlichen Worten kontrastierte, über die Hecke. Als die lustige, grazienhafte Erscheinung im Walde verschwunden war, saßen die beiden Männer noch eine geraume Weile sehr verblüfft da und starrten ins Leere, bis die Frau Klaudine seufzte:
»Mein armes Kind, geh nur; es darf dich niemand schelten um deine Ungeduld! Ihr lieben Herren, da ist auch eine glatte Stirn und krause Gedanken darunter, und keiner in der Welt draußen, ihre Gespielinnen nicht und ihre Mutter nicht, kann so viel davon wissen als ich. Und sie kommt ebenfalls zu mir, um auf die Tropfen zu horchen, die von dem zerbrochenen, nutzlosen Rad meiner Mühle klingen; aber auch sie ist zu jung, als dass die Lehre dieses Klanges den rechten Sinn für sie haben könnte, und zu jung sind auch Sie, Herr Leonhard.«
Mit den letzten Worten hatte sich die Bewohnerin der Katzenmühle von neuem an den Afrikaner gewendet und fuhr jetzt fort:
»Ich wollte Ihrer nicht spotten, mein Kind. ’s ist auch eine Kunst wie so manches andere; und wenn ich voreinst mehr davon wusste, so habe ich das gleich so manchem anderen lange verlernt hier in der Stille. Es ist ein übel Lachen in der Katzenmühle, wenn man allein sitzt und auf das Fallen der Wassertropfen horcht und auf den Häher tiefer im Walde. Man lernt das Lachen und den Spott nicht in der Einsamkeit! – Weshalb wollen Sie das, was Sie in der Wüste erlebten und dachten, nicht auf eine Tafel malen, um es dem Volke zu zeigen und zu deuten? Viele kluge und gute Leute haben dasselbe getan und so einen großen Nutzen gestiftet, indem sie ihr Schicksal, ihre schweren Mühen und Arbeiten, ihr Glück und Unglück sing- und sagbar machten. Denken Sie nach über das, was Sie erlebten; – hier im Walde, auf der Landstraße des Herrn Vetters, in Ihrer Eltern Hause, überall denken Sie darüber nach, und wenn Sie wollen, können Sie auch niederschreiben, was Sie für nützlich und neu halten. Es ist ein schöner Sommer, die Tage sind lang, und man hat volle Zeit, sich allerlei zu überlegen, bis der Herbst in das Land kommt; – nachher, wenn Sie genug zusammengetragen haben, reden Sie zu dem Volke davon, Sie werden tausend Hörer finden, und wenn Sie Ihre Sache recht machen, so sollen Sie sich wundern, wie schnell sich Steine in Gold, Verdruss in Wohlbehagen und großes Elend in noch größeres und sehr dauerhaftes Glück verwandeln können.«
»Was sagst du, Leonhard? Was habe ich dir gesagt?« rief der Wegebauinspektor in heller Begeisterung. »Haben wir an die rechte Tür geklopft? O Frau Klaudine, was hätte aus mir werden können, wenn Sie Anno neunzehn in Mainz an der Tür der Zentraluntersuchungskommission auf mich gewartet hätten! Rühr dich, Leonhard, und küsse der Madam Klaudine die Hand, oder ich ziehe die meinige so vollständig von dir ab wie nur je der Stamm Levi von der übrigen Vetternschaft, wenn der Kirchenzehnte in Gefahr kam, weil Bacchus und Venus, Baal oder der Drache zu Babel es billiger taten.«
Die Herrin der Katzenmühle erhob drohend lächelnd den Finger und sagte:
»Herr Vetter, Herr Vetter, es ist sicherlich zu jeder Zeit ein schweres Stück Arbeit gewesen, Sie einen Weg zu führen, den Sie nicht gehen wollten. Jetzt halten Sie gefälligst den Mund und lassen mich aussprechen. Sie fallen vom Monde herab, Herr Hagebucher, und haben somit viel zu erzählen; singen Sie Ihr Lied vor Ihrer bunten Tafel, und das Leben der Gegenwart, das Sie unter so großen Mühen wiederzufinden suchen, wird gewiss zu Ihnen kommen, und wohl Ihnen, wenn es Sie nicht ertränkt und erstickt mit seinen bittern, trüben Fluten.«
Leonhard Hagebucher hatte die Stirn tief gesenkt; der Vetter Wassertreter aber schlug von neuem mit großer Gewalt auf sein Knie und rief begeistert:
»Madam Klaudine, der Bursche kann’s machen, und ich werde ihm helfen! Hurra, da sollen nicht Nippenburg und Bumsdorf allein Augen und Ohren aufsperren! Vivat, jetzt haben wir eine Beschäftigung für den Winter –«
»Wo steht Euer trefflicher Gaul, Herr Wegebauinspektor?« unterbrach die Frau Klaudine den Entzückten, und der Vetter, der gern noch länger das Wort behalten hätte, antwortete:
»Nun, im Ochsen, wie gewöhnlich.«
»So tut mir den Gefallen, Liebster, und schlendert hin zum Ochsen; reitet heim und lasst mir diesen hier noch einige Augenblicke allein; ich schicke ihn Euch so bald als möglich nach. Ihr habt mir ein freundliches Zutrauen erwiesen, Herr Vetter, indem Ihr Euren Schützling mir zuführtet, und dass ich dasselbe nicht täuschen werde, wisst Ihr. Lasst mir den Herrn Leonhard noch ein Stündchen, ich verspreche Euch auch, dass Ihr noch viele Freude an ihm erleben sollt.«
Der Vetter Wassertreter machte eine Bewegung, als ob er sich die Hände wasche, und sagte greinend, indem er sich langsam erhob:
»Madam Klaudine, es ist sicher, dass Ihr eine kluge Frau seid und dass man sich auf Euch jederzeit verlassen kann, auch wenn Ihr einem den Stuhl vor die Tür setzt. Ich habe schon Zerbrechlicheres als den Vetter Hagebucher in Eure Hände gelegt; also wünsche ich Euch hiermit einen guten Abend und marschiere Eurem Wunsche gemäß nach dem Ochsen. Bringt ihn ’rum, ich meine den Jüngling aus Afrika, und lasst nicht los, eh Ihr seiner Unmündigkeit auf die Beine geholfen habt. Sei brav, Leonhard, und bedenke, wie viel Liebe und Ehre dir angetan wird. Solltest du mich bis gegen zwei Uhr morgens noch nötig haben, so melde dich unter meinem Fenster; du weißt, dass der Schlaf meine schwache Seite ist.«
»Guten Abend, Herr Wegebauinspektor!« rief die Frau Klaudine ein wenig ungeduldig; der Vetter Wassertreter küsste mit großer Zierlichkeit die Hand gegen sie und verschwand endlich pfeifend hinter den Büschen, ein gut Stück Weges begleitet von dem Wächter der Katzenmühle, einem stattlichen weißen Spitzhund, dessen Verwandtschaft in sehr guten Umständen