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sah ihn zwischen den Schiffsschnäbeln laufen, dann auf den drei schrägen Treppen hinaufeilen und schließlich oben gegen die rote Tür mit der Wucht seines ganzen Körpers anrennen. Schwer atmend lehnte er sich an die Mauer, um nicht umzusinken.

      Ein Mann war ihm nachgefolgt, und in der Dunkelheit – der Lichterschein des Festes wurde durch die Ecke des Palastes abgeschnitten – erkannte er Spendius.

      »Weg!« rief Matho.

      Ohne etwas zu erwidern, begann der Sklave seine Tunika mit den Zähnen zu zerreißen. Dann kniete er neben Matho nieder, faßte behutsam dessen Arm und befühlte ihn, um im Dunkeln die Wunde zu finden.

      Ein Mondstrahl glitt aus einer Wolkenspalte, und Spendius erblickte in der Mitte des Armes eine klaffende Wunde. Er verband sie mit dem Stück Stoff. Doch der andre rief zornig:

      »Laß mich! Laß mich!«

      »Nein, nein!« antwortete der Sklave. »Du hast mich aus dem Kerker befreit. Ich bin dein, und du bist mein Gebieter! Befiehl!«

      Matho tastete sich an der Mauer hin, die ganze Terrasse entlang. Bei jedem Schritte horchte er auf und tauchte seinen Blick durch die vergoldeten Gitterstäbe hinein in die stillen Gemächer. Endlich blieb er verzweifelt stehen.

      »Höre!« redete der Sklave ihn an. »Verachte mich nicht wegen meiner Armseligkeit! Ich habe in diesem Palast gelebt. Wie eine Schlange kann ich durch die Mauern schlüpfen. Komm! In der Ahnengruft liegt ein Goldbarren unter jeder Steinfliese. Ein unterirdischer Gang führt zu den Gräbern ...«

      »Was kümmert das mich!« antwortete Matho.

      Spendius schwieg.

      Sie standen auf der Terrasse. Eine ungeheure Schattenmasse breitete sich vor ihnen in phantastischer Gliederung aus, wie die gigantischen Wogen eines schwarzen versteinerten Meeres.

      Da glühte im Osten ein lichter Streifen auf. Und tief unten begannen die Kanäle von Megara mit ihren silbernen Windungen im Grün der Gärten aufzublitzen. Allmählich reckten die kegelförmigen Dächer der siebenseitigen Tempel, die Treppen, Terrassen und Wälle ihre Umrisse aus dem bleichen Morgengrau heraus. Rings um die karthagische Halbinsel brodelte ein weißer Schaumgürtel. Das smaragdgrüne Meer schlief noch in der Morgenfrische. Je höher die Röte am Himmel emporstieg, um so deutlicher wurden die hohen Häuser, die sich an die Hänge klammerten oder wie eine zu Tal ziehende Herde schwarzer Ziegen abwärts drängten. Die menschenleeren Straßen schienen endlos lang. Palmen, die hier und da die Mauern überragten, standen regungslos. Die bis an den Rand gefüllten Zisternen in den Höfen glichen silbernen dort liegen gelassenen Schilden. Das Leuchtturmfeuer auf dem hermäischen Vorgebirge glimmte nur noch. Im Zypressenhain oben auf dem Burgberge setzten die Rosse Eschmuns, des Tages Nahen witternd, ihre Hufe auf die Marmorbrüstung und wieherten der Sonne entgegen.

      Sie tauchte auf. Spendius erhob die Arme und stieß einen Schrei aus.

      Alles war von Rot überflutet. Der Gott goß wie in Selbstopferung den Goldregen seines Blutes in vollen Strömen über Karthago aus. Die Schnäbel der Galeeren blitzten, das Dach des Khamontempels schien ein Flammenmeer, und im Innern der andern Tempel, deren Pforten sich nun auftaten, schimmerten matte Lichter. Große Karren, die vom Lande hereinkamen, rollten und rasselten über das Straßenpflaster. Dromedare, mit Ballen beladen, schwankten die Abhänge hinab. Die Wechsler in den Gassen spannten die Schutzdächer über ihren Läden auf. Störche flogen dahin. Weiße Segel flatterten. Im Haine der Tanit erklangen die Schellentrommeln der geheiligten Hetären, und auf der Höhe der Mappalierstraße begann der Rauch aus den Öfen zu wirbeln, in denen die Tonsärge gebrannt wurden.

      Spendius beugte sich über das Geländer. Seine Zähne schlugen aufeinander.

      »Ja ... ja ... Herr!« wiederholte er mehrmals. »Ich begreife, warum du soeben vom Plündern des Hauses nichts wissen wolltest!«

      Matho erwachte beim Zischen dieser Stimme wie aus einem Traume. Offenbar hatte er die Worte nicht verstanden.

      »Ach, was für Reichtümer!« hob Spendius von neuem an. »Und ihre Besitzer haben nicht einmal Schwerter, sie zu verteidigen!«

      Dann wies er mit der ausgestreckten Rechten auf ein paar Leute aus dem niedern Volke, die auf dem Sande vor dem Hafendamm herumkrochen und Goldkörner suchten.

      »Sieh!« sagte er. »Die Republik gleicht diesen Schelmen. An den Gestaden der Meere hockend, wühlt sie mit gierigen Händen in allen Landen. Das Rauschen der Wogen betäubt ihr Ohr, und sie hört nichts; auch nicht wenn ihr von rückwärts der Tritt eines Herrschers nahte!«

      Damit zog er Matho nach dem andern Ende der Terrasse und zeigte ihm den Park, wo die Schwerter der Söldner an den Bäumen hingen und in der Sonne glänzten.

      »Hier aber sind starke Männer voll grimmigsten Hasses, die nichts an Karthago fesselt: keine Familie, keine Pflicht, kein Gott!«

      Matho stand an die Mauer gelehnt. Spendius trat dicht an ihn heran und fuhr mit flüsternder Stimme fort:

      »Verstehst du mich, Kriegsmann? In Purpurmänteln könnten wir einhergehen wie Satrapen. Uns in Wohlgerüchen baden. Ich hätte dann selber Sklaven! Bist du's nicht müde, auf harter Erde zu schlafen, den sauren Wein der Marketender zu trinken und ewig Trompetensignale zu hören? Später willst du dich ausruhen, nicht wahr? Wenn man dir den Küraß vom Leibe reißt und deinen Leichnam den Geiern vorwirft! Oder vielleicht, wenn du blind, lahm und altersschwach am Stabe einherschleichst, von Tür zu Tür, und kleinen Kindern und Hausierern von deinen Jugendträumen erzählst! Erinnere dich all der Schindereien deiner Vorgesetzten, der Biwaks im Schnee, der Märsche im Sonnenbrande, der Härte der Manneszucht und des stets drohenden Todes am Kreuze! Nach so vielen Leiden hat man dir einen Orden verliehen, just wie man den Eseln ein Schellenhalsband umhängt, um sie auf dem Marsche einzulullen, damit sie die Strapazen nicht merken! Ein Mann wie du, tapferer als Pyrrhus! Ach, wenn du nur wolltest! Ha! Wie wohl wäre dir zumute in einem hohen kühlen Saale bei Leierklang, auf einem Blumenlager, von Narren und Frauen umringt! Sag nicht, das seien Phantastereien! Haben die Söldner nicht schon Rhegium und andre feste Plätze Italiens besessen? Wer hindert dich? Hamilkar ist weit. Das Volk verabscheut die Patrizier. Gisgo vermag mit seinen Feiglingen nichts anzufangen! Du aber bist tapfer! Dir werden sie gehorchen. Führe du sie! Karthago ist unser! Erobern wir es!«

      »Nein!« sprach Matho. »Molochs Fluch lastet auf mir. Ich hab es in den Augen der Einzigen gelesen, und eben ist in einem Tempel ein schwarzer Widder vor mir zurückgewichen ... Wo ist sie?« fügte er hinzu, indem er sich umschaute.

      Spendius begriff, daß den Libyer eine ungeheure innere Erregung quälte. Er wagte nicht weiter zu reden.

      Die Bäume hinter ihnen glimmten noch. Aus verkohlten Zweigen fielen hin und wieder halbverbrannte Affenknochen in die Schüsseln hinab. Die trunkenen Söldner schnarchten mit offenem Munde neben den Leichen, und die nicht schliefen, senkten das Haupt, geblendet vom Morgensonnenlicht. Auf dem zerstampften Boden starrten große Blutlachen. Die Elefanten in ihren Pfahlgehegen schwenkten die blutigen Rüssel hin und her. In den offenen Speichern lag das Getreide ausgeschüttet, und unter dem Tor stand ein Wirrwarr von Karren, von den Barbaren ineinandergefahren. Die Pfauen auf den Zedernästen entfächerten ihre Schweife und begannen zu schreien.

      Mathos Unbeweglichkeit setzte Spendius in Staunen. Der Libyer war noch bleicher denn zuvor und verfolgte, beide Fäuste auf die Terrassenmauer gestützt, mit starrem Blick etwas am Horizont. Spendius beugte sich vor und entdeckte endlich, was jener betrachtete. Ein goldner Punkt rollte in der Ferne im Staub auf der Straße nach Utika. Es war die Radnabe eines mit zwei Maultieren bespannten Gefährts. Ein Sklave lief an der Spitze der Deichsel und hielt die Tiere an den Trensen. Auf dem Wagen saßen zwei Frauen. Die Schöpfe der Tiere standen nach persischer Sitte kammartig hoch zwischen den Ohren unter einem Netz von blauen Perlen. Spendius erkannte die Insassen. Er unterdrückte einen Aufschrei.

      Ein langer Schleier flatterte im Winde hinterdrein.

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