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wurde, weil ihm die vielen Fragen der Angestellten, die er nicht beantworten konnte, auf die Nerven gingen, wurde die Stimmung auch deshalb immer angespannter, weil sich Stefanies Kolleginnen und Kollegen ernsthafte Sorgen um ihre heimliche Chefin machten, die von fast allen sehr geschätzt, ja, fast verehrt wurde. Noch nie war sie mehrere Stunden lang einfach verschwunden, ohne Bescheid zu sagen, wo sie war – jedenfalls, wenn nichts passiert war. Die logische Schlußfolgerung lautete also: Es muß etwas passiert sein.

      Es war Stefanies Sekretärin, die schließlich bei einer Besprechung im Büro des Direktors mit zaghafter Stimme vorschlug, die Krankenhäuser der Umgebung anzurufen, um festzustellen, ob Frau Wagner vielleicht einen Unfall gehabt hatte und sich deshalb nicht aus eigener Kraft im Hotel melden konnte. Alle, die den Vorschlag hörten, schwiegen zunächst wie vom Donner gerührt – sie hatten vielleicht so etwas gedacht, aber nicht gewagt, eine solche Befürchtung laut auszusprechen. Nun also stand sie im Raum.

      Auch der Chef reagierte zunächst mit Schweigen, dann jedoch rief er: »Worauf warten Sie noch? Wenn Sie die Idee schon haben, dann rufen Sie gefälligst auch an! Beeilen Sie sich, das hätten wir längst tun sollen!«

      Die Sekretärin verschwand eingeschüchtert und hängte sich in ihrem eigenen Büro sofort ans Telefon, auch die anderen Angestellten verließen eilig das Chefbüro. Am besten war es, wenn man Direktor Wingensiefen im Augenblick aus dem Weg ging – bis Stefanie Wagner wieder da war, die es am besten verstand, ihn zu nehmen.

      *

      Müde kehrte Adrian, nachdem er im Aufwachraum noch einmal nach Marc Weyrich gesehen hatte, in die Notaufnahme zurück. Die Operation hatte ohne Komplikationen beendet werden können, und er hatte seinen jungen Assistenten am Ende ausdrücklich gelobt, was diesen heftig hatte erröten und stammeln lassen. Aber Adrian, der selbst durch eine harte Schule gegangen war, wußte, wie wichtig es war, für eine gute Leistung auch einmal gelobt zu werden.

      In der Notaufnahme herrschten inzwischen fast schon wieder normale Zustände, obwohl noch immer Patienten mit Brandwunden zu behandeln waren. Was für ein Tag, dachte er. Zuerst eine solche Katastrophe – und dann noch eine zweite gleich hinterher.

      »Hallo, Julia«, sagte er.

      »Du siehst schrecklich aus«, stellte sie fest.

      »Wenn ich ehrlich sein soll: Richtig frisch wirkst du auch nicht.«

      Sie tätschelte seine Wange. Bernd Schäfer, der gerade eine Behandlungskabine verließ, sah das und bemerkte: »Keine vertraulichen Gesten während der Arbeitszeit, bitte.«

      »Komm her«, sagte Julia, »du kriegst auch eine Streicheleinheit, damit du nicht eifersüchtig bist.«

      Er war mit zwei Schritten bei ihr, und sie strich ihm liebevoll über beide Wangen. »Zufrieden?«

      »Mhm«, brummte Bernd. Er sah ebenfalls völlig erschöpft aus. »Wenn es solche Tage wie heute öfter gäbe, würde ich den Beruf wechseln.«

      »Ach« sagte Julia in diesem Augenblick, »da fällt mir ein, daß ich dir vor der Operation ja noch sagen wollte, daß eine Bekannte von dir hier ist, Adrian. Aber du warst schon weg. Frau Wagner. Sie war mit Herrn Weyrich im Zoo und hat alles mit angesehen. Außerdem hat sie ihm, wenn ich das richtig sehe, vermutlich das Leben gerettet.«

      Adrian war zu müde, um sich vollkommen zu beherrschen, und so war ihm seine Erregung durchaus anzumerken, als er fragte: »Ist sie noch hier? Wie geht es ihr?«

      »Ja, sie ist noch hier. Sie hatte einen Schock, ich habe ihr eine Spritze gegeben, daraufhin ist sie eingeschlafen. Sie war schon einmal wach, ist aber immer noch so müde, daß ich ihr geraten habe, noch zu bleiben.« Julia machte eine Handbewegung. »Sie liegt da vorn, in Kabine sieben.«

      »Ich sehe mal nach ihr«, murmelte Adrian.

      Als sie allein waren, sagte Bernd leise: »Scheint ihm aber ziemlich viel zu liegen an dieser Bekannten, was?«

      »Sieht so aus«, antwortete Julia nachdenklich. »Sieht ganz so aus, Bernd.«

      *

      Stefanie schlug die Augen auf und war sicher, daß sie träumte. Sie zwinkerte und sah den Mann, der sich über sie beugte, danach noch einmal an – aber er sah immer noch aus wie Adrian Winter. Und als er nun mit leiser Stimme sagte: »Hallo, Frau Wagner«, begriff sie, daß sie wohl doch wach war.

      Sie versuchte es mit einem Scherz. »Wir waren heute abend verabredet, Herr Winter – und weil Sie keine Zeit hatten, bin ich eben hierher gekommen.«

      Er setzte sich. »Die Brandkatastrophe«, sagte er müde. »Das allein war schon schlimm genug – und dann auch noch dieser Unfall im Zoo.« Er betrachtete sie aufmerksam. »Geht es Ihnen besser? Meine Kollegin sagte mir, daß Sie einen Schock hatten. Sie haben also alles mit angesehen?«

      »Ja, aus nächster Nähe«, erklärte sie und schlang unwillkürlich die Arme um ihren Körper, als müsse sie sich schützen.

      Er mußte sie gar nicht auffordern, sie erzählte von sich aus, was sich ereignet hatte. Und dabei fiel ihm auf, daß sie immer »Herr Weyrich« sagte, wenn sie von seinem Kollegen sprach. War es denn möglich, daß sie einander doch nicht so gut kannten, wie er angenommen hatte?

      »Jedenfalls haben wir die beiden gerade noch aus dem Gehege holen können, bevor der Eisbär mit seinen Genossen wieder zurückkam«, schloß sie. Sie sah ihn an. »Haben Sie schon einmal gesehen, wie riesig ein Eisbär ist, wenn er einem Menschen gegenüber steht? Wenn er richtig zugeschlagen hätte, dann wäre Herr Weyrich tot gewesen – und der Wärter auch. Sie hätten keine Chance gehabt, Herr Winter.«

      »Sicher nicht«, sagte er, und dann stellte er endlich die Frage, die ihm auf der Seele lag. »Woher kennen Sie Herrn Weyrich eigentlich?«

      »Er ist mein Nachbar seit kurzem«, antwortete sie und lächelte ihn an. »Ehrlich gesagt, ich wußte seit ein paar Tagen, daß er hier arbeitet, aber ich habe ihm nicht verraten, daß ich Sie kenne.«

      »Warum nicht?« fragte er leise.

      »Ich wollte es lieber für mich behalten«, antwortete sie. »Außerdem kenne ich Herrn Weyrich nicht besonders gut, da muß ich ihm ja nicht gleich meine Geheimnisse verraten, nicht?«

      »Nein«, sagte er, und auf einmal war seine Müdigkeit wie weggeblasen, wilde Freude erfüllte ihn. Vergessen war jener andere Mann, den er noch immer für Stefanie Wagners Freund hielt – im Augenblick ging es nur um Marc Weyrich. »Und ich dachte, Sie wären vielleicht…«

      Er stockte. War er verrückt geworden? Wollte er ihr etwa erzählen, was er geglaubt hatte? Verlegen suchte er nach einem Ausweg. »Na ja, ich dachte, Sie müßten ihn ziemlich gut kennen – schließlich sind Sie ja während Ihrer Arbeitszeit mit ihm in den Zoo gegangen. Und so, wie ich Ihre Arbeitsmoral kenne, also…«

      Sie strahlte ihn an. »Haben Sie etwa gedacht, Herr Weyrich und ich…?«

      Er nickte.

      »O nein«, erklärte sie. »Ich glaube, er hat sein Herz bereits verloren, wenn ich auch nichts Genaues weiß. Aber als Frau hat man so etwas im Gefühl.«

      Er kam nicht mehr dazu, zu antworten, denn von der Tür her sagte Julia: »Adrian? Tut mir leid, aber es geht weiter – noch drei Brandopfer, die man eben erst gefunden hat.«

      »Ich muß gehen, Frau Wagner.« Er drückte ihre Hand und fügte mit gedämpfter Stimme hinzu: »Aber unser Abendessen holen wir bald nach, ja?«

      »Sehr gern«, sagte sie – und ihr Lächeln begleitete ihn in den nächsten Stunden, die noch einmal vollen Einsatz von allen Ärzten, Schwestern und Pflegern der Notaufnahme forderten.

      *

      »Gute Nacht, Frau Roth«, sagte Janine leise. »Ich muß jetzt gehen. Aber ich möchte Ihnen vorher noch sagen, daß ich froh bin, Sie kennengelernt zu haben. Sie haben mir in den letzten Tagen sehr geholfen.«

      »Das kann ich nur zurückgeben«, erwiderte Alida.

      »Ach, nein«, entgegnete

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