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Gesammelte Romane: 15 Romane in einem Band. Оноре де Бальзак
Читать онлайн.Название Gesammelte Romane: 15 Romane in einem Band
Год выпуска 0
isbn 9788026813170
Автор произведения Оноре де Бальзак
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
»Mama, wieviel Louis bekommt man für ein Stückfaß Wein?«
»Dein Vater verkauft sie, soviel ich habe sagen hören, für hundert bis hundertfünfzig Francs, manchmal auch für zweihundert.«
»Wenn er also vierzehnhundert Stückfaß Wein erntet . . .?«
»Ich weiß wirklich nicht, mein Kind, wieviel das ausmacht; dein Vater spricht mir nie von seinen Geschäften.«
»Aber demnach muß Papa reich sein.«
»Vielleicht. Aber Monsieur Cruchot hat mir gesagt, daß er vor zwei Jahren Froidfond gekauft hat; das wird ihn etwas beengen.«
Eugénie, die sah, daß sie sich über die Vermögensverhältnisse ihres Vaters keine Klarheit verschaffen konnte, gab ihre Berechnungen auf.
»Er hat mich überhaupt nicht gesehen, der liebe junge Monsieur«, sagte Nanon, wieder eintretend. »Er liegt quer über seinem Bett, wie ein totes Kalb, und weint wie die heilige Magdalena; das ist ein rechter Segen! Was für Kummer hat denn das arme hübsche Jungchen?«
»Komm, schnell, Mama, wir wollen ihn trösten, und wenn dann ans Haustor geklopft wird, kommen wir schnell wieder herunter.«
Madame Grandet war wehrlos gegenüber den reinen, sanften Worten ihrer Tochter. Eugénie war himmlisch erhaben, sie war Weib. Alle beide stiegen klopfenden Herzens hinauf in Charles' Zimmer. Die Tür war offen. Der junge Mann sah und hörte nichts. In Tränen gebadet lag er da und stieß unartikulierte Klagerufe aus. »Wie er seinen Vater liebt!« sagte Eugénie mit leiser Stimme.
Der Tonfall, in dem diese Worte gesprochen wurden, verriet nur zu deutlich die Hoffnungen eines liebenden – unbewußt liebenden Herzens. Madame Grandet blickte voll mütterlicher Innigkeit auf ihre Tochter; dann sagte sie ihr ganz leise ins Ohr: »Nimm dich in acht, du könntest ihn lieben!«
»Ihn lieben!« erwiderte Eugénie. »Ach, wenn du wüßtest, was der Vater gesagt hat.«
Charles drehte sich herum und gewahrte Tante und Cousine.
»Ich habe meinen Vater verloren, meinen armen Vater! Wenn er mir das Geheimnis seines Unglücks anvertraut hätte, so hätten wir alle beide arbeiten können, um es wiedergutzumachen. Mein Gott! Mein armer, guter Vater! Ich glaubte so bestimmt, ihn wiederzusehen, daß ich, soviel ich weiß, nur ganz oberflächlich Abschied von ihm nahm.« Schluchzen erstickte seine Stimme.
»Wir wollen recht innig für ihn beten«, sagte Madame Grandet. »Ergeben Sie sich in den Willen Gottes.«
»Lieber Cousin«, sagte Eugénie, »haben Sie Mut! Ihr Verlust ist unwiederbringlich: Sie müssen jetzt daran denken, Ihre Ehre zu retten . . .«
Mit dem Instinkt, dem Feingefühl der Frau, die immer, auch wenn sie Trost zuspricht, verständig bleibt, wollte Eugénie den Cousin von seinem Kummer ablenken, indem sie seine Gedanken auf ihn selbst hinwies.
»Meine Ehre? . . .« schrie der junge Mann und warf die Locken zurück, die ihm wirr ins Gesicht hingen. Und er setzte sich aufrecht aufs Bett und kreuzte die Arme. »Ach, es ist wahr. Mein Onkel sagte, mein Vater habe Bankrott gemacht.«Er stieß einen herzzerreißenden Schrei aus und barg das Gesicht in den Händen. »Lassen Sie mich, liebe Cousine, lassen Sie mich! Mein Gott, mein Gott! vergib meinem armen Vater; er muß sehr gelitten haben.«
In diesem gewaltigen Ausbruch eines jungen, aufrichtigen, rückhaltlosen Schmerzes lag etwas furchtbar Anziehendes. Es war ein keusches Leid, das die schlichten Herzen Eugénies und ihrer Mutter wohl verstanden, als Charles nun durch eine Gebärde bat, ihn sich selbst zu überlassen.
Sie stiegen hinunter, nahmen schweigend wieder ihre Plätze am Fenster ein und arbeiteten wohl eine ganze Stunde lang, ohne ein Wort miteinander zu wechseln. Eugénie, die einen flüchtigen Blick auf die Reiseausstattung des jungen Mannes geworfen hatte – den schnell erfassenden Blick eines jungen Mädchens –, hatte die reizendsten Toilettenkleinigkeiten bemerkt, feine Scheren und Rasiermesser, alles goldgeziert. Dieser Prunk in Verbindung mit dem großen Schmerz des Cousins hatte ihr Charles noch interessanter erscheinen lassen – vielleicht infolge des Kontrastes. Niemals hatte ein so trauriges Ereignis, ein so dramatisches Schauspiel den Geist der beiden Frauen, die nichts als Ruhe und Einsamkeit kannten, gefesselt.
»Mama«, sagte Eugénie, »wir werden für den Onkel Trauer anlegen.«
»Dein Vater wird das bestimmen«, erwiderte Madame Grandet.
Sie schwiegen wieder. Eugénie handhabte die Nadel mit einer Regelmäßigkeit, die einem aufmerksamen Beobachter verraten hätte, in welch tiefen Gedanken sie war. Der erste Wunsch dieses herrlichen Mädchens war der, die Trauer ihres Cousins zu teilen.
Gegen vier Uhr ertönte ein roher Hammerschlag an die Haustür und hallte nach im Herzen Madame Grandets.
»Was hat dein Vater nur?« sagte sie zu ihrer Tochter.
Der Weinbauer trat ein; er war vergnügt. Nachdem er die Handschuhe ausgezogen hatte, rieb er sich die Hände, so gewaltig, als wolle er die Haut abwetzen; doch die Haut seiner Hände war gegerbt wie russisches Leder, jedoch ohne den Geruch von Lärchenholz und Weihrauch. Er schritt auf und ab, er sah nach der Uhr. Schließlich entschlüpfte ihm sein Geheimnis.
»Frau«, sagte er, ohne zu stottern, »ich habe sie alle gefaßt. Unser Wein ist verkauft! Die Holländer und Belgier sind heute früh abgereist; ich spazierte vor ihrem Gasthof auf und ab und stellte mich recht einfältig. Da ist es mir, wie immer, geglückt. Die Besitzer aller guten Weingärten wollen ihre Ernte noch nicht hergeben, sie wollen warten; ich habe sie nicht gehindert. Unser Belgier war verzweifelt; das habe ich gesehen. Abgemachte Sache also: er nimmt unsere Ernte zu zweihundert Francs das Stückfaß, die Hälfte in bar. Man zahlt mir in Gold. Die Wechsel sind ausgestellt; hier sind sechs Louis für dich. In drei Monaten werden die Weinpreise sinken.«
Diese letzten Worte sagte er ruhig, doch so ironisch, daß die Leute von Saumur, die gerade auf dem Stadtplatz in Gruppen beieinander standen und von der Nachricht des Grandetschen Verkaufs niedergeschmettert waren, ein Schaudern erfaßt haben würde, wenn sie sie vernommen hätten. Ein panischer Schrecken hätte die Weine um fünfzig Prozent sinken lassen.
»Sie haben dies Jahr tausend Stückfaß, lieber Vater?« sagte Eugénie.
»Ja, Töchterchen.« Diese Bezeichnung war der Superlativ der Freudenäußerungen, deren der alte Böttcher fähig war.
»Das macht also zweihunderttausend Zwanzigsousstücke?«
»Jawohl, Mademoiselle Grandet.«
»Nun, Vater, dann ist es Ihnen ein leichtes, Charles zu unterstützen.«
Das Erstaunen, der Zorn, die Verblüffung Belsazars, als er das ›Mene-Tekel-Upharsin‹ gewahrte, sind nichts im Vergleich mit der eisigen Wut Grandets, der gar nicht mehr an seinen Neffen gedacht hatte und ihn nun im Herzen und in den Gedanken seiner Tochter eingenistet fand.
»So, so! Seit dieser Zierbengel den Fuß in mein Haus gesetzt hat, geht hier alles drunter und drüber. Ihr maßt euch an, Zuckerzeug zu kaufen, und denkt an Hochzeit und Festlichkeiten. Ich wünsche dergleichen Dinge nicht! Ich bin alt genug, um zu wissen, wie ich mich zu benehmen habe. Ich brauche mich weder von meiner Tochter noch von sonst jemandem belehren zu lassen. Ich werde für meinen Neffen tun, was zu tun angebracht ist; ihr habt da nicht die Nase hineinzustecken. Was dich angeht, Eugénie«, fügte er, zur Tochter gewendet, hinzu, »sprich mir nicht mehr von ihm, sonst schick ich dich mit Nanon nach der Abtei von Noyers; gib acht, ob ich's nicht tue – und spätestens morgen, wenn du widersetzlich bist. Wo ist er denn, der Bursch? Ist er heruntergekommen?«
»Nein, mein Lieber«, antwortete Madame Grandet.
»Nun, was tut er denn?«
»Er beweint seinen Vater«, erwiderte Eugénie.
Grandet blickte stumm auf seine Tochter. Er, Grandet, war kein herzlicher Vater. – Nachdem er zwei-, dreimal die Runde durch den Saal gemacht hatte, stieg er