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Der Kombüsenaufbau existierte nur noch als Fragment, die Trümmer, soweit sie nicht von der See über Bord gewaschen worden waren, wurden soeben von ein paar Männern und dem Kutscher beiseite geräumt.

      Die Blinde und einen Teil des Bugspriets hatte die See abgerissen. Dadurch war das laufende und stehende Gut des Fockmastes in Unordnung geraten und mußte ebenfalls klariert werden.

      Was dem Seewolf jedoch die meiste Sorge bereitete, war das Leck an Steuerbord, das ihnen der Mast geschlagen hatte. Zwar nahm die „Isabella“ kein Wasser, denn Ferris Tukker hatte das Leck abgedichtet, und außerdem befand es sich oberhalb der Wasserlinie. Aber — und das hatte der Schiffszimmermann erst nachträglich, nach Abflauen des Sturmes, herausgefunden – bei der Kollision mit jenem schweren Mastbaum war ein Spant im Vorschiff eingedrückt worden. Ein Schaden, der sich auf See nicht reparieren ließ, dessen Behebung sich auch für einen Mann wie Ferris Tucker als problematisch erwies und durch den die „Isabella“ erheblich an Seetüchtigkeit einbüßte.

      Ben Brighton tauchte auf dem Hauptdeck auf. Er blickte nur kurz zum Seewolf hoch, ehe er von der Kuhl aus zum Achterdeck aufenterte. Hasard sah sofort, daß er keine guten Nachrichten brachte, denn seine Züge wirkten verschlossen, eine Seltenheit bei Ben.

      Der Seewolf ging ihm entgegen.

      „Wie sieht es unter Deck aus?“ fragte er, als Ben die letzten Stufen zum Achterkastell emporstieg.

      Der Bootsmann, Gefährte vieler riskanter Unternehmungen, einer der engsten Vertrauten des Seewolfs, sah Hasard nur an.

      „Miserabel“, erwiderte er. „Ferris kann an den verdammten Spant nicht heran, die Bruchstelle liegt zu weit unten. Der Mast muß ihn von unten her gerammt haben, ehe er das Loch in die Bordwand schlug. Die Bordwand ist unter der Back auf einer Länge von mehreren Yards eingedrückt, und wir können von Glück sagen, daß sie diesen Stoß überhaupt ausgehalten hat. Andernfalls befänden wir uns längst samt allem Gold, Schmuck und Silber bei den Fischen.“ Der Seewolf preßte die Lippen zusammen. Er wußte, was diese Nachricht bedeutete. Die „Isabella“ segelte auf die Küste Kolumbiens zu. Etwas weiter nördlich lag Panama, das Zentrum der spanischen Konquistadoren, ihr größter Stützpunkt für alle Aktionen an den Küsten der Neuen Welt. Eine weitere, schwerwiegende Gefahrenquelle. Blieb für die „Isabella“ nur die Möglichkeit, sich in eine versteckte Bucht zu mogeln und dort zu versuchen, die Schäden zu beheben. Aber da war noch eine zweite Möglichkeit.

      Unwillkürlich erschienen über Hasards Nasenwurzel wieder jene zwei tiefen und harten Falten, die er immer hatte, wenn ihn ein schwieriges Problem beschäftigte. Er ließ Ben Brighton stehen, ohne ein einziges Wort gesprochen zu haben und begann, unruhig auf dem Achterdeck hin und her zu wandern. Ben Brighton beobachtete ihn aus schmalen Augen. Er hatte schon längst gespürt, daß den Seewolf irgend etwas seit Tagen beschäftigte, daß er mit irgendeinem Entschluß rang.

      Kurzentschlossen trat er auf Hasard zu.

      „Was ist los mit dir?“ fragte er. „Wenn du ein Problem hast, dann sprich dich aus, bisher haben wir noch immer alle Schwierigkeiten zusammen gemeistert. Also?“

      Der Seewolf war stehengeblieben. Dann nickte er.

      „Gut, Ben. Es ist an der Zeit, daß ich die Katze aus dem Sack lasse. Die letzten Ereignisse, die Schäden, die uns dieser Sturm zugefügt hat, geben den Ausschlag. Hol Ferris, Carberry, Smoky, Ribault und von Hutten. Ich erwarte euch in meiner Kammer. Wir wollen die Sache dort zunächst unter uns besprechen, bevor ich der Crew etwas sage.“

      Der Seewolf wandte sich um, verschwand in Richtung Niedergang und ließ den verblüfften Ben Brighton einfach stehen.

      Der Bootsmann starrte ihm nach. Dann kratzte er sich am Schädel.

      „Junge, Junge“, murmelte er. „Wenn mich nicht alles täuscht, dann hat er wiedermal ein ganz dickes Ei ausgebrütet. Na, wir werden sehen!“

      Ben Brighton verschwand ebenfalls über den Niedergang, um die vom Seewolf benannten Männer zu holen.

      Als Ben Brighton mit den anderen die Kammer des Seewolfs betrat, hatte Hasard ein paar der erbeuteten spanischen Seekarten ausgebreitet. Er bot den Gefährten Platz an und stellte eine Flasche Rum auf den Bohlentisch, der sich unterhalb eines Fensters an Steuerbord befand.

      Ben und die anderen setzten sich.

      Ferris Tucker fackelte nicht lange. Er goß sich einen gehörigen Schluck Rum ein und sah Hasard an.

      „Schieß los! Ich kann nicht allzulange weg von da vorn.“ Er deutete mit dem Kopf in Richtung Back. „Das ist eine Sache, die der Schiffszimmermann selber regeln muß. Die alte ‚Isabella‘ hat heute nacht einen gehörigen Knuff einstek-ken müssen. Bei der Ladung, die wir im Bauch haben, bedeutet das, daß wir wie ein Stein absacken, sobald der Spant nachgibt und die Bordwand zusammenbricht. Das ist die Lage, Hasard.“

      Der Seewolf trank ihm zu.

      „Gut, daß du es so unverblühmt sagst, Ferris. Ich hätte dich nachher sowieso danach gefragt. Aber ich will zur Sache kommen.“

      Er nahm abermals einen Schluck, dann sah er die Gefährten an.

      „Unser Schiff ist randvoll. Wir haben keinen Platz mehr für weitere Beute. Mit anderen Worten: Es wird Zeit, daß wir nach England zurücksegeln. Dreiviertel der Beute für Elisabeth, ein Viertel für uns. Genug für jeden Mann der Crew, um bis an sein Lebensende als reicher Mann zu leben. Wenn ihr mir das nicht glaubt, dann überprüft die Ladung in einer ruhigen Stunde. Der Wert dessen, was wir in unseren Laderäumen haben, ist überhaupt nicht zu schätzen, das wird erst in England möglich sein.“

      Carberry hatte den Kopf in beide Hände gestützt. Jetzt hob er ihn und stieß sein Rammkinn vor.

      „Gute Idee, ich hätte wirklich nichts dagegen, Merry Old England mal wiederzusehen. Aber wie willst du mit diesem angeschlagenen Eimer dorthin segeln? Wir sind auf der anderen Seite der Neuen Welt. Wir müssen wieder zurück, zur Magellanstraße, in die Stürme am Kap der Dämonen. Und das mit dieser Ladung im Bauch, mit einem Schiff, das um vieles kleiner ist als damals die ‚Golden Hind‘, das erst noch gründlich repariert werden müßte. Hast du diese ganzen Punkte bedacht?“

      Der Seewolf beugte sich über eine der Karten und nickte.

      „Du hast recht, wenn wir den Seegang wählen, müssen wir wieder durch die Magellanstraße. Also an der ganzen feindlichen Küste entlang, an der wird die Dons durch unsere Aktionen in Aufruhr versetzt haben. Wir müßten damit rechnen, irgendwo von spanischen Schiffen aufgelauert und gestellt zu werden. Keiner von uns scheut den Kampf, aber gegen eine wirkliche Übermacht hätten auch wir keine Chancen, zumal unsere Pulvervorräte und unser Bestand an Kanonenkugeln, Stangenkugeln und so weiter ebenfalls zur Neige gehen. Auch die müßten wir den Dons in einem Handstreich erst wieder abnehmen. Das könnte zur Folge haben, daß die Dons in Panama an Schiffen mobilisieren, was sie flottkriegen können. Diese und andere Gefahren würden auf dem Seeweg auf uns lauern ...“

      Smoky hatte sich, nachdem er gerade einen gewaltigen Schluck aus der Rumbuddel genommen hatte, plötzlich steil aufgerichtet.

      „He, was soll denn das heißen, wenn wir den Seeweg wählen? Willst du unserer ‚Isabella‘ vielleicht Räder untermontieren und sie über Land karren?“

      Jean Ribault, der Franzose, grinste plötzlich, auch von Hutten zog ein nachdenkliches Gesicht. Aber die beiden fanden keine Zeit mehr, etwas zu sagen, denn Hasard hatte eine der Karten herumgedreht, und vor den überraschten Gefährten ausgebreitet.

      „Ich will zwar nicht die ‚Isabella‘ über Land karren, Smoky“, sagte er. „Aber an der Sache mit dem Weg über Land ist was dran. Da, seht euch diese Karte an.“ Er ging um den Tisch herum und stellte sich zwischen die Männer. „Wir erreichen die Küste Kolumbiens etwa hier, wenn wir den eingeschlagenen Kurs beibehalten.“

      Die Männer beugten sich vor, während der Seewolf den Zeigefinger seiner Rechten auf eine Stelle südlich von Cap Corriente legte.

      „Dort liegt die spanische Niederlassung Baudo“, erklärte

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