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Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band). Peter Rosegger
Читать онлайн.Название Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band)
Год выпуска 0
isbn 9788075837325
Автор произведения Peter Rosegger
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Das war eine der verschiedenen Stimmungen, welche den armen Mann durchzogen. Zu anderen Stunden dünkte ihm alles wieder anders.
Wenn es mir blos nach dem Himmel gelüstete, sagte er sich einmal, so erbettle ich ihn nicht von Gott, sondern von den Menschen. Vom Kind die Unschuld, vom Jüngling die Schönheit, vom Manne die Kraft, vom Greise die Güte, das zusammen gäbe den Himmel auf Erden. Der wird mir versagt. In meiner Macht liegt es, daß ich sühne, daß ich im Geiste so werde, wie ich mir gefalle. Das ist der Himmel und Gott in ihm. –
Es war im Hochsommer. Wahnfred strich durch die Wälder. Bisweilen vergaß er ans gehen und hörte dem Zirpen eines Vogels zu, der in dichtester Gruppe des Tannichts sein Heim hatte, ein Heim, an dessen Pforten die Spinne ihr Gitter geschmiedet. – Der Mensch versteht in der Regel an fremdem Sange nur das, was er selbst schon erfahren oder empfunden; im wortlosen Liede, in der Musik findet er genau so viel, als er selbst hineinzulegen hat. Und so war Wahnfred, der Gottsucher, auch geneigt, des Vogels helle Stimme für eine Offenbarung zu halten.
Er schritt über grüne Waldwiesen hin, der hohen Bäume blauer Schatten, in Sommertagen nur kurz, besäumt mit seinem Walddufte mild den Rand. Ein Meer von fliegenden Thieren erfüllt die Luft, von der kleinen Mücke bis zum langspießigen Hornuß, von der klingenden Waldbiene bis zum schillernden Schmetterling, vom hüpfenden Heupferdchen, von der zarten Halmfliege abwärts bis zu jenen ungezählten Insecten, welche die Mücke noch für einen Elephanten halten und welche des Wanderers gestalt wie winzige Stäubchen umgaukeln – sie alle zusammen geben wohl den Schleier, welcher an heißen Tagen über der Gegend liegt. Was hat da der seidenfeine Fliegenschnapper für gute Zeiten! So oft er den Schnabel aufthut, verirren sich in denselben ein paar Dingelchen, die am Vormittag geboren werden, zu Mittag Hochzeit halten und Nachmittag verunglücken. Erlebt eines davon die Stunde, da die Schatten sich dehnen über die Wiesen hin, so fröstelt es im hohen Alter und ist vergangen, ehe noch das Sonnengold von den Wipfeln der Bäume schwindet.
Von solch kleinen Feinden umsummt, lag Wahnfred oft hingestreckt im Grase, niedergedrückt von der Schwüle des Tages, von der Schwere der Empfindungen. Träumend richtete er sein Antlitz aufwärts und betrachtete die Traumbilder des Himmels. – Oder wären die Wolken, die phantastischen, ewig mannigfaltigen, die bald in zarten, lichtvollen Gestallten, bald in finsteren Zerrbildern hingegossenen, wallenden, im Werden vergehenden, im Vergehen werdenden Erscheinungen nicht die Träume des Himmels? Sie ziehen von Westen nach Osten – der Himmel träumt vom Morgenlande, von jenem Paradiese, welches er voreinst geschaut hat, liebesinnig mit seinem blauen Auge, welches er mit seinen Strahlen und mit seinem Thau geküßt hat, wie seither keine Braut mehr auf der ganzen weiten Erde.
O Jugend der Welt! Alles Gestirne geht den ewigen Lauf vom Morgen zum Abend, nur die Wolken ziehen den Weg zurück, ein sehnsuchtsvolles Erinnern nach Dir, vergangene Jugend der Welt ....
Auch Wahnfred hatte eine Seele, die lieber nach rückwärts schaute, als nach vorwärts. Häufiger als je dachte er an das am Fuße seines Berges ruhende Gestade. Dort war seine Mutter, dort war sein Weib, dort war sein Kind gewesen, dort hatte er ein Kind gehabt. Alles liebliche Glück war dort gekommen und hatte ihn besucht in seiner kleinen Werkstatt. – Alles ist vorbei, um jener heiligen Zeit willen hat er nicht das Recht, der Welt zu fluchen. Er war der redlichsten Freundin des Menschen, der Arbeit, untreu geworden, er war grob abgewichen von den Wegen der Friedfertigen – eine gute Weltordnung muß es sein, welche die böse That so strenge sühnt.
Und er hat doch wieder Freude, denn eine Offenbarung geht ihm auf, er beginnt in der Natur die Schönheit zu sehen. O Menschenauge, wie schön giebt sich dir die Erde!
Sein Blick fliegt in das Bergrund hinaus weit über den Flammenring, die Sonne leuchtet dort nicht heller als hier, der Himmel wölbt sich wie ein schirmend Zelt über alles. – Reicher Träumer du! Kennst du das Herrscherpaar über die Gegend, so weit der Blick reicht? Deine zwei Augen. Dem Gärtner gehört wohl der Apfel, aber dir der grüne, säuselnde Baum; ihm gehört vielleicht der Stamm, dir der weite, blauende Wald. Anderen gehört das Einzelne, dir das Ganze. Prangt der Garten, hast du den Genuß; geht er zugrunde, hat ein Anderer den Schaden. Jene nennt man reich, dich heißt man arm. Jenen zieht die Welt zu ihren Säckeln ein, dir zu Deinen Sinnen.
Traurig bist du? Ei Laß, so schreit der Uhu. – Hunger hast du? Geh, so singt der Rabe. – Nach Leben dürstet dich? Weißt du, was ein Bergquell ist? Wenige wissen es, Wenige sind werth, es zu wissen.
Alles was aus den Brüsten der Natur hervorgeht, ist klar und rein. Vielleicht war auch der Quell der Menschheit einst hell und frisch, und der Strom hat sich nur getrübt auf seinem weiten Laufe, da er den Staub der Welt mit sich riß, hat sich in den planlosen Weiten verloren, in steten Wellenkämpfen verbittert, so wie das Wasser des Meeres bitter geworden, welches erst wieder zu seiner Reinheit gelangt, bis es in den Wolken gegen Himmel gestiegen, zur Erde gefallen und aus derselben neuerdings hervorgegangen ist ....
Erlösung in der Auflösung und nach dem Hinfalle bessere Urständ’, dahin zielten unwillkürlich, wie der Magnet nach dem Norden, all seine Gedanken. –
Weit hinter den Bergen, im sonnigen Flachland, schimmerten gelbe Flächen. »O glückseliges Land, wo die Glocken und die Sicheln klingen!« rief Wahnfred aus. Ja dort ist Frieden, dort ziehen die Schnitter zur Ernte, und das Erdreich hat seine arme, seine Brust geöffnet, bietet all seine Früchte, sein Blut, sein Herz dar; so dankbar ist es, daß man ihm vertraut hat in den ersten Lenzen, da so Vieles noch starr war und grau, und der Landmann sein Korn in die feuchte Scholle gelegt hat. Mit Kornblumen und mit den Purpurblüthen des wilden Mohn hat sich das Feld für seinen Opfertag geschmückt, mit erdwärts geneigtem Haupte erwartet der Halm die Sichel ....
Wann wird zu Trawies wieder Ernte sein? –
Erstarrt sind nun die Traumbilder da oben, als wäre der Himmel in tiefsten Schlaf gesunken. Die wandernden Gestalten sind ohnmächtig geworden auf ihrem Wege gegen Morgen hin, noch drängen die hinteren nach und in der Stockung schiebt sich eine in die andere; eine steht der anderen vor dem Licht und sie erblassen und verdüsteren sich und liegen grau und schwer wie heißes Blei am Himmel.
Und wie alles still ist und selbst die Mücken sich unter die Schirme der Germen und Gentianen bergen, gleichwohl der Sonnenbrand auf Augenblicke sich dämpft, um dann aber noch heißer hervorzubrechen – hört man etwas, als ob in der Ferne ein Wagen über die Brücke der Trach rollte. Er ist bald darüber hinweg, dann wieder Stille, und die Bäume stehen bewegungslos, von der Hitze erschlafft, erstarrt. Über den Trasank hat sie eine mattgraue Wand aufgebaut, und so oft deren vorgeschobene Kuppen vor die Sonne wachsen, geht ein fahler Schatten über das Waldland, und wenn die Sonne wieder aus den bewegungslos scheinenden milchweiß beränderten Wolken hervortritt, ist die Nebelwand um so finsterer, als käme heute die Nacht durch leuchtende Ungeheuer einmal vom Untergang her der Sonne und ihren glorreichen Schaaren feindlich entgegengezogen.
Wahnfred schließt die Augen, er sinnt, wie es wäre, wenn die Natur einmal in Lähmung verfiele und der Erdball stünde still, und die Sonne stünde auf dem gleichen Flecke und müßte brennen, immer gleich fort brennen. – Drei Nächte nimm hinweg und es ist alles todt ....
Von Neuem rollt der Wagen, er ist näher, die Brücke ist länger.
Wahnfred schlägt die Augen auf, wie ganz anders sieht’s jetzt am Himmel aus! Zerissene, weiße und dunkle Wolkenballen, dahinter gedämpftes Grau, in welchem die Sonne bereits ertrunken ist. Über die Zinnen des Trasank wälzen sich schwer und düster ungeheure Wolkenmassen und fahren nieder an dem finster blauenden Gewände und schlagen an die Höhen des Ritscher und der Wildwiesen.
Es murren Donner, der Schall vermag die dichten, rasch ins Thal sinkenden Nebel nicht zu durchdringen und schlägt wie ein halbersticktes Röcheln ans Ohr. Die Blitze zucken nur in schwachem Schimmer durch die Nebel, aus denen hier und dort weißes Geflocke hervorspringt. Die gegenüberliegenden Berge sind nicht mehr zu sehen.
So finster ist es, daß zwischen den Zweigen der Hagebutte zwei Leuchtkäfer schimmern. Noch schreit eine Amsel, man weiß nicht zur Warnung oder zum Gebete. Ein Geier schießt