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ganz andres zu denken, zu tun – bis ein Zufall euch das rostige Schloß öffnen und die knarrenden Angeln aufschieben läßt. Dann weht es euch an, als wäret ihr plötzlich in einem bestimmten Moment der Vergangenheit zurückversetzt; es ist, als tönte das Wort, dem ihr einst darin gelauscht, noch von den Wänden nach.

      Hat man sie nun auf immer zu verlassen, die Räume, die man mit seinen eignen Gedanken und Eindrücken lebendig gemacht hat, dann bekommen sie etwas leichenhaft Unheimliches; sie sind wie ein Körper, aus dem die Seele fortgezogen ist; die Erinnerung an sie spricht nur von einem Stück toter Vergangenheit. Was ein Tempel eurer Phantasien war, wird ein leerer Steinhaufe; und auf euren Weg nehmt ihr das Bild von einem Zustande mit, der ein Ende nahm, ohne daß – für euch – sich ein andrer an seiner Stelle entwickelte – der gestorben ist, ohne wieder zu erwachen. Der Gedanke an den Tod ohne Unsterblichkeit tritt in euer Leben.

      Durch Berhards Seele mochten derartige Betrachtungen ziehen, als er die Nacht über bei seiner kranken Mutter wachte. Er saß stille und in sich gekehrt, von einem schwachen Nachtlichte angeflimmert und das Haupt zuweilen müde, mit geschlossenen Augen, auf die hohe Rückenlehne seines Armsessels zurücklegend. Mit einer größern Lampe ging Lene ab und zu, um Sachen aus dem Zimmer zu holen, die sie draußen in Koffer einpacken wollte.

      »Da ist der Mantel für morgen«, sagte sie, indem sie sich dicht an Bernhards Stuhl mit den auf einer Kommode liegenden Kleidungsstücken Margrets zu schaffen machte. Dann trat sie an einen Koffer und öffnete ihn.

      »Was hast du in dem Koffer zu suchen, Lene«, fragte Bernhard, ohne die Augen zu öffnen.

      »Ich will nur reines Nachtzeug herausnehmen, daß er auf der Reise nicht aufgeschlossen zu werden braucht.«

      »Hat meine Mutter dir den Schlüssel gegeben?«

      »Ja, Herr.«

      »Hast du da nicht Papiere, Lene?« fragte Bernhard einige Augenblicke später und blickte auf.

      »Hier? Nein, das ist ein reines Schnupftuch.« Sie zeigte ihm ein weißes Tuch.

      »Ah so, ich glaubte, ich hätte Papiere rispeln gehört.«

      Es war Morgen. Margret war erwacht, wie sie behauptete, durchaus genesen. Lene sagte, sie sei mit dem Einpacken fertig und ging, sich etwas auszuruhen. Bernhard stärkte sich ebenfalls durch einen kurzen Morgenschlummer, und als es spät genug geworden, um ohne Auffallen einen Besuch im Stifte machen zu können, ging er dorthin, um von Katharinen Abschied zu nehmen, ihr die Wendung die sein Geschick genommen, mitzuteilen und mit ihr zu verabreden, wann er sie wiedersehen könne. Um elf Uhr konnte er längst wieder da sein. Er stand bald auf der Heide unter dem Baume mit dem Muttergottesbilde. Auch von ihm mußte er Abschied nehmen; von dieser Steinbank, auf der er so oft gesessen, wenn ihn das Wetter überrascht; dann hatten ihn die Zweige überdacht, daß er ganz behaglich und warm über die Ebene hinausgeschaut, wo die Tropfen niederrieselten und dunstig von dem Heidekraut wieder aufsÿtäubten, wo das leise Plätschern ihn in allerhand Träumereien gelullt hatte. Aber er hatte jetzt nicht Zeit, sie fortzuspinnen; er wollte sich nach wenigen Minuten von der Bank wieder erheben, als er hinter dem Baume, in einiger Entfernung, eine lustige Hörnerfanfare schmettern hörte; gleich darauf Hufschläge, die über die Heide pochten; zwei Pikörs in glänzender, scharlachroter Livree sprengten vorüber, hinter ihnen her kam nach einer Weile der »Meisterjäger« mit seinem großen Leid- oder Spürhunde, den eram Seile hielt, beide in vollem Laufe, der Jäger von den wüsten Rüden gezogen und gezerrt, daß er jeden Augenblick sich der Länge nach auf den Boden legen zu wollen schien. Das Tier hatte die Fährte und setzte jetzt in schweren Sprüngen, die Nase immer am Grund, lautlos an Bernhard vorüber. Dieser überschaute die Heide und sah, daß sie zum Schauplatz des ersten Aktes einer Tragödie ausersehen war, die sich durch rasche Handlung vor allen andern vorteilhaft auszeichnet und immer endet mit dem beweinenswerten Tode des einzigen, nicht ganz unvernünftigen Wesens, das auf die Bühne kommt und deshalb auch billig der Held ist.

      Der Kurfürst Klemens August, Erzbischof von Köln, Hoch- und Deutschmeister, zugleich Fürstbischof von Münster und aller andern Bistümer in Norddeutschland, so gewiß, daß er nur bedauern konnte, daß Karl der Große ihrer nicht mehr gemacht, ein Mann, reicher als der Kaiser – der übrigens sein Bruder war –, baulustiger und prachtliebender als Ludwig XIV., war ein gewaltiger Jäger vor dem Herrn. Er jagte allerlei Wild, gleichviel, ob es zur hohen oder zur niedern Jagd gehörte; vorzüglich aber Hirsche, und nur diese parforce.

      Solch eine Parforcejagd hatte heute die Heide zum Sammelplatz erlesen. Hier und da, in großen Entfernungen, sah man Gruppen von Reitknechten mit Sattelpferden aufgestellt oder weiter voranziehen. Fern am Walde trabte ein Trupp uniformierter Träger mit mehreren Sänften ihnen nach; es waren also auch Damen bei der Hetzjagd, für deren Ermüdung man vorgesehen.

      Der Kern des Zuges begann an Bernhard vorüberzustürmen; es war die Meute, mindestens zweihundert Bracken. Der Spürhund hatte noch nicht angeschlagen oder Laut gegeben, sie waren deshalb noch in der Koppel und bellten, heulten, zerrten an den Seilen – schmiegten sich unter den Peitschenhieben, die wie Pistolenschüsse jedesmal in den dicksten Haufen klatschten, sprangen und schlängelten die gegeißelten Leiber – es war eine fast ekelhafte Herde, wie eine zahllose Menge Blutegel. Jäger zu Pferde mit Hörnern an bunten Fesseln, Büchsenspanner, Jagdschmiede, Sattelknechte, Piköre, Stallmeister und Bereiter mit losen Pferden, zahlloses Volk, jeder in demselben scharlachroten, mit Goldtressen reich besetzten Jagdkostüme folgten im Trab und Galopp; lachend, sich Scherze zurufend, hier einer, der seinen Klepper zu einer Kurbette spornte, dort ein anderer, der einen kurzen Signalstoß aus dem Horne schmettern ließ; so setzten alle an der großen Buche her, quer über den Weg und dann weiter, um der Herrschaft Platz zu machen. Diese kam, weniger zusammengedrängt, an Bernhard vorüber; Pagen in einer Schar, dann der Kurfürst selbst, eine hohe, imposante Gestalt, die bloß durch das Gewicht ihrer Majestät den mutigen Schimmel zu bändigen schien, umgeben von vier bis fünf Kavalieren; ihm zur Seite ritt eine anmutige glänzende Frauengestalt, mit der der Kurfürst sich unterhielt. Alle waren in demselben Anzuge; nur überflatterte die kleinen dreieckigen Hüte ein Busch von blau und weiß gefärbten Straußfedern: der Kurfürst war aus dem bayrischen Hause, und die Farben der Wittelsbacher tanzten lustig über die westfälischen Heiden.

      Bernhard war verlegen und wußte nicht, ob er sein Käppchen abziehen und so die hohen Herrschaften mit einem Rückgeben des Grußes bemühen dürfe; er ward der Sorge schnell überhoben; sie ritten vorüber, ohne ihn zu beachten. Zwei Damen folgten, eine Anzahl Herren, wie ein schützender Kortege um sie geschart; dann noch eine Dame ebenfalls zwischen zwei Herren, die angelegentlichst um das Glück, sie unterhalten zu dürfen, sich bemühten. Bernhard kannte diese Dame, obwohl er sie nie in dem fast theatralischen Kostüme, in dieser roten Jagdkontusche über der langen veilchenblauen Robe, in dem kleinen runden Federhute, der so keck über den Locken hing, so stolz im Quersattel sich schaukeln gesehen. Ja, sie sah stolz und kalt von ihrer Höhe berab; in demselben Augenblicke aber, wo sie Bernhard erblickte, wie er mit entblößtem Kopfe demütig am Wege stand, begann sie rasch ein lautes, scherzendes Gespräch, dann grüßte sie freundlich, aber herablassend, mit einem Kopfnicken, wie sie jeden Landmann am Wege grüßte, ritt vorüber und ließ ihr braunes Pferd wie die geschickteste Reiterin über den Graben jenseits des Fußpfades setzen, obwohl das Tier recht gut, wie die Pferde der beiden Kavaliere, im Schritte hinübergekommen wäre. Ihre Begleiter sahen sich nicht nach Bernhard um, sie schienen nur Augen für sie zu haben. Sie waren die letzten; der Jagdzug war vorüber; in der Ferne aber begann das Heulen der Hunde in ein lautes, hitziges Gebell überzugehen; der Hirsch mußte gefunden sein und die Meute entkoppelt; die Fanfaren schmetterten jetzt anhaltend über die Gegend hin, und der ganze Troß, der sich in Galopp gesetzt hatte, schmolz immer mehr in ein unordentliches Gewirr am Horizonte zusammen.

      Zehntes Kapitel

       Inhaltsverzeichnis

      Man beneidet das Glück der Jugend, weil ihr nie die Hoffnung ausgehe, und diese jugendliche Hoffnung selbst hat man mit den unzerstörlichen Tierköpfen verglichen, von denen die Fabel erzählt, daß sie nach jedem Streich,

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