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einmal, nur ein einziges Mal das Kind umarmen.

      Herr Flamel erhob sich, ging an den Kamin, klingelte, das Mädchen erschien, er sagte:

      – Rufen Sie mal Ludwig!

      Sie verschwand. Stumm wartend, denn sie hatten sich nichts mehr zu sagen, blieben sie vor einander stehen. Und plötzlich stürmte ein kleiner Knabe von zehn Jahren in das Zimmer und lief auf den zu, den er für seinen Vater hielt, aber verlegen blieb er stehen, als er einen Fremden sah.

      Herr Flamel küßte ihn auf die Stirn, dann sagte er:

      – Nun mein Liebling, küsse einmal diesen Herrn!

      Das Kind kam nett auf den Fremden zu und blickte ihn an. Franz Tessier war aufgestanden, er ließ seinen Hut fallen und wäre beinahe selbst hingeschlagen. Er betrachtete seinen Sohn.

      Herr Flamel hatte aus Zartgefühl sich herumgedreht und sah durch das Fenster auf die Straße. Das Kind wartete erstaunt, hob den Hut auf und gab ihn dem Fremden. Da nahm Franz den Kleinen in seine Arme und küßte ihn rasend über das ganze Gesicht, auf die Augen, auf die Wangen, auf den Mund, auf das Haar.

      Der Bengel war erschrocken durch diesen Hagel von Küssen, suchte sich ihnen zu entziehen, wandte den Kopf ab und streckte dem Manne abwehrend seine kleinen Hände entgegen.

      Aber Franz Tessier setzte das Kind schnell wieder zu Boden, dann rief er:

      – Adieu! Adieu!

      Und wie ein Dieb lief er davon.

      Das Geständnis

       Inhaltsverzeichnis

      Strahlend liegt die Sonne auf den Feldern, die hüglig zwischen den Bäumen um die Gutshöfe herum sich breiten, und die verschiedenen Saaten: das gelbliche Korn, der hellgrüne Hafer, der dunkelgrüne Klee spannen einen großen, gestreiften, leis wogenden Mantel über den nackten Leib der Erde.

      Dort drüben auf einer Bodenwelle werden in einer unendlich langen Reihe die Kühe. Einzelne liegen, andere stehen, und mit ihren großen Augen blinzeln sie beim glühenden Sonnenlicht, muhen und fressen vom Kleefeld, das sich dehnt wie ein See.

      Zwei Frauen, Mutter und Tochter, gehen wiegenden Schrittes, eine hinter der andern, auf einem schmalen Fußweg zwischen den Saatfeldern zu der Viehherde.

      Sie tragen beide je zwei Zinkeimer, die ihnen an einem Tragegestell über den Schultern weit vom Leibe abhängen, und bei jedem Schritt, den sie thun, glitzert augenblendend das weiße Metall in der Sonne.

      Sie sprechen nicht; sie gehen zur Melke. Nun sind sie da, setzen die Eimer nieder, nähern sich den beiden ersten Tieren und geben ihnen mit den Holzschuhen einen Tritt in die Seite, daß sie sich aufrichten. Das Tier erhebt sich langsam, erst auf den Vorderbeinen, dann streckt es sein breites Hinterteil, das noch gewaltiger erscheint durch das riesige goldbraune, hängende, fleischige Euter, und Mutter und Tochter Malivoire knien unter dem Leib der Kuh und ziehen mit kurzer, scharfer Bewegung das geblähte Euter herab, das bei jedem Druck einen feinen Milchstrahl in den Eimer spritzt. Der ein wenig gelbliche Schaum steigt darin bis zum Rand, und die beiden Frauen gehen die ganze Reihe hinab von Tier zu Tier.

      Sobald sie eine Kuh gemolken haben, stecken sie den Strick ein Stück weiter ab, damit das Tier ein neues, noch nicht abgeweidetes Stück Grün findet. Dann gehen sie langsamer wieder davon unter der schweren Last der Milch, die Mutter voraus, die Tochter hinterdrein.

      Aber die Tochter bleibt plötzlich stehen, läßt ihre Last herab, setzt sich und fängt an zu weinen. Mutter Malivoire hört nicht mehr hinter sich gehen, dreht sich um und bleibt erstaunt stehen.

      – Was haste denne? fragte sie. Celestine, ihre Tochter, groß, rothaarig, mit rotverbrannten Wangen und Sommersprossen, aussehend, als waren ihr Funken auf das Gesicht gefallen, antwortete leise greinend, wie ein Kind, das man geschlagen hat:

      – Nu kann ich meine Milch nich mehr schleppen!

      Die Mutter blickte sie argwöhnisch an und fragte:

      – Was haste denne?

      Celestine antwortete, zwischen ihren beiden Eimern zu Boden gesunken, indem sie sich mit der Schürze die Augen wischte:

      – Das ist so kullusal schwer, ich kann’s nich, ermachen!

      Die Mutter fragte zum dritten Mal:

      – Was haste denne?

      Und die Tochter stöhnte:

      – Ich gloobe fast, ich bin dicke.

      Und sie schluchzte. Nun setzte die Alle ihrerseits ihre Last nieder, so auf den Mund geschlagen, daß sie keine Antwort mehr fand. Endlich stammelte sie:

      – Du bist dicke, dummes Luder, ist denn das meeglich?

      Die Malivoires waren reiche Bauersleute, wohlhabend, angesehen und von Einfluß. Celestine stammelte:

      – Ich gloobs werklich!

      Die erschrockene Alte sah ihre Tochter heulend vor sich sitzen und schrie nach ein paar Sekunden:

      – Seit wann biste denn dicke? Wo haste denn das erwischt, Du altes Mensch?

      Und Celestine flüsterte ganz gebrochen:

      – Ich gloob in Polyts Wagen.

      Die Alte suchte zu verstehen, zu erraten und herauszubekommen, wer ihrer Tochter das hatte anthun können. Nun, wenn es ein reicher Junge war, da wollte sie schon die Geschichte in Ordnung bringen; dann wäre es noch nicht so schlimm. Celestine war nicht die erste, der so was passierte. Aber doch ärgerte es sie angesichts ihrer Stellung in der Gegend und bei ihren Verhältnissen, und sie sagte:

      – Wer hat’s denn gemacht, Du Dreckliese?

      Celestine war entschlossen, jetzt alles zu sagen, und stammelte:

      – Ich gloob schon, ‘s is der Polyt gewesen.

      Da stürzte sich die alte Malivoire voller Wut auf ihre Tochter und schlug so auf sie drein, daß sie ihre Mütze dabei verlor. Sie versetzte ihr einen Faustschlag nach dem andern auf den Kopf, den Rücken, überall hin, und Celestine, die jetzt der Länge nach zwischen ihren Eimern lag, die sie ein wenig schützten, versteckte nur etwas ihr Gesicht zwischen den Händen.

      Alle Kühe hatten erstaunt aufgehört zu fressen, sahen sich um und blickten mit ihren großen Augen die beiden an; die letzte muhte, das Maul gegen die beiden Frauen ausgestreckt.

      Nachdem die alte Malivoire auf ihre Tochter losgedroschen hatte, bis sie nicht mehr konnte, hielt sie außer Atem inne, und nachdem sie etwas wieder zur Vernunft gekommen, wollte sie klar sein über die Lage.

      – Polyt war’s, is so was meeglich? Wie haste denn so was machen kennen mit dem Postkutscher. Du bist wohl ganz von Gott verlassen! Mit so eenem Hungerleider fängst De an?

      Celestine, die noch immer der Länge nach dalag, weinte in den Acker hinein:

      – Davor brauchte ich doch den Wagen nich zu zahlen!

      Und die alte Normännin begriff.

      Allwöchentlich, Mittwoch und Sonnabend, trug Celestine die Erzeugnisse des Bauernhofes, Hühner, Milch und Eier zur Stadt. Um sieben Uhr früh ging sie, die beiden großen Körbe am Arm, in dem einen die Milch, in dem andern die Hühner, davon, und an der Straße erwartete sie den Postwagen nach Yvetot. Sie stellte ihre Körbe auf den Boden und setzte sich in den Graben, während die Hühner mit den kurzen, spitzen Schnäbeln und die Enten mit den breiten und platten die Köpfe durch die Gitterstäbe ihres Käfigs steckten und sich mit runden, dummen Augen erstaunt umsahen.

      Bald kam der Marterwagen, eine Art gelben Koffers mit einer schwarzen Lederkappe darauf, beim Trabe der alten, weißen Schindmähre herangerollt, und Polyt, der Kutscher, ein dicker, ewig fröhlicher Kerl, wohlbeleibt trotz seiner jungen Jahre, durch die Sonne verbrannt, von Wind und Wetter

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