Скачать книгу

ward der Schwiegervater ganz ruhig und drehte sich um zum Leichenträger:

      – Also, lieber Freund, wir warten bis übermorgen!

      Der Kleine

       Inhaltsverzeichnis

      Herr Lemonnier war Witwer geworden und nun allein mit seinem Kinde. Er hatte seine Frau wahnsinnig geliebt, mit zärtlicher überspannter Liebe, ohne je darin nachzulassen während ihres ganzen Ehelebens.

      Er war ein guter, braver Mann, einfach, zu einfach, offen, ohne Mißtrauen, ohne Tücke. Er hatte sich seiner Zeit in eine arme Nachbarin verliebt und hatte sie geheiratet.

      Er besaß einen gutgehenden Tuchhandel, verdiente ein tüchtiges Stück Geld und zweifelte nicht einen Augenblick daran, daß er von dem Mädchen nur um seiner selbst willen genommen worden sei.

      Übrigens machte er sie glücklich, er sah nur sie auf der Welt, dachte nur an sie und blickte sie immer mit verzückten Augen an.

      Während der Mahlzeiten beging er tausend Ungeschicklichkeiten, nur um nicht den Blick von dem geliebten Antlitz abzuwenden. Er goß den Wein in den Teller und Wasser in den Salat, dann lachte er wie ein Kind und rief:

      – Siehst Du, ich hab Dich zu lieb, drum mache ich lauter Dummheiten!

      Sie lächelte ruhig und ergeben, dann wendete sie die Augen ab, als störte sie die Anbetung ihres Mannes. Sie suchte ihn auf ein anderes Thema zu bringen, er aber griff über den Tisch nach ihrer Hand, hielt sie in der seinen und flüsterte:

      – Meine kleine Hanna! Meine kleine Hanna!

      Endlich wurde sie ungeduldig und rief:

      – Na nun sei doch mal vernünftig, iß, und laß mich selbst essen!

      Er seufzte und brach ein Stück Brot ab, das er langsam kaute.

      Fünf Jahre lang hatten sie keine Kinder, da ward sie plötzlich guter Hoffnung, und es gab ein übermenschliches Glück. Wahrend der ganzen Zeit verließ er sie nicht einen Augenblick, sodaß ihr Mädchen, eine alte Dienerin, die ihn selbst einst auferzogen und im Hause das Wort führte, ihn manchmal hinauswarf, ihn gewaltsam zwang, Luft zu schöpfen.

      Er hatte sich sehr mit einem jungen Mann angefreundet, einem Jugendbekannten seiner Frau, der Bureau-Chef auf der Präfektur war. Dreimal wöchentlich aß Herr Duretour bei Lemonniers, brachte der Frau Blumen mit und ab und zu Billets fürs Theater, und manchmal beim Dessert rief der gute Lemonnier ganz weich geworden, indem er sich zu seiner Frau wandte:

      – Mit einer Frau wie Du und einem Freund wie er, ist man restlos glücklich auf dieser Erde!

      Sie starb im Wochenbett, und er wäre ihr beinahe freiwillig gefolgt; aber der Anblick des Kindes gab ihm den Mut weiterzuleben: ein kleines, welkes Wurm, das immer schrie.

      Er liebte es mit glühender, schmerzlicher Leidenschaft, mit einer krankhaften Liebe, in der etwas von der Erinnerung an ihren Tod blieb, aber auch etwas von seiner Anbetung für die Tote.

      Es war Fleisch von ihrem Fleisch, wie eine Fortdauer ihrer selbst. Dies Kind war ihr eigenes Dasein, nur in einem anderen Leibe, sie war dahingegangen, damit es lebte.

      Und der Vater küßte es leidenschaftlich. Aber dieses Kind hatte sie auch getötet, sie ihm genommen, dieses liebe Dasein ihm entrissen, es hatte von ihm gelebt und seinen Teil des Lebens aus ihm gesogen. Und Herr Lemonnier legte seinen Sohn wieder in die Wiege und setzte sich daneben, um ihn zu betrachten.

      Stunden und Stunden blieb er sitzen, starrte ihn an, dachte an tausend traurige oder süße Dinge, und als der Kleine schlief, neigte er sich nieder auf sein Gesicht und weinte in die Kissen.

      Das Kind ward groß, der Vater konnte nicht eine Stunde mehr ohne seinen Sohn sein, er war immer um ihn, ging mit ihm spazieren, zog ihn selbst an, wusch ihn und gab ihm zu essen.

      Sein Freund, Herr Duretour schien den Bengel gleichfalls in sein Herz geschlossen zu haben, küßte ihn herzlich mit jener Leidenschaftlichkeit, wie Eltern sie besitzen, nahm ihn auf den Arm oder ließ ihn stundenlang auf seinem Knie reiten. Dann legte er ihn sich wohl plötzlich auf den Schoß, hob das kurze Kleidchen und küßte die dicken Beinchen und die runden Waden des Würmchens.

      Herr Lemonnier sagte ganz glückselig:

      – Ist er nicht reizend! Ist er nicht reizend!

      Und Herr Duretour preßte das Kind in seine Arme und kitzelte ihm mit seinem Schnurrbart den Hals.

      Nur Cölestine, die alte Dienerin, schien dem Kinde keine Zärtlichkeit entgegenzubringen. Sie ärgerte sich über die Art, wie die beiden Männer es verzogen und rief:

      – So darf man doch ein Kind nicht behandeln! Das wird ein netter Affe werden!

      Jahre strichen hin, und der kleine Hans ward neun Jahre alt. Er konnte kaum lesen, so war er verdorben worden, und setzte überall seinen eigenen Kopf auf. Er war eigensinnig, bockbeinig und jähzornig. Der Vater aber gab immer nach und that ihm jeden Willen.

      Herr Duretour kaufte unausgesetzt Spielzeug und brachte es dem Kleinen, dazu Kuchen und Bonbons.

      Da ward Cölestine wütend:

      – Gnädiger Herr, das ist ein Skandal, ein Skandal! Sie machen das Kind unglücklich! Verstehen Sie, das muß nun mal ein Ende nehmen, und es wird auch noch ein böses Ende nehmen, wird gar nicht mehr lange dauern!

      Herr Lemonnier antwortete lachend:

      – Ach was, Alte, ich habe eben meinen Sohn zu lieb, ich kann nicht nein sagen! Damit wirst Du Dich wohl abfinden müssen.

      Hans war ein wenig zart und kränklich, der Arzt stellte Blutarmut fest, verordnete Eisen, rohes Fleisch und kräftige Suppen. Aber der Kleine wollte nur Kuchen essen und verweigerte jede andere Nahrung. Und der verzweifelte Vater stopfte ihn mit Cremeschnitten und Chokolade.

      Eines Abends, als sie sich einander gegenüber zu Tisch setzten, brachte Cölestine die Suppe mit einer Sicherheit und Entschiedenheit, die sie sonst nicht zeigte. Sie setzte schnell den Deckel ab, that den Löffel hinein und sagte:

      – Das ist mal eine Bouillon, so gut wie Sie noch keine gekriegt haben, und nun muß der Kleine essen!

      Herr Lemonnier war entsetzt, er senkte den Kopf, er ahnte schon böses.

      Cölestine nahm den Teller, schöpfte die Suppe hinein und stellte ihn vor ihren Herrn; er kostete und sagte:

      – In der That, sie ist ausgezeichnet!

      Da nahm die Alte den Teller des Kleinen, gab ihm einen vollen Löffel voll Suppe, dann trat sie zwei Schritte zurück und wartete. Hans roch daran, schob den Teller zurück und machte: – Brrr! – vor Ekel.

      Cölestine erbleichte, trat schnell heran und zwängte den kleinen Löffel mit Gewalt in den halb offenen Mund des Kindes. Er erstickte halb, verschluckte sich, schlug wütend um sich, heulte, nahm sein Glas und schleuderte es nach dem Mädchen.

      Es traf sie mitten auf den Leib. Da stürzte sie sich wütend auf ihn, nahm den Kopf des Wurmes unter den Arm und begann Löffel auf Löffel ihm die Suppe einzutrichtern.

      Jedesmal brach das Kind sie wieder heraus, wand sich, schluckte, zitterte, fuchtelte mit den Händen in der Luft herum, puterrot, als wollte es ersticken.

      Der Vater war zuerst so erschrocken, daß er sich nicht regte. Dann plötzlich stürzte er sich wie ein Wahnsinniger auf die Alte, packte sie bei der Gurgel und schmiß sie gegen die Wand; dabei rief er:

      – Raus! Raus! Raus! Du Biest!

      Aber sie stieß ihn von sich und brüllte mit aufgelöstem Haar, schiefgerückter Mütze und glühenden Augen:

      – Was fällt Ihnen denn ein? Sie wollen mich noch schlagen, weil ich dem Wurm Suppe gebe, das Sie noch mit Ihrer Verzärtelung tot machen!

Скачать книгу