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nicht wahr?‹ Ich hatte ihn nie so lange hintereinander und, wie es mir schien, zwecklos reden hören. Ich sagte gar nichts. Er ging die Treppe hinunter, und der Hund, der ihm Tag und Nacht, wohin er auch ging, auf den Fersen blieb, schlich mit tiefer Nase hinter ihm her. Ich hörte seine Absätze auf dem Hinterdeck, trapp, trapp, dann stand er still und sprach zu dem Hund: ›Zurück, Rover. Auf die Brücke, mein Sohn! Geh – vorwärts!‹ Dann rief er mir aus dem Dunkel zu: ›Sperren Sie den Hund in den Navigationsraum, Herr Jones, bitte!‹

      Dies war das letzte, was ich von ihm hörte, Kapitän Marlow. Es waren die letzten Worte, die er in Hörweite eines menschlichen Wesens sprach.« Dabei wurde die Stimme des Alten ganz zitterig: »Er hatte Angst, das arme Tier würde ihm nachspringen, wissen Sie. Ja, Kapitän Marlow. Er stellte das Log für mich; er tat sogar – würden Sie es glauben? – einen Tropfen Öl hinein. Das Ölkännchen stand daneben, wie er es gelassen hatte. Der Bootsmannsmaat kam um halb sechs mit dem Schlauch achtern, um aufzuwaschen, plötzlich wirft er alles hin und kommt auf die Brücke gerannt: ›Wollen Sie, bitte, achtern kommen, Herr Jones‹, sagt er. ›Da ist ein komisches Ding. Ich mag’s nicht anrühren.‹ Es war Kapitän Brierlys goldener Chronometer, sorgfältig an der Kette unter der Reling aufgehängt.

      Sobald ich den sah, ging mir ein Licht auf, und ich wußte alles, Kapitän. Die Beine versagten mir. Mir war, als hätte ich ihn über Bord gehen sehen; und ich konnte auch sagen, wie weit wir ihn zurückgelassen hatten. Das Heckbord-Log zeigte achtzehndreiviertel Meilen, und vier eiserne Belegpinnen fehlten um den Großmast. Wahrscheinlich hatte er sie in die Taschen gesteckt, damit sie ihm hinunterhelfen sollten; aber, mein Gott! was sind vier eiserne Bolzen für einen starken Mann wie Kapitän Brierly! Mag sein, daß sein Selbstvertrauen zuletzt ein bißchen erschüttert war. Ich glaube, es ist das einzige Zeichen von Verwirrung, das er in seinem ganzen Leben gegeben hat; aber ich stehe dafür, daß er, einmal über Bord, nicht den leisesten Schwimmversuch gemacht hat, ebenso wie er die Kraft gehabt hätte, sich auf die Möglichkeit der Rettung hin einen ganzen Tag über Wasser zu halten, wenn er zufällig hineingefallen wäre. Ja, Kapitän. Es war ihm keiner über – wie er selbst sagte; ich habe es einmal von ihm gehört. Er hatte während der Mittelwache zwei Briefe geschrieben, einen an die Gesellschaft und den andern an mich. Er gab mir eine Menge Anweisungen wegen der Überfahrt – ich war schon beim Handwerk gewesen, bevor er noch ausgelernt hatte – und alle möglichen Winke, wie ich mich zu unsern Leuten in Schanghai zu stellen hätte, damit ich das Kommando über die Ossa behielte. Er schrieb wie etwa ein Vater an einen Lieblingssohn, Kapitän Marlow, und ich war fünfundzwanzig Jahre älter als er und hatte Salzwasser gekostet, bevor er die ersten Hosen bekam. In seinem Brief an die Schiffsreeder – er war für mich offengelassen worden – sagte er, daß er bis zu diesem Augenblick immer seinen Pflichten gegen sie nachgekommen sei, und auch jetzt täusche er ihr Vertrauen nicht, denn er lasse das Schiff in der Obhut eines so erfahrenen Seemanns, wie man ihn nur finden könne – damit meinte er mich, Kapitän, meinte mich! Er sagte ihnen, daß, wenn der letzte Akt seines Lebens ihm nicht all sein Ansehen bei ihnen verscherzte, sie bei der Besetzung des Postens, den sein Tod leer ließe, meine treuen Dienste und seine warme Empfehlung in Anschlag bringen möchten. Und noch manches der Art. Ich konnte meinen Augen nicht trauen. Ich war ganz fassungslos‹, fuhr er erschüttert fort und zerdrückte etwas in seinem Augenwinkel mit seinem spatelförmigen Daumen. Man hätte meinen können, er sei über Bord gesprungen, bloß um so einem Unglücksmann eine letzte Gelegenheit zum Weiterkommen zu geben. Sein jäher Tod in Verbindung mit der Aussicht, ein gemachter Mann zu sein, brachte mich eine Woche lang ganz aus dem Häuschen. Aber keine Bange. Der Kapitän des Pelion wurde auf die Ossa versetzt, kam in Schanghai an Bord, ein kleiner Laffe in graukariertem Anzug, der das Haar in der Mitte gescheitelt trug. ›Äh – ich – äh – bin Ihr neuer Kapitän, Herr – Herr – äh – Jones.‹ Er war über und über parfümiert, stank fürchterlich danach, Kapitän Marlow. Es war wohl der Blick, den ich ihm zuwarf, der ihn zum Stottern brachte. Er stammelte etwas von meiner natürlichen Enttäuschung – ich solle nur gleich wissen, daß sein Erster Offizier die Beförderung auf dem Pelion bekommen habe – er hätte nichts damit zu tun natürlich – die Verwaltung wisse selbst am besten… täte ihm leid –. Drauf sage ich: ›Kümmern Sie sich nicht um den alten Jones, Herr; Teufel auch, er ist daran gewöhnt!‹ Ich konnte gleich sehen, daß ich sein zartes Ohr verletzt hatte, und während wir bei unserm ersten Frühstück beisammen saßen, fing er an, auf eine unangenehme Weise allerlei an dem Schiff auszusetzen. Er hatte eine Stimme wie aus dem Kasperletheater. Ich biß die Zähne zusammen, hielt die Augen fest auf meinen Teller geheftet und schwieg still, so lang ich konnte; schließlich mußte ich ja aber etwas sagen: da springt er auf die Zehen und schüttelt alle seine bunten Federn wie ein kleiner Streithahn: ›Sie sollen sehen, daß Sie es in mir mit einem andern Mann zu tun haben als mit dem verstorbenen Kapitän Brierly!‹ – ›Das sehe ich jetzt schon‹, brummte ich, gab dabei aber vor, mich angelegentlich mit meinem Kotelett zu beschäftigen. – ›Sie sind ein alter Grobian, Herr – äh – Jones; und mehr noch: Sie sind bei der Verwaltung als alter Grobian bekannt‹, schnarrt er. Die verdammten Flaschenspüler standen alle herum und horchten mit weit aufgerissenen Mäulern. – ›Mag schon sein, daß nicht viel an mir dran ist‹, versetzte ich, ›aber so weit ist es noch nicht mit mir gekommen, daß ich mit ansehen könnte, wie Sie in Kapitän Brierlys Stuhl sitzen!‹ Mit diesen Worten legte ich Messer und Gabel hin. – ›Sie möchten gern selbst darin sitzen, das ist’s, wo der Schuh drückt‹, höhnte er. Ich verließ den Salon, raffte meine Siebensachen zusammen und stand auf dem Kai, mit all meinem Gepäck um mich herum, bevor die Stauer wieder angetreten waren. Ja. Ausgesetzt – auf dem trockenen – nach zehn Jahren Dienst – und mit einem armen Weib und vier Kindern sechstausend Meilen weit weg, die mit jedem Bissen, den sie in den Mund steckten, von meiner halben Löhnung abhingen. Ja. Ich wollte es lieber ausfressen, als Kapitän Brierly schmähen lassen. Er hinterließ mir sein Nachtfernrohr – hier ist es; und wollte, daß ich mich des Hundes annehme – da ist er. ›Hallo, Rover, armer Kerl, wo ist der Kapitän, Rover?’« Der Hund sah uns mit seinen traurigen gelben Augen an, bellte einmal klagend auf und kroch unter den Tisch.

      Dies Gespräch wurde mehr als zwei Jahre später an Bord einer Schiffsruine, der Feuer-Königin, geführt, die diesem Jones anvertraut war. Er war auch nur durch einen komischen Zufall dazu gekommen – durch Matherson – sie nannten ihn gewöhnlich den verrückten Matherson –, den nämlichen, der sich vor der Besetzung in Haiphong aufhielt. Der Alte erzählte weiter:

      »Ja, Herr, glauben Sie mir, hier wird Kapitän Brierlys Andenken fortleben, wenn auch sonst nirgends in der Welt. Ich schrieb seinem Vater ausführlich und bekam keine Silbe zur Antwort, weder Danke schön noch Scher’ dich zum Teufel – nichts! Wahrscheinlich wollten sie nichts wissen.«

      Der Anblick des alten Jones mit den wässerigen Augen, der sich mit einem roten Baumwolltaschentuch über den kahlen Kopf fuhr, das klägliche Geheul des Hundes, der fliegenbeschmutzte Raum als einziger Erinnerungsschrein für Kapitän Brierly breiteten den Schleier eines unsagbar gewöhnlichen Pathos über seine unvergessene Gestalt, gleichsam als eine späte Rache des Schicksals für den Glauben an die eigene Größe, der sein Leben beinahe um seine rechtmäßigen Schrecken betrogen hätte.

      Beinahe! Vielleicht ganz. Wer weiß, in welch schmeichelhaftem Licht der eigene Selbstmord ihm vorgeschwebt haben mag?

      »Haben Sie eine Idee, Kapitän Marlow, was ihn zu dem verzweifelten Schritt getrieben haben kann?« fragte Jones und preßte die Handflächen gegeneinander. »Warum? Es geht über meinen Horizont. Warum?« Er schlug sich gegen seine niedrige, runzelige Stirn. »Wenn er arm und alt und verschuldet – ohne alle Aussichten – meinetwegen auch verrückt gewesen wäre! Doch er war keiner von denen, die verrückt werden, beileibe nicht! Verlassen Sie sich auf mich! Was ein Offizier von seinem Kapitän nicht weiß, lohnt sich nicht zu wissen. Jung, gesund, reich, ohne Sorgen … Ich sitze hier manchmal und denke nach, denke nach, bis mir der Schädel brummt. Er muß doch einen Grund gehabt haben.«

      »Sie können sich darauf verlassen, Kapitän Jones«, sagte ich, »es war nichts, was uns beiden viel zu schaffen gemacht hätte.« Und dann, als ob ihm in der Wirrnis seines Kopfes plötzlich ein Licht aufgegangen wäre, fand der arme alte Jones noch zuletzt ein erstaunlich tiefsinniges Wort. Er schneuzte sich und nickte mir schmerzlich zu: »Ja,

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