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      »Ja, warum nicht?«, hatte Mom ihr geholfen. »Johnny ist doch ein schöner Name.«

      Das hatte Dad nicht bestritten. »Aber für einen Kater?«, hatte er gemeint.

      »Eine meiner Schulfreundinnen hat eine Schildkröte, die Johnny heißt«, hatte Molly gesagt. »Deshalb möchte ich, dass mein Kätzchen auch so heißt.« Und so wurde das Katzenbaby fortan Johnny gerufen.

      Und nun, hallte es in Mollys Kopf, liegt Johnny hier begraben. Obwohl sie ihn noch nicht gefunden hatte, brach es ihr bei diesem Gedanken fast das Herz. Sie grub weinend tiefer.

      Und dann …

      Was ist das?, dachte Molly Stone verdutzt. Sie hatte kein Tier ausgegraben, sondern … Es war kaum zu fassen. In dem kleinen Grab lag kein toter Kater, sondern ein Zettel. Und auf diesem stand: MIAU.

      *

      »Das ist ü-b-e-r-h-a-u-p-t nicht lustig«, krächzte Molly aufgebracht. »Einen geschmackloseren Scherz kann es kaum geben.«

      Sie richtete sich wütend auf und schaute sich suchend um. War der, der sich diesen taktlosen Spaß erlaubt hatte, in der Nähe?

      Zu sehen war er nicht, doch das musste nicht zwangsläufig bedeuten, dass niemand sie, gut versteckt, beobachtete. Zornig verstaute Molly den Spaten in der Gartenhütte, lief ins Haus und warf die Tür schwungvoll zu.

      Rums!

      Nachdem Molly in der Küche sauber gemacht hatte, suchte sie ihr Zimmer auf und versuchte zu lesen, doch es ging nicht. Die Autorin schrieb auf witzig-amüsante Weise über die Zeit ihrer Schwangerschaft, und für gewöhnlich war es für Molly ein Vergnügen, dies zu lesen, doch heute konnte sie sich nicht konzentrieren.

      Seufzend klappte sie das Buch zu und legte es weg. Seit kurzem stand ihre Welt buchstäblich auf dem Kopf. Sie hatte Ärger mit ihrem Chef gehabt und sich mit ihrem Liebsten zerkracht.

      Ein geheimnisvoller Unbekannter schien sie geistig verwirren zu wollen. Er rief Hank Braddock von »Eldoo« an, ließ Harry Baxter eine gefälschte Nachricht zukommen, betrat das Haus hier, wann immer er wollte, verstellte Gegenstände, ließ Johnny verschwinden, vergrub diesen blöden Zettel … Warum das alles? Was bezweckte er damit? Molly erkannte keinen Sinn hinter diesem mysteriösen Treiben. Aber den musste es geben.

      Niemand ließ sich grundlos all diese Verrücktheiten einfallen. Oder etwa doch? Wenn er nicht ganz sauber im Oberstübchen war? Habe ich es mit einem Geistesgestörten zu tun?, überlegte Molly. Hat er sich mich als Opfer ausgesucht? Warum? Warum ausgerechnet mich? War es Zufall? Was wird ihm als nächstes in den kranken Sinn kommen? Soll ich genauso irre werden wie er? Möchte er das? Legt er es darauf an? Sie versuchte sich mit einer CD abzulenken, schob die glänzende Scheibe in den Player und ließ sie laufen … Filmmusik von anno dazumal bis heute.

      »Vom Winde verweht«, »Kampfstern Galactica«, »Die glorreichen Sieben«, »James Bond« … Molly hatte nicht lange Freude daran, stoppte die Wiedergabe verdrossen, war aber dann auch mit der abrupten Stille nicht zufrieden, die ausbrach, nachdem sie auf den Ausschaltknopf gedrückt hatte. Weißt du eigentlich, was du willst?, fragte sie sich ärgerlich. Obgleich sie befürchtete, nicht einschlafen zu können, beschloss sie, zu Bett zu gehen. Doch daraus wurde nichts, weil unten plötzlich jemand hart gegen die Haustür schlug. Molly zog die Luft geräuschvoll ein und zuckte heftig zusammen. Es wurde nicht geklopft, sondern gehämmert. Kräftig, laut, fordernd. Drei Schläge. Dann Stille. Dann wieder drei Schläge.

      Eins, zwei, drei. Toch! Toch! Toch!

      Unheimlich hörte sich das an. Auf Wirkung bedacht.

      Eins, zwei, drei. Toch! Toch! Toch!

      Und wieder:

      Eins, zwei, drei. Toch! Toch! Toch!

      Molly schlich zum Fenster. Sie wagte kaum, hinauszusehen. Auf ihren Armen bildete sich eine Gänsehaut. Sie nagte nervös an ihrer Unterlippe. Ein kleines Vordach verhinderte, dass sie sehen konnte, wer an der Haustür stand. Sie öffnete nervös das Fenster.

      Eins, zwei, drei. Toch! Toch! Toch!

      »Ja?«, rief sie mit belegter Stimme hinunter.

      Eins, zwei, drei. Toch! Toch! Toch!

      »Wer ist da?«

      Eins, zwei, drei. Toch! Toch! Toch!

      »Wer ist da?«, rief Molly lauter. Stand Harry dort unten? Wollte er sich mit ihr versöhnen? »Harry?«, rief Molly. »Bist du das?«

      Die Antwort war: Eins, zwei, drei. Toch! Toch! Toch! Molly schloss das Fenster. Wer begehrte da so energisch Einlass? Sie trat vom Fenster zurück, verließ ihr Zimmer und stieg zaghaft die Treppe hinunter, doch unbewaffnet wollte sie die Haustür auf keinen Fall öffnen, deshalb ging sie ins Wohnzimmer und griff nach dem handlichen Feuerhaken, der neben dem offenen Kamin an der Wand lehnte.

      Ich schlage zu, dachte sie entschlossen. Wenn du dich mit mir spielst, haue ich dir dieses Eisen so fest auf den Kopf, dass dir Hören und Sehen vergeht. Ich tu’s. Verflucht noch mal, ich tu es wirklich.

      Eins, zwei, drei. Toch! Toch! Toch!

      Gott, wie das nervte. Sie trat mit erhobenem Feuerhaken aus dem Wohnzimmer und näherte sich mit kleinen Schritten der Haustür.

      Ihre Nervenstränge strafften sich immer mehr. Sie atmete ganz flach. In ihrem Inneren kribbelte und prickelte es überall.

      Es muss schnell gehen, sagte sie sich. Ich muss ihn überraschen. Tür auf und… Wenn aber nur jemand draußen steht, der ganz dringend Hilfe be­nötigt? Was dann? Ich kann den doch nicht mit dem Feuerhaken attackieren.

      Das hieß, Molly würde sich in Sekundenschnelle entscheiden müssen – ob und wie und ob überhaupt. Sie erreichte die Tür, schloss kurz die Augen, sammelte sich, atmete einmal tief durch und auch noch ein zweites Mal und befahl sich dann: Jetzt!

      Gleichzeitig riss sie die Haustür auf und sprang mutig vorwärts. Bereit, zuzuschlagen, falls dies nötig sein sollte, doch das war es nicht.

      Es war nämlich überhaupt niemand da. Weder jemand, der Hilfe brauchte, noch jemand, der ihr Böses wollte. Sie stand mit erhobenem Feuerhaken mutterseelenallein vor dem Haus und kam sich begreiflicherweise reichlich albern vor. Wie viel kann der Mensch sich einbilden?, fragte sie sich ziemlich durcheinander, während sie den Feuerhaken langsam sinken ließ. Gibt es diesbezüglich eine Grenze? Wenn der Geist nicht ganz in Ordnung ist, kann man die abstrusesten Dinge sehen und hören. Die Irrenanstalten sind weltweit überfüllt mit lebenden Beispielen.

      Molly kehrte ins Haus zurück, schloss die Tür, stellte den Feuerhaken neben dem offenen Kamin an seinen Platz und begab sich nach oben.

      Da sie nach dieser Aufregung mit Sicherheit nicht hätte einschlafen können, warf sie ausnahmsweise eine Tablette ein und ging wenig später zu Bett. Sie schlief sehr tief und wachte am nächsten Morgen nicht auf, sondern »kam zu sich«, als der Radiowecker sich mit den neuesten Katastrophennachrichten meldete. Ukraine. Gaza. Irak … Krisenherde, wohin man schaut, dachte Molly seufzend. Es ist zum Heulen. Wieso können die Menschen sich nie vertragen? Ich begreife das nicht.

      Im Büro schwebte die dralle Hetty Page heran und stellte ihr unaufgefordert einen Becher Kaffee auf den Schreibtisch. »Du siehst aus, als würdest du ihn brauchen«, sagte sie.

      Schon wieder?, dachte Molly. »Wieso?«, erwiderte sie. »Ich habe gut geschlafen.«

      »Ach ja?« Das klang so, als würde Hetty an dieser Behauptung zweifeln. Sie trug mal wieder die falsche Konfektionsgröße.

      »Ja«, sagte Molly Stone bestimmt, nahm den Kaffee aber dennoch an.

      »Gibt’s was Neues?«, erkundigte sich Hetty.

      »Wieso fragst du?«

      Hetty Page zuckte mit den Achseln und schürzte die Lippen. »Nur so.« Sie spielte mit einer roten Locke. »Ich bin ein neugieriges Mädchen.« Sie schmunzelte. »Das weißt du doch.«

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