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»Es geht um Leandras Leben, und ich werde dieses Schloß nicht eher verlassen, bis ich weiß, wo sich ihre Mutter und ihr Bruder aufhalten.«

      Im Gesicht des Fürsten zuckte es, dann wandte er sich brüsk ab.

      »Ich kann Ihnen keine Antwort geben«, behauptete er. »Ich weiß nicht, wo Alix und der Junge sind.«

      »Damit lasse ich mich nicht abspeisen«, erklärte Dr. Daniel fest. »Leandra­ leidet an Leukämie. Sie hat höchstens noch ein Jahr zu leben, wenn keine Knochenmarktransplantation durchgeführt wird. Und die einzigen Spender, die dafür in Frage kommen, sind ihre Mutter und ihr Bruder. Also – wo ist Prinzessin Alix und wo ist Ahilleas?«

      Der Fürst atmete tief durch, dann drehte er sich um.

      »Wie haben Sie das Mädchen gefunden?« wollte er wissen. »Es war alles bestens arrangiert. Sie wurde zu einem Ehepaar nach Hannover gegeben.«

      »Helga und Manfred Krenn.« Dr. Daniel beobachtete den Fürsten genau und bemerkte das verräterische Zucken in seinem Gesicht.

      »Es war Zufall, Durchlaucht«, fuhr er dann fort. »Leandra kam in die Klinik, in der ich vor über zwanzig Jahren als Assistenzarzt gearbeitet habe. Sie weiß, daß sie sterben wird, und ihr letzter Wunsch ist es, ein Baby zu bekommen, damit wenigstens etwas von ihr in dieser Welt weiterlebt, und damit ihr Mann nicht völlig allein dasteht, wenn sie von uns gehen muß. Aus diesem Grund wurde Leandra vom Chefarzt der Klinik an mich verwiesen.«

      Fassungslos schüttelte Fürst Bernhard den Kopf, dann ließ er sich schwer auf einen der lederbezogenen Sessel fallen.

      »Alix ist tot«, gestand er leise. »Sie starb vor fünf Jahren bei einem Autounfall.« Er zuckte die Schultern. »Vielleicht war es auch gar kein Unfall. Nachdem ich ihr die Kinder genommen hatte, wollte sie wohl nicht mehr leben. Ich habe sie nach ihrer Hochzeit nie mehr gesehen, aber man sagte mir, daß sie bei allem, was sie tat, Kopf und Kragen riskierte.«

      Diese Nachricht erschütterte Dr. Daniel zutiefst. Niemals hatte er damit gerechnet, daß Prinzessin Alix tot sein könnte.

      »Und… Ahilleas?« fragte er in banger Erwartung.

      Der Fürst zuckte die Schultern. »Ich kann Ihnen die Adresse des Ehepaares geben, das ihn adoptiert hat. Seitdem habe ich nie wieder von ihm gehört.« Er schwieg kurz, dann setzte er voller Härte hinzu: »Ich wollte auch nichts von ihm hören.«

      Er stand auf, verließ den Salon und kehrte wenig später mit einem Notizzettel zurück.

      »Hier ist die Adresse«, erklärte er, dann bedachte er Dr. Daniel mit einem harten Blick. »Ich möchte Sie hier nie wieder sehen.«

      Dr. Daniel hielt diesem Blick stand. »Und Sie haben kein Interesse daran, Ihre Enkelin kennenzulernen?«

      Abrupt wandte sich der Fürst um. »Nein. Und jetzt gehen Sie!«

      Dr. Daniel zögerte noch einen Moment, dann sah er ein, daß es keinen Sinn hatte, weiter in diesen starrsinnigen alten Mann zu dringen. Er murmelte einen Abschiedsgruß und verließ dann das Schloß. Erst als er in seinem Auto saß, warf er einen Blick auf den Zettel.

      Karl und Inge Herzog, Schützenallee, Freiburg.

      Dr. Daniel seufzte. Das war leider auch nicht gerade der Stadtrand von München. Aber vielleicht mußte er ja gar nicht dorthin fahren. Schließlich lebte er ja im Zeitalter des Telefons.

      Doch das war vergebliche Mühe. Das Ehepaar Herzog war vor fünf Jahren aus Freiburg weggezogen. Eine neue Adresse war nicht bekannt. Dr. Daniel war wieder genauso weit wie am Anfang.

      *

      Zum ersten Mal seit langem war Anna Deichmann mit sich und der Welt wieder zufrieden. Sie saß im Wohnzimmer auf dem Sofa und sah mit einem seligen Lächeln auf den Lippen vor sich hin. Es war ein so schöner Nachmittag, den sie heute verleben durfte.

      Ganz unverhofft war Karina, die Tochter von Dr. Daniel heute zu ihr zu Besuch gekommen.

      »Mein Vater hat mir von Ihnen erzählt, und da wollte ich Sie unbedingt kennenlernen«, hatte sie behauptet, doch Anna ahnte, daß es etwas anders gewesen war. Wahrscheinlich hatte Dr. Daniel seine Tochter gebeten, die einsame Frau einmal zu besuchen, und daß ein junges Mädchen dieser Bitte nachkam, rührte Anna Deichmann ganz besonders.

      Jetzt balancierte Karina ein Tablett herein und stellte es auf dem Wohnzimmertisch ab.

      »So, Frau Deichmann, der Kaffee ist fertig.« Sie lächelte. »Den Kuchen habe ich im Waldcafé besorgt.«

      »Mhm«, schwärmte Anna. »In einen solchen Genuß komme ich nur noch selten.« Ihr Blick wurde traurig. »Mit meinem Mann bin ich auch ab und zu ins Waldcafé gegangen, aber das ist lange her.«

      »Ich wußte gar nicht, daß es dieses Cafe schon so lange gibt«, erklärte Karina, um die Frau von ihren traurigen Gedanken abzulenken.

      Das Manöver gelang. Ein Lächeln huschte über Annas Gesicht. »Ach, das Waldcafé gibt es schon eine halbe Ewigkeit. Meine Eltern sind bereits dorthin gegangen. Soviel ich weiß, ist es seit drei Generationen im Besitz der Gassners. Und ihre Kuchen und Torten werden alle nach alten Familienrezepten gemacht.«

      Karina lächelte. »Meine Güte, was Sie alles wissen. Sie leben schon lange hier in Steinhausen, nicht wahr?«

      Anna nickte. »Ich bin hier geboren und aufgewachsen. Und auch meine Eltern wurden schon hier geboren. Abgesehen von der Hochzeitsreise war ich noch niemals weg von zu Hause.« Sie winkte ab. »Aber das muß für Sie doch langweilig sein, Karina. Erzählen Sie lieber von sich.«

      »Da gibt es nicht viel zu erzählen«, wehrte Karina bescheiden ab. »Ich studiere Jura in München.«

      »Und Sie haben sicher einen Freund, der Sie heute ganz schrecklich vermissen wird«, vermutete Anna.

      Karina errötete ein wenig und dachte dabei an Markus Wagner, mit dem sie ab und zu zum Mittagessen in die Mensa ging, dann schüttelte sie den Kopf. »Einen richtigen Freund habe ich nicht. Es gibt zwar einen jungen Mann, mit dem ich mich sehr gut verstehe, allerdings haben wir uns noch nie privat getroffen. Er ist ein Studienfreund von mir.« Sie grinste spitzbübisch. »Und ob er mich vermißt, weiß ich nicht.«

      »Ganz bestimmt«, versicherte Anna, doch dann wurde sie wieder ernst, fast traurig. »Ich werde Sie auch vermissen, wenn Sie erst wieder weg sind.«

      Impulsiv legte Karina eine Hand auf ihren Arm. »Ich besuche Sie bald wieder, Frau Deichmann, das verspreche ich Ihnen.«

      Liebevoll tätschelte Anna die Hand des jungen Mädchens. »Sie haben dasselbe gute Herz wie Ihr Vater, Karina. Ich glaube, ich wäre schon oft verzweifelt, wenn er nicht gewesen wäre. Und während der fünf Jahre, die er nach dem Tod Ihrer Frau Mutter in München verbracht hatte, dachte ich manchmal, ich müßte sterben vor Einsamkeit.«

      Unwillkürlich dachte Karina daran, wie selten ihr Vater für sie und ihren Bruder Stefan Zeit gehabt hatte, weil er immer für seine Patientinnen da sein wollte, und wie sehr sie ihn trotz allem liebte und verehrte. Und wenn Stefan nicht Medizin studiert hätte, dann hätte Karina mit Sicherheit ihrem Vater nachgeeifert und wäre Ärztin geworden.

      »Sie sind plötzlich so nachdenklich geworden«, bemerkte Anna. »Habe ich irgend etwas Falsches gesagt?«

      Karina lächelte. »Nein, ganz und gar nicht. Ich habe nur an meinen Vater gedacht und daran, wieviel er mir bedeutet.«

      Die Worte zauberten einen melancholischen Ausdruck in Annas Augen.

      »Ich beneide Ihren Vater um Sie, Karina. Eine solche Tochter hätte ich mir auch gewünscht.«

      Karina bemerkte, daß sie auf dem besten Wege waren, in eine schwermütige Stimmung zu geraten, und so schwenkte sie geschickt auf ein anderes Thema um. Sie erzählte ein paar lustige Begebenheiten von der Uni, über die Anna herzhaft lachen konnte. Auf diese Weise verging die Zeit im Fluge, und schließlich mußte Karina an die Heimfahrt denken. Sie verabschiedete sich sehr herzlich von Anna Deichmann und versprach, bald wiederzukommen,

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