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und dabei wurde ihm wieder einmal bewußt, daß er aus diesem Mann nicht schlau wurde. Dann warf er einen Blick auf die Uhr. Bis nach Steinhausen brauchte er etwas mehr als eine halbe Stunde. Er hatte also noch Zeit, um Leandra­ einen kurzen Besuch abzustatten – sofern man ihn überhaupt zu ihr ließ.

      Der Stationsarzt verließ gerade Leandras Zimmer, als Christian darauf zuging. Dr. Scheibler sah ihm entgegen.

      »Sie wollen zu Ihrer Frau?« fragte er.

      Christian nickte. »Wenn ich darf.«

      »Natürlich, Herr Schütz, allerdings…, sie wird wohl nicht viel mitbekommen. Sie ist sehr geschwächt, aber das wissen Sie ja wahrscheinlich.«

      Wieder nickte Christian, dann betrat er leise das Krankenzimmer. In dem weißen Bett wirkte Leandra noch blasser als zuvor. Sie hatte die Augen geschlossen, doch ihre Hände zuckten unruhig über die Bettdecke. Christians Blick wanderte zu den Infusionsflaschen hinauf. Zwei wäßrig klare Lösungen und eine rote – offensichtlich Blut. Unwillkürlich griff sich Christian an den Hals, dann zwang er seinen Blick von den Flaschen weg und trat leise zu Leandras Bett.

      In diesem Moment schlug sie die Augen auf.

      »Chris, bitte geh!« verlangte sie. »Ich will nicht, daß du mich so siehst!«

      Christian war ziemlich erschüttert. »Aber… Liebes…«

      »Geh!« Sie drehte den Kopf zur Seite und schluchzte auf. »Geh doch endlich!«

      Christian zögerte noch einen Moment, dann verließ er ohne ein weiteres Wort das Zimmer. Dr. Scheibler sah, wie niedergeschlagen der junge Mann auf den Flur trat und ging zu ihm. Mitfühlend legte er eine Hand auf Christians Schulter.

      »Lassen Sie ihr Zeit«, riet er. »Die Medikamente werden ihr rasch helfen, und wenn es ihr erst besser geht, dann will sie Sie auch wieder sehen.«

      »Hoffentlich«, flüsterte Christian, dann verließ er mit langsamen, schleppenden Schritten das Krankenhaus und stieg in seinen Wagen. Erst dort ließ er seinen Gefühlen freien Lauf. Seine Stirn sank gegen das Lenkrad, und heftiges Schluchzen schüttelte seinen Körper.

      »Warum?« Wie ein Schmerzensschrei entrang sich dieses eine Wort immer wieder seiner Brust. »Warum?«

      Es dauerte eine halbe Ewigkeit, bis sich Christian wieder beruhigen konnte, dann richtete er sich auf, drehte den Zündschlüssel und scherte rückwärts aus der Parklücke. Er mußte nach Steinhausen wenn er auch keine Ahnung hatte, was Dr. Daniel noch von ihm wollte.

      *

      Seit einer Stunde saß Silvia Burgner im Warteraum der Thiersch-Klinik und wurde immer nervöser.

      Warum dauerte das denn so lange? Dr. Daniel hatte doch gesagt, sie käme sicher gleich dran.

      In diesem Moment wurde die Tür schwungvoll aufgerissen, und ein junger Arzt trat herein.

      »Frau Burgner?« fragte er, und nachdem Silvia genickt hatte, fuhr er fort: »Es tut mir leid, daß Sie so lange warten mußten, aber wir hatten einen Notfall. Scheibler ist übrigens mein Name.«

      Er reichte Silvia die Hand, dann konzentrierte er sich auf das Überweisungsschreiben, das Dr. Daniel seiner Patientin mitgegeben hatte.

      »Kommen Sie bitte mit.« Er ging Silvia voran in einen Untersuchungsraum und legte den Brief auf dem Schreibtisch ab. »Würden Sie sich bitte freimachen?«

      Rasch kam Silvia dieser Aufforderung nach. Sie wollte das Ganze endlich hinter sich haben.

      »Ich entnehme dem Schreiben Ihres Arztes, daß Sie vorerst nicht stationär bei uns bleiben wollen«, fuhr Dr. Scheibler fort.

      Silvia kämpfte mit den Knöpfen ihrer Bluse. Warum war sie denn nur so verdammt nervös?

      »Das ist richtig«, brachte sie mühsam hervor. »Ich…, ich kann nicht hierbleiben.«

      Dr. Scheibler nickte und machte eine Notiz. »Wir schicken das Untersuchungsergebnis an Dr. Daniel. Melden Sie sich also bitte Ende der Woche bei ihm.«

      Silvia nickte. Endlich hatte sie die Bluse offen. Dr. Scheibler stand neben ihr und wartete, dann bemerkte er ihre bebenden Hände.

      »Sie müssen vor mir keine Angst haben«, meinte er mit einem freundlichen Lächeln. »Ich beiße nicht.«

      Auch Silvia zwang sich zu einem Lächeln, das jedoch eher zu einer Grimasse geriet.

      »Vor Ihnen habe ich auch keine Angst«, gestand sie, »sondern eher vor dem, was hier herauskommt.«

      »Sie sollten sich da jetzt in keine Panik hineinsteigern«, entgegnete Dr. Scheibler. »Nicht jeder Knoten in der Brust bedeutet Krebs.«

      »Das hat Dr. Daniel auch schon gesagt«, flüsterte Silvia. »Aber ich habe trotzdem Angst.«

      Jetzt hatte sie ihren Oberkörper endlich freigemacht, und sehr gewissenhaft tastete Dr. Scheibler ihre Brust ab. Der Knoten war deutlich fühlbar.

      »Ich glaube, in diesem Fall können wir uns die Mammographie sparen«, erklärte Dr. Scheibler. »Legen Sie sich bitte hier auf die Untersuchungsliege. Ich muß eine Biopsie vornehmen.« Er lächelte die erschrockene Silvia beruhigend an. »Keine Angst, das tut nicht weh.«

      Dr. Scheibler nahm eine örtliche Betäubung vor, dann trat er mit einer speziellen Spritze zu ihr. Silvia fühlte Übelkeit aufsteigen.

      »Schauen Sie besser weg«, riet Dr. Scheibler ihr. »Ich entnehme lediglich eine kleine Gewebeprobe. Die Einstichstelle ist betäubt, Sie werden also gar nichts spüren.«

      Silvia fühlte, wie die Probe entnommen wurde, und obwohl sie wirklich keine Schmerzen hatte, wurden ihre Handflächen vor Angst und Nervosität feucht.

      »So, Frau Burgner, das war’s schon«, meinte Dr. Scheibler. »Sie können sich wieder ankleiden. Und wie gesagt – Sie melden sich Ende der Woche bitte bei Dr. Daniel.«

      Silvia nickte. »Ja, Herr Doktor.«

      Dr. Scheibler reichte ihr zum Abschied die Hand. »Machen Sie sich keine Sorgen, Frau Burgner. In achtzig Prozent der Fälle ist eine solche Geschwulst harmlos.«

      *

      Irene hatte gerade das Mittagessen aufgetragen, als es klingelte. Rasch stand Dr. Daniel auf und öffnete die Tür.

      »Herr Schütz, ich habe Sie schon erwartet«, erklärte er, dann bat er seinen Besucher herein. »Sie können gleich mit mir zu Mittag essen. Ich nehme an, Sie hatten noch keine Gelegenheit dazu.«

      »Ich habe auch keinen großen Appetit«, gestand Christian leise.

      »Ein paar Bissen werden Sie schon hinunterbringen«, meinte Dr. Daniel. »Meine Schwester ist übrigens eine ausgezeichnete Köchin.«

      Christian nickte. »Das glaube ich gern.« Und dann konnte er seine Neugier nicht mehr länger zügeln. »Warum wollten Sie mich noch mal sprechen, Herr Doktor?«

      Dr. Daniel atmete tief durch. »Es geht um Ihre Frau, wie Sie sich denken können.«

      »Ja, natürlich, aber ich kann mir nicht vorstellen, was es da noch zu bereden gibt. Meine Frau ist jetzt in der Klinik und bekommt Infusionen. Wie lange die sie am Leben halten, ist wahrscheinlich sehr ungewiß.«

      Dr. Daniel musterte den jungen Mann. Die schwere Krankheit seiner Frau belastete ihn ganz offensichtlich in extremer Weise. Er litt mit ihr.

      »Was wissen Sie über Ihre Frau?«

      Verständnislos sah Christian den Arzt an. »Was soll das heißen?«

      »Ihre Frau wurde als Baby adoptiert.«

      »Ach so, das meinen Sie.« Christian nickte. »Das weiß ich natürlich. Leandra und ich haben keine Geheimnisse voreinander. Ich wußte so ziemlich von Anfang an, daß sie nicht die leibliche Tochter der Krenns ist. Aber was hat das mit Leandras Krankheit zu tun?«

      »Sehr viel«, meinte Dr. Daniel. »Es geht

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