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      »Aber… das ist Wahnsinn!« begehrte Dr. Scheibler auf. »Außerhalb der Klinik haben Sie nicht die geringste Chance zu überleben!«

      »Hier habe ich auch keine«, entgegnete Leandra bitter. »Ich habe mir Bücher besorgen lassen – über Zytostatika.« Sie schüttelte den Kopf. »Damit lasse ich mich nicht behandeln. Ich werde die Klinik noch heute verlassen.«

      »Damit sprechen Sie Ihr eigenes Todesurteil«, erklärte der Chefarzt, der ebenfalls hinzugekommen war. »Bleiben Sie hier, und lassen Sie sich behandeln. Andernfalls sind Sie in spätestens einem Jahr tot.«

      Der harte, ruppige Ton des Professors traf Leandra bis ins Innerste. Sie hatte sich ja von Anfang an ein wenig vor diesem Mann gefürchtet. Jetzt erschien er ihr wie das personifizierte Unheil. Unwillkürlich trat sie einen Schritt zurück.

      »Was ist? Habe ich Sie erschreckt?« fuhr Professor Thiersch fort. Dann nickte er. »Das ist gut so. Sie machen sich von Ihrer Krankheit vermutlich eine falsche Vorstellung. Es ist nicht so, daß Sie nach einem Jahr ruhig und friedlich sterben werden. Sie werden Schmerzen haben. Sie werden die Hölle durchleiden. Wollen Sie das wirklich riskieren?«

      Leandra schluckte. So hatte sie es sich tatsächlich nicht vorgestellt. Tränen traten in ihre Augen.

      »Aber ich werde doch sowieso sterben«, schluchzte sie auf. »Nur eine Knochenmarktransplantation könnte mich retten, und die ist nicht möglich.«

      »Wir werden alles tun, was in unserer Macht steht«, versprach der Professor, und dabei klang seine Stimme schon merkwürdig ruhiger.

      Leandra zögerte, doch dann hob sie entschlossen den Kopf. »Darauf lasse ich es nicht ankommen. Ich lasse mich nicht mit Medikamenten zugrunde richten. Ich kenne die Nebenwirkungen von Zytostatika. Nein, Herr Professor, da sterbe ich lieber in einem Jahr. Und wenn die Schmerzen kommen, die Sie mir angekündigt haben, dann werde ich Mittel und Wege finden, um mich davon zu erlösen.«

      Abrupt wandte sich Professor ­Thiersch um. »Ihnen ist wirklich nicht zu helfen.«

      Helga Krenn sah dem Chefarzt nach, dann wandte sie sich ihrer Tochter zu.

      »Leandra, bitte, laß dir doch helfen«, flehte sie. »Bleib hier in dieser Klinik und…«

      Doch das junge Mädchen schüttelte den Kopf. »Christian und ich haben gestern über alles gesprochen. Wir werden heiraten, und dann wollen wir ein Kind haben. Ein Jahr hat mir der Professor gegeben – das reicht. Und wenn ich gehen muß, dann wird Chris wenigstens nicht ganz allein sein.«

      »Das wollen Sie tun?«

      Leandra erschrak, als die scharfe Stimme des Chefarztes neben ihr erklang. Er hatte ihre Worte gehört und war noch einmal zurückgekommen.

      »Sie wollen in Ihrem Zustand eine Schwangerschaft durchstehen?« Fassungslos schüttelte er den Kopf. »Vergessen Sie es!«

      »Aber…«, begehrte Leandra auf, doch Professor Thiersch schnitt ihr mit einer energischen Handbewegung das Wort ab.

      »Vergessen Sie es!« wiederholte er und wandte sich erneut zum Gehen, aber nach wenigen Schritten drehte er sich um, und als er zu sprechen begann, hatte sein Ton alle Schärfe verloren. »Fahren Sie nach Steinhausen und wenden Sie sich an Dr. Robert Daniel. Er ist Gynäkologe und wird Ihnen sagen, welche Chancen Sie haben.« Bei den letzten Worten war seine Stimme wieder hart geworden, dann verschwand er endgültig.

      Leandra runzelte die Stirn. »Dr. Daniel?« Sie wandte sich dem Stationsarzt zu. »Wissen Sie, wer das ist?«

      Dr. Scheibler nickte, doch dann schränkte er ein: »Ich kenne ihn nicht persönlich, aber er hat vor etlichen Jahren hier als Assistenzarzt gearbeitet. Inzwischen hat er sich als Gynäkologe niedergelassen und hat einen ausgezeichneten Ruf.« Er schwieg kurz. »Sie sollten den Rat des Professors befolgen und sich an Dr. Daniel wenden.« Wieder machte er eine kurze Pause. »Noch besser wäre es allerdings, Sie würden hierbleiben.«

      Doch Leandra schüttelte den Kopf. »Mein Entschluß steht fest. Noch heute werde ich die Klinik verlassen.«

      *

      Die Vormittagssprechstunde war zu Ende. Mit einem tiefen Seufzer stand Dr. Robert Daniel auf. Es war heute wieder einmal anstrengend gewesen, und so freute er sich jetzt auf seine Mittagspause. Der Nachmittag versprach ihm nämlich nur wenig Erleichterung, wie er mit einem kurzen Blick auf den Terminkalender hatte feststellen können.

      Jetzt verließ er sein Sprechzimmer und trat ins Vorzimmer hinaus, in dem die junge Empfangsdame Gabi Meindl an der Schreibmaschine saß und gerade die letzten Worte tippte.

      »Ich bin gleich fertig, Herr Doktor«, beeilte sie sich zu versichern.

      »Schon gut, Frau Meindl«, entgegnete Dr. Daniel lächelnd. »Ich unterschreibe inzwischen die Briefe, die bereits hier liegen.«

      Es war seine Gewohnheit, die anfallenden Rechnungen und Briefe noch vor dem Mittagessen zu unterschreiben, was für die junge Empfangsdame gelegentlich mit einigem Streß verbunden war. Auch jetzt waren ihre Wangen leicht gerötet, als sie den letzten Brief vor ihren Chef hinlegte. Dr. Daniel las ihn gewissenhaft durch, dann setzte er seine schwungvolle Unterschrift darauf.

      »Gut«, meinte er. »Liegt sonst noch etwas an?«

      Gabi warf einen kurzen Blick auf ihren Notizblock. »Ja, Herr Doktor, Frau Deichmann hat angerufen. Sie hat so starke Unterleibsschmerzen, daß sie nicht in die Praxis kommen kann.«

      Dr. Daniel unterdrückte nur mit Mühe einen Seufzer. »Ich werde gleich nach dem Mittagessen zu ihr hinausfahren.« Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Schon gleich ein Uhr. In zwei Stunden begann die Nachmittagssprechstunde, und der Weg zu Frau Deichmann war weit. Er würde also wieder mal mehr oder weniger im Stehen essen müssen.

      »Frau Kaufmann«, wandte er sich an die eben hinzugekommene Sprechstundenhilfe. »Sie haben vielleicht gehört, daß ich zu Frau Deichmann muß. Ich bin nicht sicher, ob ich zur Nachmittagssprechstunde pünktlich sein werde, aber ich werde mich natürlich beeilen.«

      »Ist recht, Herr Doktor«, erwiderte die Sprechstundenhilfe. »Ich mache in der Zwischenzeit schon mal die nötigen Blutabnahmen, und soviel ich weiß, kommen zwei der angemeldeten Patientinnen ohnehin nur zum Schwangerschaftstest. Das kann ich ja auch allein erledigen.«

      Dr. Daniel lächelte. »Sie sind eine Perle, Frau Kaufmann.« Dann nickte er den beiden Damen zu. »Mahlzeit zusammen.«

      Immer zwei Stufen auf einmal nehmend lief er ins erste Stockwerk hinauf und betrat seine Wohnung. Es duftete herzhaft nach Gulasch, und Dr. Daniel bemerkte, wie hungrig er war.

      »Irene!« rief er in die Küche. »Kann ich gleich essen? Ich hab’s furchtbar eilig.«

      »Wie immer«, kam die Antwort von seiner Schwester, die ihm seit seiner Rückkehr nach Steinhausen vor einigen Monaten den Haushalt führte.

      »Gar nicht wahr«, verteidigte sich Dr. Daniel. »Ich versuche jeden Tag, mir zum Essen Zeit zu nehmen, aber manchmal…«

      »Meistens«, berichtigte ihn Irene. »Meistens schlingst du dein Mittagessen nur hastig hinunter, und das ist gar nicht gesund.«

      Dr. Daniel seufzte. Diesen Kommentar hörte er regelmäßig so alle zwei Tage.

      »Bitte, Irenchen, spiel jetzt nicht den Gesundheitsapostel. Ich hab’s wirklich eilig. Ich muß zu Frau Deichmann.«

      »Schon wieder?« entfuhr es seiner Schwester. »Meine Güte, du warst doch erst vorige Woche bei ihr. Ich glaube, die ruft dich nur zu sich, damit sie nicht allein ist.«

      »Damit liegst du gar nicht so falsch«, meinte Dr. Daniel, während er Nudeln auf seinen Teller häufte und sich dann vom Gulasch bediente. »Die arme Frau tut mir furchtbar leid. Sie hat eine glückliche Ehe geführt, doch ihr Mann ist schon in sehr jungen Jahren gestorben, und sie hat nie mehr geheiratet, weshalb ihr natürlich auch Kinder versagt blieben. Als sie noch jünger war, schien ihr das nicht so viel ausgemacht zu haben, doch jetzt setzt ihr diese Kinderlosigkeit

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