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als ihr Telefon klingelte. Es war Sergio.

      »Bella contessa«, so nannte er sie immer. Und sie hatte nichts dagegen. Dann begann er erst einmal Süßholz zu raspeln, bis es Leonie zu viel wurde.

      »Sergio, du kannst dich um Kopf und Kragen reden. Mit uns, das wird nichts. Du italienischer Macho – gib endlich auf. Ich kann dich wirklich gut leiden, aber was das angeht, was du erwartest, da bist du für mich ein Meter achtzig null Erregung …, und das weißt du auch.«

      Er war überhaupt nicht beleidigt, weil er das nicht zum ersten Male hörte.

      »Und du bist für mich ein Meter siebzig brodelnder Vulkan, cara mia. Das weißt du auch.«

      Ehe er jetzt dieses Thema ver­tiefen würde, wechselte sie es lieber.

      »Sergio, hast du etwas herausfinden können?«

      Sofort wurde er ernst.

      »Ja. Die Mafia ist nicht zimperlich, wenn es um die Ermordung von Leuten geht, die ihr im Weg steht. Was mit Richter Perucci geschehen ist, ist an Grausamkeit nicht zu überbieten …, er hat sich unerschrocken der Mafia in den Weg gestellt, hat sich getraut, die Big-Bosse zu langjährigen Haftstrafen zu verurteilen. Dafür hat er die Quittung bekommen …, nicht nur Salvatore Perucci wurde ermordet …, sie haben seine ganze Familie niedergemetzelt. Bei einer Familienfeier …, seine Frau, seine vier Söhne, zwei Töchter, seine Eltern, zwei Tanten und eine Cousine …, nur die jüngste Tochter Carlotta hat das Massaker überlebt, weil sie während der Feier wegen eines Streites mit einem ihrer Brüder davongelaufen war.«

      Ihre Tante Klara hatte etwas angedeutet.

      Sie selbst hatte diese unerklärliche Vorahnung gehabt.

      Das, was Sergio ihr da gerade erzählt hatte, nahm ihr den Atem. Sie war nicht in der Lage, etwas dazu zu sagen.

      »Diese Morde sollten als Abschreckung dienen. Und das ist streckenweise auch gelungen. Auch wenn es verrückt klingt, weil die Mafia gesetzeswidrig arbeitet, niemand traut sich so recht an sie heran, und niemand wagt es vor allem, die Bosse zu verhaften und sie zu verurteilen …, die Mafia wird wohl auf ewig ein Schandfleck für ganz Italien sein.«

      Sie hatte ihm kaum zugehört, sie musste erst das verarbeiten, was sie zuerst erfahren hatte.

      Grauenvoll …

      Irgendwann fasste sie sich.

      »Und, Sergio, hast du auch erfahren, was aus Carlotta geworden ist?«

      »Nein, die ist wie vom Erdboden verschwunden. Vermutlich kam sie in irgendein Schutzprogramm. Vielleicht hat sie sich ins Ausland abgesetzt, führt unter einem anderen Namen ein neues Leben …, aber sag mal, cara contessa …, warum willst du das alles wissen? Liegt schon so lange zurück. Willst du einen Roman daraus machen?«

      »Nein, Sergio, hier gibt es eine Tote …«

      Dann erzählte sie ihm die ganze Geschichte, die war sie ihm auf jeden Fall schuldig.

      »Hm, es könnte sich um Carlotta Perucci handeln. Aber da muss man sich doch fragen, warum hat sie sich erst nach so vielen Jahren umgebracht? Das hätte doch mehr Sinn gemacht, nachdem ihre Familie niedergemetzelt worden war …, die Zeit heilt die Wunden. Vermutlich kommt man über so etwas niemals hinweg. Doch der Schmerz lässt nach …«

      »Warum sie es getan hat, wenn sie es überhaupt ist, werden wir vermutlich niemals erfahren …, danke, Sergio, für diese prompte Information …, bitte sei mir jetzt nicht böse, wenn ich das Gespräch beenden möchte. Deine Information hat mich erst mal niedergehauen, das muss ich verarbeiten …, grässlich, ein solches Gemetzel. Und welch ein Schock für die arme Überlebende … Alle tot, nur sie nicht …, warum? Warum hat sie überlebt?«

      »Weil sie noch nicht an der Reihe war?«, bemerkte er. »Es gibt doch auch Flugzeugabstürze kleinerer Maschinen, Autounfälle und so weiter mit vielen Toten. Und doch ist immer wieder mal einer dabei, der überlebt. Ich denke, es ist schon bei unserer Geburt vorbestimmt, welche Zeit wir auf unserem schönen Planeten haben, und die sollten wir nutzen. Nutzen für schöne Dinge.«

      Spätestens jetzt hätte Sergio wieder angefangen Süßholz zu raspeln, sie anzubaggern. Aber selbst ein Macho, ein netter allerdings, wie er, wusste, wann man etwas besser bleiben ließ.

      »Du hast recht, Sergio. Nur leider halten wir uns nur viel zu selten daran. Die guten Vorsätze sind schnell zerstoben wie Blätter im Wind …, nochmals danke …, auch wenn aus uns niemals ein Paar werden kann, weil wir zu verschieden sind. Es ist dennoch schön, dich in meinem Leben zu haben.«

      »Mir geht es doch auch so, bella contessa …, pass auf dich auf, und wenn ich etwas für dich tun kann …, du weißt, wie du mich erreichen kannst.«

      Sie wechselten noch ein paar unverbindliche Worte, dann war das Gespräch beendet.

      Leonie war fix und fertig. So viele Menschen einfach umgebracht.

      Wie musste Carlotta sich gefühlt haben? Keinen Vater mehr … Keine Mutter mehr … Keine Schwestern mehr … Keine Brüder mehr … Keine Großeltern, keine Tanten, keine Cousine …

      Und dann noch mit einem der Brüder gestritten, ohne die Chance auf ein versöhnendes Gespräch …

      Leonie stand auf, ging hinaus auf ihre Terrasse, blickte hinunter in den parkähnlichen Garten, der ein wahres Schmuckstück war.

      Das allerdings nahm Leonie heute nicht bewusst wahr.

      Sie hörte nicht das Zwitschern der Vögel, sah nicht die verschwenderisch blühenden vielen Rosen, nicht die im Sonnenlicht taumelnden bunten Schmetterlinge.

      Leonies Gedanken wanderten zurück zu dem Sonntag, an dem alles begonnen hatte, an dem sie von Hauptkommissar Paul Schuster umgerannt worden war.

      Seitdem war alles anders geworden.

      Wäre es nicht zu diesem Zusammenstoß gekommen, hätte sie vermutlich in der Zeitung von dieser Wasserleiche gelesen. Sie hätte den Artikel überflogen, ohne berührt zu sein.

      Man las immer wieder mal etwas Derartiges, oder man hörte und sah es in den Medien.

      Verrückt …

      Leonie war überzeugt davon, dass alles so und nicht anders hatte kommen müssen.

      Wie das Leben manchmal so spielte …

      Allmählich kam sie wieder herunter, und da wurde ihr klar, dass sie unbedingt den Kommissar anrufen musste, um ihm von dem Telefonat mit Sergio Calderoni zu erzählen.

      Verdient hatte er es eigentlich nicht, und deswegen zögerte sie auch noch etwas.

      Sie versorgte ihn mit wichtigen Informationen, und er, was tat er?

      Er spielte nicht mit offenen Karten und glaubte, sie sei so blöd, um nicht zu erkennen, wenn er sich anders als sonst verhielt.

      Sie wartete noch ein Weilchen. Dann sagte sie sich, dass sie nicht Gleiches mit Gleichem vergelten musste.

      Auch wenn sie sauer auf ihn war, durfte sie ihm diese Informationen einfach nicht vorenthalten.

      Sie überwand sich, verließ die Terrasse und griff drinnen zum Telefon, wählte seine Nummer.

      Eine helle, jung klingende Frauenstimme meldete sich.

      »Jenny Müller am Apparat von Hauptkommissar Schuster. Was kann ich für Sie tun?«

      Als Leonie den Hauptkommissar sprechen wollte, teilte Frau Müller ihr mit, dass das leider nicht möglich sei, Herr Schuster sei in den nächsten beiden Tagen nicht erreichbar.

      Sie könne ihm aber gern etwas ausrichten.

      Musste sie nicht.

      Leonie bedankte sich und legte auf.

      War er wirklich nicht da, oder ließ er sich einfach nur verleugnen, weil er ihr etwas vorenthielt, nicht erzählen wollte?

      Hatte er sich zu weit aus dem Fenster gelehnt

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