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merkt, daß einem andern irgendeine Gefahr droht. Hier ist die Einfühlung manchmal so stark, daß man unwillkürlich selbst, obwohl nicht gefährdet, Abwehrbewegungen ausführt. Bekannt ist ferner die zurückziehende Bewegung, die man mit der Hand ausführt, wenn man z. B. ein Glas fallen läßt. Oft kann man beim Kegelschieben beobachten, wie einzelne Spieler gleichsam die Bewegung der Kugel mitmachen wollen, sie mit ihrem ganzen Körper vorwegnehmen, als ob sie deren Lauf dadurch beeinflussen wollten. Weitere Erscheinungen sind die Gefühle, von denen man befallen wird, wenn man jemand in einem hochgelegenen Stockwerk Fenster putzen sieht, oder wenn man erlebt, daß ein Redner das Unglück hat, stecken zu bleiben. Im Theater wird man es kaum vermeiden können, mitzufühlen und die verschiedensten Rollen in seinem Innern mitzuspielen. — Unser gesamtes Erleben hängt also mit der Einfühlung innig zusammen.

      Suchen wir danach, wo diese Funktion ihren Ursprung hat, diese Möglichkeit, so zu empfinden, als ob man ein anderer wäre, so finden wir die Erklärung nur in der Tatsache des angeborenen Gemeinschaftsgefühls. Diese ist eigentlich ein kosmisches Gefühl, ein Abglanz des Zusammenhanges alles Kosmischen, das in uns lebt, dessen wir uns nicht ganz entschlagen können und das uns die Fähigkeit gibt, uns in Dinge einzufühlen, die außerhalb unseres Körpers liegen.

      Wie es verschiedene Grade des Gemeinschaftsgefühls gibt, gibt es auch verschiedene Grade der Einfühlung, die man ebenfalls schon im Kindesalter beobachten kann. Es gibt Kinder, die sich mit Puppen so beschäftigen, als ob es lebendige Wesen wären, während andere vielleicht nur das Interesse haben, nachzusehen, was darinnen ist. Durch Ablenken der Gemeinschafts­beziehungen von den Mitmenschen auf leblose oder wenig wertvolle Dinge, kann die Entwicklung eines Menschen sogar völlig zum Scheitern gebracht werden. Fälle von Tierquälerei, die man so oft bei Kindern beobachtet, sind nur denkbar bei Annahme eines fast völligen Mangels von Einfühlung in das Empfinden anderer Wesen. In weiterer Folge können solche Kinder dazu gelangen, sich für Dinge zu interessieren, die für ihre Entwicklung zum Mitmenschen bedeutungslos sind, Interessen anderer völlig zu übersehen und nur an sich zu denken. Alle diese Erscheinungen hängen mit dem geringen Grade der Einfühlung zusammen. Schließlich kann Mangel an Einfühlung dazu führen, die Aufnahme der Mitarbeit völlig zu verweigern.

      Die Frage, wieso Einwirkungen auf einen anderen Menschen überhaupt Zustandekommen können, ist im Sinne der Individualpsychologie dahin zu beantworten, daß es sich auch hier um Zusammenhangserscheinungen handelt. Unser ganzes Leben rollt unter der Voraussetzung ab, daß gegenseitige Einwirkung möglich ist. Dieselbe ist in gewissen Fällen ganz besonders akzentuiert, wie im Verhältnis von Lehrer und Schüler, Eltern und Kindern, Mann und Frau. Unter dem Einfluß des Gemeinschaftsgefühls besteht bis zu einem bestimmten Grade ein Entgegenkommen gegenüber Einwirkungen eines andern. Der Grad dieser Beeinflußbarkeit ist aber auch davon abhängig, inwiefern die Rechte des zu Beeinflussenden durch den Beeinflusser sichergestellt erscheinen. Eine dauernde Einwirkung auf einen Menschen, dem man Unrecht tut, ist ausgeschlossen. Man wird auf ihn dann am besten einwirken können, wenn der andere in eine Stimmung versetzt ist, in der er sein eigenes Recht als gewährleistet empfindet. Das ist besonders für die Erziehung ein wichtiger Gesichtspunkt. Es ist möglich, eine andere Form von Erziehung vorzuschlagen oder gar durchzuführen. Eine Erziehung, die diesen Gesichtspunkt berücksichtigt, wird deshalb wirksam sein, weil sie an das Ursprünglichste anknüpft, an das Gefühl der Zusammengehörigkeit. Sie wird nur dann versagen, wenn es sich um einen Menschen handelt, der sich absichtlich dem Einfluß der Gesellschaft zu entziehen sucht. Auch dies tut er nicht ohne weiteres; es muß ein längerer Kampf vorausgegangen sein, in dessen Verlauf sich allmählich seine Zusammenhänge mit der Umwelt gelöst haben, so daß er also in voller Opposition gegen das Gemeinschaftsgefühl dasteht. Dann ist jede Art von Einwirkung erschwert oder unmöglich und man erlebt das Schauspiel, daß ein Mensch jeden Versuch einer Einwirkung mit einer Gegenaktion beantwortet (Oppositionsgeist).

      Wir dürfen daher bei Kindern, die sich durch ihre Umgebung irgendwie bedrückt fühlen, erwarten, daß sie eine geringere Fähigkeit und Neigung haben werden, Einwirkungen ihrer Erzieher Folge zu leisten. Wohl gibt es zahlreiche Fälle, wo der Druck von außen so stark ist, daß er alle Widerstände hinwegfegt, wo scheinbar jede Einwirkung aufgenommen und befolgt wird. Man kann sich aber bald überzeugen, daß diesem Gehorsam keinerlei Wert zuerkannt werden darf, der fruchtbar wird. Manchmal tritt er in einer derartig grotesken Weise auf, daß er für das Leben unfähig macht (blinder Gehorsam), so daß man einen Menschen vor sich hat, der immer darauf wartet, daß man ihm die notwendigen Handlungen und Schritte befiehlt. Die große Gefahr, die diese weitgehende Unterwerfung in sich birgt, kann man an dem Umstand ermessen, daß aus diesen Kindern oft jene Menschen hervorgehen, die jedem gehorchen, der sie einmal in die Gewalt bekommt und auf Befehl sogar Verbrechen begehen. Sie spielen besonders in den Banden eine unheimliche Rolle, weil sie immer die ausführende Rolle spielen, während sich der Kopf der Bande meist abseits hält. Fast bei jeder auffälligen Strafhandlung, die von einer Bande begangen wurde, war ein derartiger Mensch das ausführende Organ. Solche Menschen legen einen unglaublich weitgehenden Gehorsam an den Tag und können darin sogar eine Befriedigung ihres Ehrgeizes empfinden.

      Wenn wir uns aber bloß an die normalen Fälle der Einwirkung halten, so können wir feststellen, daß am geneigtesten, auf sich einwirken zu lassen, sich zu verständigen und mit sich rechnen zu lassen jene sein werden, deren Gemeinschaftsgefühl am wenigsten gedrosselt ist, während es am schlechtesten mit jenen bestellt sein wird, bei denen der Hang nach oben, die Sehnsucht nach Überlegenheit einen besonders hohen Grad erreicht hat. Die Beobachtung lehrt das alle Tage. Wenn Eltern über ein Kind klagen, dann geschieht dies äußerst selten wegen blinden Gehorsams, sondern wegen Ungehorsams, und die Untersuchung solcher Kinder zeigt, daß sie in dem Streben begriffen sind, über ihre Umgebung hinauszuwachsen, daß sie bei dieser Gelegenheit die Normen ihres kleinen Lebens durchbrechen, weil sie durch eine fehlerhafte Behandlung für erzieherische Eingriffe unzugänglich gemacht worden sind. Das intensive Streben nach Macht steht somit zur Erziehbarkeit im umgekehrten Verhältnis. Trotzdem ist unsere Familien­erziehung meist darauf bedacht, den Ehrgeiz des Kindes besonders aufzustacheln und in ihm Größenideen zu erwecken. Nicht etwa aus Unbesonnenheit, sondern weil unsere ganze Kultur, die selbst von einer solchen zu Größenideen hinneigenden Tendenz durchzogen ist, ihnen solche Impulse gibt, so daß es auch in der Familie, wie in unserer Kultur, in erster Linie darauf ankommt, daß der Einzelne mit besonderem Glanze im Leben dasteht und möglichst alle andern in irgendeiner Weise übertrifft. In dem Kapitel über die Eitelkeit wird weiter ausgeführt werden, wie ungeeignet diese Methode der Erziehung zum Ehrgeiz ist und an welchen Schwierigkeiten in diesem Fall die Entwicklung eines Seelenlebens scheitern kann.

      In einer ähnlichen Lage wie jene, die zufolge ihrer Neigung zum unbedingten Gehorsam in weitgehender Weise auf die Forderungen der Umgebung eingehen, befindet sich auch jedes Medium. Man braucht nur den Vorsatz durchzuführen, einmal eine Zeitlang alles zu tun, was von einem verlangt wird. Ein derartiger Vorgang liegt den Vorbereitungen zur Hypnose zugrunde. Im allgemeinen ist hierzu folgendes zu bemerken: Es kann einer sagen oder glauben, er habe den Willen zur Hypnose. Trotzdem wird ihm die seelische Bereitschaft zur Unterwerfung fehlen. Und es kann einer ganz entschieden Widerspruch leisten und doch innerlich zur Unterwerfung bereit sein. In der Hypnose kommt es eben ausschließlich auf die seelische Haltung des Mediums an, nicht auf dessen Worte oder Glauben. Aus der Verkennung dieser Tatsache ist große Verwirrung entstanden, weil man in der Hypnose meist mit Menschen zu tun hat, die sich zu sträuben scheinen und schließlich doch geneigt sind, den Forderungen des Hypnotiseurs nachzugeben. Diese Bereitwilligkeit kann verschiedene Grenzen haben, so daß die Resultate der Hypnose bei jedem Menschen andere sind. In keinem Fall hängt aber die Grenze der Bereitwilligkeit zur Hypnose vom Willen des Hypnotiseurs ab, sondern von der seelischen Einstellung des Mediums.

      Was das Wesen der Hypnose betrifft, so stellt sie eine Art Schlafzustand vor. Rätselhaft ist sie nur deshalb, weil dieser Schlaf erst erzeugt werden muß, sich erst im Auftrag eines andern einstellt. Der Auftrag ist nur wirksam, wenn er auf jemand trifft, der bereit ist ihn anzunehmen. Entscheidend hierfür sind,

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