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in Bewegung und später immer zur Tätigkeit gedrängt; ihr Sinn ist vorwiegend auf Leistungen gerichtet, zu deren Vollbringung die Muskulatur in Bewegung gesetzt werden muß. Selbst im Schlaf wird dieser Tätigkeitsdrang nicht ruhen und man wird oft beobachten können, wie sie sich unruhig im Bett herumwälzen. Hierher gehören auch die »zappeligen« Kinder, deren Ruhelosigkeit ihnen oft als Fehler angerechnet wird. — Im allgemeinen gibt es fast keine Kinder, die sich nicht sowohl mit Augen und Ohren, wie auch mit ihren Bewegungsorganen dem Leben gegenüberstellen, um aus den Eindrücken und aus den Möglichkeiten, die sich ihnen bieten, ihr Weltbild aufzubauen, und wir können einen Menschen nur verstehen, wenn wir auch wissen, mit welchem Organ er dem Leben am unvermittelsten gegenübersteht. Denn alle Beziehungen gewinnen hier an Bedeutung und gewinnen Einfluß auf die Gestaltung des Weltbildes und damit auf die spätere Entwicklung des Kindes.

      Jene besonderen Fähigkeiten des seelischen Organs, die beim Zustandekommen des Weltbildes in erster Linie mitwirken, haben miteinander gemeinsam, daß ihre Auswahl, Schärfe und Wirkung durch das Ziel bestimmt wird, das einem Menschen vorschwebt. Das erklärt die Tatsache, daß jeder nur einen bestimmten Teil des Lebens, der Umwelt, eines Ereignisses u. dgl. besonders wahrnimmt. Der Mensch verwertet nur, was und wie es von seinem Ziel verlangt wird. Man kann daher auch diese Seite des menschlichen Seelenlebens erst begreifen, wenn man sich von dem geheimen Ziel eines Menschen ein Bild gemacht und alles an ihm als von diesem Ziel beeinflußt verstanden hat.

       a) Wahrnehmungen.

      a) Wahrnehmungen. Die durch die Sinnesorgane von außen her vermittelten Eindrücke und Erregungen geben im Gehirn ein Signal, von dem irgendwelche Spuren aufbewahrt werden können. Aus diesen Spuren baut sich die Vorstellungswelt auf, sowie die Welt der Erinnerung. Nun ist aber die Wahrnehmung nie mit einem photographischen Apparat vergleichbar, sondern sie enthält immer auch etwas von der Eigenart des Menschen. Nicht alles, was man sieht, nimmt man auch wahr und wenn man zwei Menschen, die dasselbe Bild erblickt haben, nach ihrer Wahrnehmung fragt, kann man die verschiedensten Antworten erhalten. Das Kind nimmt also aus seiner Umgebung nur das wahr, was aus irgendeinem Grund zu seiner bisher geformten Eigenart paßt. So sind die Wahrnehmungen von Kindern, deren Sehlust besonders entwickelt ist, vorwiegend visueller Natur, was bei den meisten Menschen der Fall ist. Andere werden wieder mit Gehörswahrnehmungen ihr Weltbild füllen. Wie erwähnt, sind diese Wahrnehmungen mit der Wirklichkeit nicht streng identisch. Der Mensch ist fähig, seine Berührungen mit der Außenwelt so umzugestalten, wie es von seiner Eigenart verlangt wird. Was also ein Mensch wahrnimmt und wie er es tut, darin liegt seine besondere Eigenart. Wahrnehmung ist mehr als ein bloßer physikalischer Vorgang, sie ist eine seelische Funktion, und aus der Art und Weise, aus dem Umstand, wie und was ein Mensch wahrnimmt, kann man tiefe Schlüsse auf sein Inneres ziehen.

       b) Erinnerungen.

      b) Erinnerungen. Wir konnten feststellen, daß das in seinen Grundlagen angeborene seelische Organ hinsichtlich seiner Entwicklungsfähigkeit mit dem Zwang zur Tätigkeit und den Tatsachen der Wahrnehmung zusammenhängt. Getragen von der Tendenz, zweckmäßig auf ein Ziel gerichtet zu sein, ist das seelische Organ innig mit der Bewegungsfähigkeit des menschlichen Organismus verbunden. Der Mensch muß alle seine Beziehungen zur Außenwelt in seinem seelischen Organ zusammenfassen und ordnen, und dieses ist nun als ein Organ der Anpassung genötigt, auch alle jene Fähigkeiten zu entwickeln, die zur Sicherung des Individuums nötig sind, die zu seiner Existenz gehören.

      Nun ist es klar, daß die individuelle Antwort des seelischen Organs auf die Fragen des Lebens in der seelischen Entwicklung Spuren hinterlassen muß, daß somit auch die Funktionen des Gedächtnisses und der Wertung durch die Anpassungstendenz erzwungen sind. Erst der Bestand von Erinnerungen macht es aus, daß der Mensch für seine Zukunft Vorsorge treffen kann. Wir dürfen schließen, daß alle Erinnerungen eine (unbewußte) Endabsicht in sich tragen, daß sie nicht unbefangen in uns leben, daß sie eine warnende oder aneifernde Sprache sprechen. Harmlose Erinnerungen gibt es nicht. Die Bedeutung einer Erinnerung kann man nur beurteilen, wenn man sich über die Endabsicht klar geworden ist, die ihr zugrunde liegt. Es ist wichtig, warum man sich an gewisse Dinge erinnert und an andere nicht. Und wir erinnern uns an jene Begebenheiten, deren Erinnerung für den Fortbestand einer bestimmten seelischen Richtung wichtig und ersprießlich ist, und wir vergessen jene, deren Vergessen ebenfalls hierfür förderlich ist. Damit ist gesagt, daß auch das Gedächtnis ganz dem Dienst der zweckmäßigen Anpassung an ein vorschwebendes Ziel unterworfen ist. Eine bleibende Erinnerung, mag sie auch irrtümlich sein, und, wie meist in der Kindheit, ein einseitiges Urteil enthalten, kann, wenn es für das angestrebte Ziel förderlich ist, auch aus dem Bereich des Bewußtseins verschwinden und ganz in Haltung, Gefühl und Anschauungsform übergehen.

       c) Vorstellungen.

      c) Vorstellungen. Noch deutlicher zeigt sich die Eigenart des Menschen in seinen Vorstellungen. Unter Vorstellung versteht man die Wiederherstellung einer Wahrnehmung, ohne daß das Objekt derselben gegenwärtig ist. Sie ist also eine reproduzierte, bloß in Gedanken wieder hervorgerufene Wahrnehmung, welcher Umstand wieder auf die Tatsache der schöpferischen Fähigkeit des seelischen Organs hinweist. Es ist nicht so, als ob die einmal erfolgte und von der schöpferischen Kraft der Seele schon beeinflußte Wahrnehmung nun wiederholt würde, sondern die Vorstellung, die sich ein Mensch macht, ist wieder ganz von seiner Eigenart geformt und ein neues, ihm eigenartiges Kunstwerk. Es gibt nun Vorstellungen, die den gewöhnlichen Grad ihrer Schärfe weit überschreiten und wie Wahrnehmungen wirken, die so scharf hervortreten, als ob sie gar nicht Vorstellungen wären, sondern als ob der abwesende, anregende Gegenstand wirklich vorhanden wäre. Man spricht dann von Halluzinationen, von Vorstellungen, die so auftauchen, als ob sie von einem anwesenden Objekt ausgingen. Die Bedingungen hierfür sind dieselben wie die oben geschilderten. Auch die Halluzinationen sind schöpferische Leistungen des seelischen Organs, geformt nach den Zielen und Zwecken des betreffenden Menschen. Ein Beispiel soll dies besser beleuchten:

      Eine junge, intelligente Frau hatte gegen den Willen ihre Eltern geheiratet. Die Abneigung der Eltern gegen die Ehe Schließung war so groß, daß alle Beziehungen zwischen Eltern und Kind abgebrochen worden waren. Im Laufe der Zei war die Frau zur Überzeugung gelangt, daß ihre Eltern an ihr nicht richtig gehandelt hatten, doch scheiterten mehrfache Versöhnungsversuche an dem Stolz und Trotz beider Teile. Durch die Eheschließung war die Frau, die aus hochangesehener Familie stammt, in ganz ärmliche Verhältnisse gekommen. Man könnte aber bei oberflächlicher Beobachtung von einer Mißheirat nichts merken und über das Schicksal der Frau beruhigt sein, wenn sich nicht seit einiger Zeit ganz eigentümliche Erscheinungen eingestellt hätten.

      Sie war als Lieblingskind des Vaters aufgewachsen. Die Beziehungen der beiden waren so innig, daß es auffallen mußte, wieso es zu einem derartigen Bruch kommen konnte. In Angelegenheit ihrer Ehe nun behandelte der Vater das Mädchen außerordentlich schlecht und der Zerfall der beiden war gründlich. Selbst als ein Kind kam, waren die Eltern nicht zu bewegen, sich dasselbe zu besehen oder sich der Tochter wieder zu nähern, und die Frau, von großem Ehrgeiz beseelt, vertrug die Haltung ihrer Eltern deshalb so schlecht, weil es sie schmerzlich berührte, in einer Frage, in der sie sichtlich recht hatte, Unrecht bekommen zu haben.

      Man muß sich vor Augen halten, daß die Stimmung der Frau völlig unter dem Einfluß ihres Ehrgeizes stand. Erst dieser Charakterzug erklärt, warum sie das Zerwürfnis mit den Eltern so schlecht vertrug. Ihre Mutter war eine strenge, rechtliche Frau, die sicher wertvolle Qualitäten hatte, aber dem Mädchen gegenüber eine strenge Hand bekundete. Sie verstand es auch, äußerlich wenigstens, sich dem Manne unterzuordnen, ohne dabei ihren Rang einzubüßen. Selbst diese Unterwerfung betonte sie mit einem gewissen Stolz und rühmte sich ihrer. Der Umstand, daß in der Familie auch noch ein Sohn auftauchte, der als männlicher Sproß und künftiger Erbe des angesehenen Namens eine gewisse höhere Wertung gegenüber dem Mädchen erlangte,

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