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Morde am Fließband: Kriminalgeschichten. Alexis Willibald
Читать онлайн.Название Morde am Fließband: Kriminalgeschichten
Год выпуска 0
isbn 9788027204472
Автор произведения Alexis Willibald
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
An der von der verwundeten Schwester Ottavia bezeichneten Stelle wurde tatsächlich der blutige Schaft eines Feuerrohrs gefunden und dadurch die Erzählung der Nonne bestätigt. Sie wurde am 17. Dezember 1607 gefragt, ob sie bereit sei, ihre Angaben unter der Folter zu wiederholen. Sie bejahte es, setzte aber hinzu, unrichtig sei das eine, daß sie gesagt habe, sie sei in den Fluß Lambro gefallen. Sie sei nicht hineingefallen, sondern Osio habe sie hineingeworfen. Am 26. Dezember 1607 starb sie an ihren Wunden.
Schon vorher, am 2. Dezember, hatte der Erzpriester Settala dem Kriminalvikar durch einen Eilboten anzeigen lassen, Schwester Benedetta sei in einem Brunnen bei Velate aufgefunden worden, ob tot oder lebendig, habe er nicht in Erfahrung bringen können. Augenblicklich eilten der Kriminalvikar und sein Notar in einer Karosse, begleitet von mehreren berittenen Dienern, an Ort und Stelle. Im Hause des Alberico de Albericis fanden sie eine Frauensperson in einem Bett liegend, deren Haupt mit Tüchern, wie sie Nonnen zu tragen pflegen, umhüllt war. Sie litt offenbar große Schmerzen und brach oft in laute Klagen aus. Auf Befragen sagte sie, daß sie Schwester Benedetta Homati aus dem Kloster Santa Margherita sei. Alberico sagte darüber, wie die Schwester in sein Haus gekommen sei, aus: »Als wir alle in der Kirche versammelt waren, hörten wir eine Stimme rufen: ›Helft mir, ich bin in diesem Brunnen!‹ Wir liefen nun an den einige Dutzend Schritte von der Kirche entfernten Brunnen und sahen, daß unten in der Tiefe ein Weib lag. Es stieg einer hinein und nahm ein Seil mit, mit dem sie herausgebracht wurde. Sie sagte, daß sie schon den vorigen Tag und die ganze Nacht im Brunnen gesteckt habe.« Der Vikar befahl ihr alsbald, aufzustehen und sich anzukleiden, damit sie nach Monza geschafft werden könne. Das geschah; sie wurde in das Kloster di Santa Orsola übergeführt, in dem, wie wir wissen, auch Schwester Ottavia ein Unterkommen erhalten hatte. Am 3. Dezember 1607 konnte Benedetta selbst im Kloster di Santa Arsola verhört werden, und zwar wurde sie als Hauptperson und als Zeugin eidlich abgehört. Ihre Aussage lautete: »Ich habe gewußt, daß Osio vertrauten Umgang mit Schwester Virginia unterhielt, und bin ihnen bei ihren Zusammenkünften behilflich gewesen. Am 29. November fragte Osio brieflich bei mir an, ob es wahr sei, daß Virginia infolge der Krimmaluntersuchung, die über das Kloster verhängt worden, bereits in ein anderes Kloster übergeführt sei. Ich antwortete ihm, das sei richtig, Virginia sei nach Milano gebracht worden, und ich müßte befürchten, ebenfalls in die Untersuchung verwickelt zu werden. Ich wollte deshalb lieber das Kloster heimlich verlassen und mich in ein anderes Kloster begeben, er solle mir dazu Beistand leisten und zu einer Stunde, die ich ihm bestimmte, an der Gartenmauer sein. Osio kam. Ottavia und ich flüchteten uns durch eine Öffnung, die Osio in die Mauer brach; wir verließen alle drei die Stadt Monza und schlugen den Weg nach Bergamo ein. Bald darauf warf Osio die Schwester Ottavia – vermutlich weil er sich einer Mitwisserin seines strafbaren Verhältnisses mit Virginia entledigen wollte – in den Lambro. Ich wollte ihr die Hand reichen und ihr heraushelfen, aber Osio versetzte ihr mit einem Feuerrohr mehrere Schläge auf den Kopf, und wir glaubten beide, daß sie tot sei. Mich zwang er, mit ihm weiterzuwandern. Etwa fünf bis sechs Miglien von Monza entfernt brachte er mich in ein verlassenes einsames Haus und ließ mich dort den Rest der Nacht und am folgenden Tage allein. Er setzte mir Käse und Wein vor, ich traute mich aber nicht, etwas zu genießen, weil ich mich fürchtete und dachte, er würde mich vergiften. In der nächstfolgenden Nacht kehrte Osio zurück und eröffnete mir, wir müßten weitermarschieren. Als wir etwa drei Miglien zurückgelegt hatten, kamen wir in ein Gebüsch, in dem sich ein Brunnen befand. Osio gab mir einen Stoß, daß ich hineinstürzen sollte. Ich fiel jedoch nur auf die Erde, nahm alle meine Kraft zusammen, stand gleich wieder auf und entfloh. Osio folgte mir auf dem Fuße, holte mich ein, schleppte mich mit Gewalt zurück und warf mich kopfüber in den Brunnen. Ich schlug im Fallen gegen mehrere hervorragende Steine und verletzte mich an der linken Seite. Als ich unten lag, warf Osio große Steine hinunter, die mir das rechte Schienbein zerschmetterten, mich aber nicht töteten, weil ich den Kopf dadurch deckte, daß ich mich unter einige Steine duckte, die eine Art von Dach bildeten. Der Brunnen war sehr tief, hatte aber kein Wasser. Es waren Steine drin und Knochen, ein schwarzer Klumpen, der darin lag, hatte das Ansehen eines menschlichen Kopfes. Ich habe eine entsetzliche Nacht und einen ganzen langen Tag in dem Brunnen zugebracht, bis endlich gestern früh mein Hilferuf gehört und ich erlöst wurde. Als ich in das Haus des Alberico getragen wurde, redete mir eine ältere Donna, die mir nach ihrer schwarzen Kleidung eine Witwe zu sein schien, zu, ich sollte doch angeben, daß ich mich selbst in den Brunnen gestürzt hätte. Ich entgegnete ihr aber, ich würde die Wahrheit sagen. Ich habe übrigens nur am Tage um Hilfe gerufen, nicht in der Nacht, weil ich fürchtete, Osio möchte in der Nähe sein, mich hören und mich vollends durch Steinwürfe töten.«
Als man sie fragte, seit wie langer Zeit und auf welche Weise Osio in das Kloster Santa Margherita gekommen sei, antwortete sie: »Soviel ich weiß, ist Osio seit etwa vier bis fünf Jahren öfters, und zwar immer des Nachts, in das Kloster gekommen. Anfänglich kam er durch die Kirche, deren Tür ihm bald von mir, bald von Schwester Ottavia, bald von Schwester Virginia selbst geöffnet wurde. Später, als der Schlüssel von der Kirchtür abgezogen worden war, führten wir ihn mit Hilfe von Nachschlüsseln in das Kloster, und zwar in die Zelle der Virginia, aus der er sich regelmäßig, ehe der Tag anbrach, wieder entfernte. Aus dem Garten des Osio führte ein unterirdischer Gang in die Zelle der Schwester Ottavia. Diesen benutzte Osio verschiedene Male, um seine Geliebte, die dann in der Zelle der Schwester Ottavia schlief, zu besuchen. Am letzten Allerheiligenfeste gelangte Osio in das Kloster, indem er über die Mauer stieg. Er blieb damals vierzehn Tage im Kloster, teils in der Kammer der Ottavia, teils in der meinigen, die an die der Schwester Virginia stieß. Sogar an dem Abend des Tages, an dem Virginia das Kloster verließ, befand sich Osio in meiner Zelle und verbarg sich hinter den Bettvorhängen.«
Schwester Benedetta war die erste, die erwähnte, daß auch ein Priester Paolo Arrigone eine Rolle in dem Verkehr zwischen Osio und Virginia gespielt hatte. Anfangs habe, so erzählte sie, Paolo Arrigone für Osio die