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nächtliche Grauen, das die See nicht hat, sondern nur das Land, und das den Seefischer darum einigermaßen bedrückte, als er sich nun aufmachte, seinen Jungen zu suchen. Er dachte aber nicht nach Weiberart an das Wasser und daß er hineingefallen sein könnte; übrigens wußte er ja auch, daß Störtebeker schwimmen konnte und nicht in einen Graben fiel, ohne wieder herauszuklettern. Aber er wollte wissen, wo er abgeblieben war.

      So ging er über die Wurt nach dem Deich zurück und guckte mit seinen scharfen Augen über das Eis, er lief über die Blöschen nach dem Ewer, die Waken und Löcher umgehend; nichts war zu sehen als im Fahrwasser die Lichter, die gelben, grünen und roten, nichts zu hören als das raschelnde, alte Reet auf den Kneienblicken und das Krachen der zusammenbrechenden Sickberge in der Weite.

      Sollte der Junge wieder in der Kambüse sitzen, wie er es schon mehrmals gemacht hatte, um sich an die Ewerluft zu gewöhnen? Klaus Mewes turnte auf das Deck und stieg in die stille, dunkle Kajüte hinab, die ihm nun beinahe fremd vorkommen wollte, so tot erschien sie ihm ohne das sonst ständig brennende Licht.

      Wo mochte der Junge sein?

      Wieder an Deck, horchte er von neuem, aber er vernahm nur das Tuten eines Dampfers, der dwars von der Nienstedter Kirche fuhr. Seine Flagge auf der Besan regte sich leicht im Abendwind, als er hinaufsah. Da schoß ihm jäh der Gedanke durch den Kopf: wenn ik di bloß ne halfstock holen mütt! — aber er jagte ihn von dannen, kletterte über das Schwert und schritt über das Eis nach dem Bollwerk zurück. Im Osten glomm der Lichtschein von Hamburg auf, der dem Landfremden eine weit entfernte, ungeheure Feuersbrunst vortäuschte. Da dachte Klaus Mewes an die alte Fischfrau Beeken Focken, die 1842 schon verheiratet gewesen war: so alt war sie. Die hatte einmal bei ihm auf dem Deich gestanden und mit ihren braunen, knochigen Fingern nach dem östlichen Abendrot gewiesen und gesagt: viel anders hätte sich das 1842 vom Deich aus auch nicht angesehen: nun wäre Hamburg schon so groß, daß es jede Nacht einen so großen Brand hätte.

      „Jä, Beeken, dat magst du woll seggen: bi de veelen Wirtschaften,“ hatte er lachend geantwortet.

      Mit einem Mal drehte er sich um und sah Seemann auf dem Bollwerk stehen. „Neem is Störtebeker, Seemann? Such! Such!“ rief er hastig.

      Seemann wedelte mit dem Schwanz zum Zeichen, daß er verstanden hatte, und setzte sich gemächlich in Bewegung. Er schwankte von dem langen Leben an Bord wie ein wirklicher Seemann von einer Seite nach der andern, wenn er lief.

      Klaus wußte schon Bescheid, es ging nach der Neßkule, in der der Kahn lag: der Junge schipperte gewiß oder goß das Wasser aus seinem Fahrzeug, das etwas ziepte. Da lag aber der Kahn unter den krummen Wicheln und war nicht abgeleint wie sonst, der Riemen lag dwars und kein Junge war dabei: jach befiel ein ungeheurer Schreck den Fahrensmann, der auf der Doggerbank den bösesten Stürmen furchtlos in die Augen blicken konnte, und er lief in Sprüngen den Deich hinab.

      „Klaus!“

      Der Störtebeker blieb ihm dies eine Mal doch in der Kehle stecken.

      „Hier bün ik, Vadder, wat schall ik?“ rief Störtebeker, und eine dunkle Gestalt löste sich aus dem Schatten der Baumstämme, die den Schleusengraben wie Gespenster umstanden. Taumelnd kam sie näher und wäre umgeschossen, wenn der Seefischer sie nicht aufgefangen hätte.

      „Wat is dor los, Störtebeker? Wat fehlt di? Büst du krank?“

      Der Junge sah blaß aus, aber er lächelte doch schon wieder verloren. „Jo, Vadder, ik bün seekrank un mütt mi jümmer speen.“

      „Wat kummt dat denn?“

      Der Junge wies nach seinem grünen Kahn: „Ik will mi seefast moken, Vadder, wat ik mi noher up See ne mihr to speen bruk. Un Jakob Husteen hett to mi seggt, denn müß ik jümmer mitten Kohn dümpeln. Örk, örk — wat bün ik nu slecht toweg, Vadder, wat hebb ik förn bittern Gesmack innen Mund!“

      Klaus wollte lachen, lachen, lachen — er konnte es aber nicht, weil ihn die Tapferkeit des kleinen Kerls tief rührte, der so lange mit dem Kahn dümpelte, bis ihm schwindelig wurde, nur, um sich seefest zu machen.

      „Jä, Störtebeker, so geiht dat buten den ganzen Dag! Nu wullt doch gewiß ne mihr mit no See, wat?“

      Aber der Junge nickte herzhaft und sagte: „Doch, Vadder! Morgen dümpel ik wedder un offermorgen un den Dag, de den kummt, ok, bit ik ne mihr düsig warr un mi ne mihr breken mütt! Ik will mi doch to Sommer van Kap Horn un Hein Mück nix utlachen loten!“

      Klaus Mewes vertaute den Kahn in schiffergerechter Art, nahm seinen Jungen bei der Hand und ging mit ihm nach dem Neß zurück.

      In der Dönß brannte schon die Lampe.

      Als sie sich vor der Tür die Füße abschrapten, sagte Klaus halblaut: „Brukst Mudder dor ober nix van to seggen, hürst?“ „Segg du man nix, Vadder: ik will woll swiegen,“ flüsterte Störtebeker kameradschaftlich und setzte sich in der Dönß gleich neben den Ofen, möglichst weit von der Lampe, bückte sich tief und zog umständlich die Stiefel aus, um sein Gesicht vor der Mutter zu verbergen, die gleich in richterlichem Ton fragte:

      „Non, neem kommt ji denn her?“

      „Wi sünd mol no de Neßkul wesen,“ berichtete Klaus Mewes der Wahrheit gemäß.

      „Hest du ok natte Strümp, Klaus?“

      „Ne, Mudder, knokendreuch!“

      „Lot mol feuhlen! De un dreuch? De leckt jo vör Nattigkeit. Gliek treckst jüm ut!“

      Störtebeker machte ein saures Gesicht, aber er freute sich doch, daß sie weiter nichts merkte, und wischte heimlich die letzten Spuren des Seefestigkeitskursus ab.

      Nach dem Abendbrot wurde das Knütten noch eine Weile wieder aufgenommen, dann aber packten sie das Kurrengut zusammen und machten Feierabend.

      Kap Horn suchte sich die alten Zeitungen aus der Bank hervor und las den Roman: „Zehn Jahre unter der Erde oder Schuld und Sühne“ mit aufgestützten Ellbogen. Wenn er dabei an Stellen kam, die ihm behagten, so nickte er anhaltend mit dem Kopfe, wogegen er bei Kapiteln, die nicht nach seiner Klitsch waren, ebenso ausdauernd den Kopf schüttelte. Ja, man konnte noch mehr aus seinem Gesicht erkennen, denn wenn er von Wind oder Sturm las (und in einem echten Roman weht und stürmt es ja alle drei Seiten!), so pustete er leise vor sich hin, las er von Liebe, so strich er sich über die Backen, gab es eine Mordgeschichte zu kauen, so las er mit geballten Fäusten und so weiter. Wenn sie sturmeshalber achter Norderney oder Wangeroog lagen, beobachtete Klaus, in der Koje liegend, seinen lesenden Knecht mitunter stundenlang und sagte dann zuletzt: „Nu will ik di mol vertillen, Kap Horn, wat du lest hest.“ Und meistens stimmte es, was er dann erzählte, daß der Knecht zuletzt jedesmal erstaunt sagte: „Klaus Mees, ik gläuf, du kannst hexen.“

      Diesen Abend aber kam der Schiffer nicht dazu, denn sein Junge ritt auf seinen Knien und treunte um eine Geschichte.

      „Ik weet uppen Stutz keen.“

      „Och Vadder, vertill doch een! Du weest so veel.“

      „Ne, ik kann nu keen tohopgrabbeln.“

      „Och, man to, Vadder!“

      „Non jo, denn ober ganz still wesen un eulich tohürn un noher ne wedder seggen, dat wür jo gorkeen Geschichte.“

      „Ne, Vadder, dat segg ik ok ne,“ versicherte Störtebeker, und sein Vater legte los.

      „Non, denn hür to: dor wür mol en Mann, de harr keen Kamm, to köfft he sik een, to harr he een ...“ Da hielt der Junge seinem Vater aber schon den Mund zu und paukste: „Dat is keen Geschichte, dat is Narrenkrom! Du schallst en euliche Geschichte vertillen!“

      „Non, denn hür to: dor wür mol en Mann, de wür in de Heid verbiestert, nu hür man god to! Dor wür mol en Mann, de wür in de Heid verbiestert ...“ Da hielt Störtebeker ihm wieder den Mund zu und sagte, das wäre auch Tüdelei un he kunn en euliche Geschichte verlangt wesen.

      „Non,

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