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einen billigen Knecht.“

      „Billig? Dann wird er wahrscheinlich nicht viel wert sein.“

      „Der gute Wille ist gewiß vorhanden, dafür kann ich bürgen. Gesund und stark ist der Kerl auch. Ein bißchen Nachsicht anfangs, die dürfte er nötig haben.“

      „Da könnte ich gleich einen Platz nennen,“ sagte der Lehrer. „Aber ganz oben bei der Alm. Die letzten Häuser. Im Adamshaus heißt’s bei dem einen. Weitläufige Grundstücke und keine Leute dazu. Der Bauer ist kränklich, der älteste Sohn ist bei den Soldaten. Der jüngere ist von einem Jäger zum Krüppel geschossen worden. Der allerjüngste geht noch in die Schule. Ferner —“, er steckte klirrend die Kaffeemaschine zusammen — „ist noch eine Tochter da. — Alles soweit brave Leute. Es ist traurig jetzt.“

      Am nächsten Morgen waren trotz des Schneegestöbers mehrere Kinder gekommen. Alle in dicke Lappen eingemummt, so daß nur die roten Nasenzipfchen hervorlugten, und die zumeist ganz frischen Gucker. Ein schlanker, etwa dreizehnjähriger Knabe hatte sogleich, als er ins Schulhaus trat, alle überflüssigen Hüllen von sich geworfen, daß der Schnee aus denselben stäubte. Dann gab er ein paar Bücher ab. Im runden Gesicht glühte er und voller Leben war er.

      „Franzel, komm her!“ rief ihn der Lehrer vor. Und zu mir: „Das ist einer von der Adamshauser Familie. — Sag’ es, Junge, ist der Weg zu euch hinauf leidlich?“

      „Ich bin auf dem Brett herabgerutscht,“ war der kurze Bescheid.

      „Wenn du nach Hause gehst, will ich dich begleiten,“ hat darauf dein Hans zum Schulknaben gesagt.

      Da blickte der Lehrer mich forschend an. Und jetzt mußte das Geständnis gemacht werden, daß ich selbst der Mann bin, der eine Dienststelle als Knecht sucht.

      Nun war aber zu merken, daß der Lehrer bestürzt wurde. Dann begann er zu warnen, er hätte gemeint, ein anderer. Wenn das wirklich mein Ernst wäre — für einen Menschen wie ich, sei der Platz im Adamshause durchaus nicht geeignet. Armut und Niedergeschlagenheit, um nicht zu sagen, ein wahres Elend. Wer dort oben den rauhen Wind, die ungute Kost, das schlechte Lager und die schwere Arbeit aushalte, den stelle er sich doch anders vor. Nun, es wäre lächerlich, es wäre wahrscheinlich auch nur gefoppt. Übrigens gehe der Knabe an diesem Tage gar nicht nach Hause, der bleibe bei solchem Wetter über Nacht in Hoisendorf und ich würde dazuschauen müssen, thalwärts zu kommen, ehe der Schnee alle Wege vermauere.

      Das hat mich nicht mehr irre gemacht. Habe mein Handbündel geschnürt, meine Wirtshausrechnung beglichen (für zwei Tage und zwei Nächte mitsamt Zehrung einen Gulden vierzig Kreuzer, wozu der Wirt noch bemerkte, daß es Einheimische billiger bekämen), und bin fortgegangen. Aber nicht thalab, wie der wetterwendische Wegweiser riet, sondern thalan, wie er es zuerst gemeint hatte, entlang dem Bach, der unter der Schneedecke murmelte. Das Gestöber war so dicht, daß kein Haus und kein Berg und kein Weg zu sehen war — eine weiße Nacht um mich; wo der scharfe Wind nicht kratzte, prickelten die Flocken an den heißen Wangen. Immer dem Wasser entlang, hatte mir der Wirt gesagt, bis zu einer Mühle und dann noch zu einer Mühle und bei der dritten Mühle links den Berg hinan.

      Die Mühlen kamen ganz vorschriftsmäßig, aber bei der dritten war zuerst einmal kein Berg da, an den man hätte hinan können. Ich ging über den Steg, auf welchem menschliche Tritte eingedrückt waren. Diesem Pfade folgte ich bis zum Bergabhang, und quer die Lehne hinan zwischen Buschwerk und schütteren Baumbeständen, die alle ihre spitzen Schneehauben aufhatten und bisweilen eine ganze Wucht auf den Wanderer niederstäubten.

      Und bei diesem mühsamen Ansteigen in der Stille des lautlos schneienden Nebels, da ist’s mir in den Sinn gekommen! Wie einsam! Wie einsam doch mancher Mensch sein muß auf dieser Welt! —

      Und sehe ich auf einmal durch den Schneestaub vor mir einen Menschen. Unter einem Lärchbaum auf dem Schnee ist er gesessen. Ein Mann war’s, tief in sich zusammengeknickt, auf der Achsel hatte er ein Doppelbündel, eins hinten und eins vorn. Ein vollgepfropfter Mehlsack, allem Anschein nach wesentlich schwerer, als mein Handbündel. Der Mann schnaufte, wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn und schnaufte und schnaufte. Jung war er nicht mehr.

      Ich trat ganz zu ihm hin: „Was meint der Vater, wenn wir Bündel tauschen thäten?“

      Er atmete.

      „Darf ich euch nicht helfen tragen?“

      „Vergelt’s Gott. Wer was hat, der — der soll’s auch selber tragen.“

      „Der Vater kann ja kaum schnaufen!“

      „Ist wahr, ist wahr. Der Lungendampf.“

      Da habe ich ihm den Mehlsack abgenommen. Vor mir ist das Männlein mit dem Stock und den unsicheren Beinen im flaumigen Schnee aufwärts gestiegen. Immer stehen bleiben hat er müssen, und atmen, immer atmen. — Und zu dieser Stunde, mein Alfred, hat’s in mir einen Schnapper gemacht.

      Wie der arme, mühselige Mensch so vor mir ansteigt, entlastet, erleichtert, weil ich der Mühlesel bin, da trifft’s mich urplötzlich: Das ist’s! — Alles, was du bisher erlebt, erstrebt, geleistet hast, Hans, es ist nichts. Spät bist du dran, aber du bist dran. Was du jetzt thust, das ist das erste Tagewerk deines Lebens. — Und ist mir so warm geworden hinter der mageren Geldkatz’, und ist mir so helle geworden, als hätte jemand Freudenfeuer angezündet im Hirnkasten und in allen vier Kammern des bekannten Pumpwerkes zugleich. Hans! hat’s gerufen, wie die Stimme meiner seligen Mutter, wenn sie uns Kindern aus der Postille las: Hans! den Mühseligen und Beladenen hilf tragen! —

      O mein Freund! Was ist in diesem Augenblick nicht alles zusammengebrochen von dem Trödel! Die „Kontinental-Post“ hat unser Doktor Stein von Stein letzthin auf anderthalb Millionen Gulden gewertet, dabei nicht einmal den „unermeßbaren moralischen Wert“ mit einbeziehend. Aber ich sage dir, es giebt Augenblicke im Leben, wo ein Mühlesel...

      Doch es müßte einer sein, der auf seine Mühleselei nicht sofort hoffärtig wird.

      Der Reihe nach kann ich jetzt gar nicht erzählen, so stürmisch ist’s noch in mir. Kann’s immer noch nicht begreifen, wie es möglich ist, hier in einer vom anstoßenden Ochsenstall erwärmten Kammer auf einem dreifüßigen Rundstuhl zu sitzen und auf der wurmstichigen Gewandtruhe meinem Freunde in die ferne Stadt zu schreiben, in die ferne Stadt, die wie ein Traum ist. Mit diesem selben Stifte habe ich vor wenigen Wochen doch noch so vorwitzig und aufgeblasen von Volkswirtschaft geschwatzt? Nicht? Du glaubst es nicht, Alfred, wie dumm der Stadtmensch ist, wenn er klug über ländliche Verhältnisse reden will!

      Ich sage dir nur, das Herz möchte einem ausbluten. Es ist ein heiliges Elend. — Mit Frevelhaftigkeit, däucht mich jetzt, bin ich in einen Lebenskreis gesprungen, in dem vor der Größe der Sorgen und des Leidens jedes frivole Wort auf den Lippen erstarrt. Heute finde ich nimmer den Ton, den Herren der „Kontinentalen“ zu schreiben. Seit ich über die Schwelle dieses alten Patriarchenhauses getreten bin, muß ein Schlagbaum niedergefallen sein zwischen mir und jenen losen Vögeln. Weiß nicht, bin ich krank oder gesund worden. Sie würden witzeln: Er hat sein Herz entdeckt. — Ich weiß nicht, was werden soll, ob es nur eine windige Stimmung ist oder ein mannbares Aufrichten. Alfred, bleibe du jetzt neben mir stehen. Erlaub’, daß ich dir alles mitteile, was an mich prallen wird, was in mir wach wird, hilf mir über dieses Jahr hinweg. Es ist ein abenteuerliches, ein dunkles Jahr. Wache du, daß ich den Faden nicht verliere, der mich leiten und wieder hinausführen soll zum richtigen Thor. Wenn du meine Hand jetzt fassen könntest, noch hat sie nicht die lederfesten Schwielen! sie hat an der Innenseite Stellen, die sich häuten, die noch schmerzen, an meinen Schultern und Hüftknochen blaue Flecken. Und sie sagen, das, was in diesen wenigen Tagen war, sei noch gar keine eigentliche Arbeit.

      Mein Vorsatz, auszuhalten, steht leidlich fest — zeitweise. Nur gestern abends, liegend im Holztrog auf dem Strohkissen, mit übelriechenden Schafhaarkotzen zugedeckt, von der Wand, von der Decke Wasser auf mich tropfend, in meinen Eingeweiden die Roggenklöße und die mit Speck geschmälzten Bohnen wühlend — da hub es an, in mir zu zagen. Wie jedoch am heutigen Frühmorgen die Sonnenscheibe heraufkam über den kahlen flachen Almrücken und wie das winterliche

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