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auch dem Publikum im allgemeinen zu gute kommen. Deshalb ersuche ich das geehrte Mitglied angelegentlich –«

      »Ich erhebe Einspruch!«

      »Hol' Sie der Henker!« Der Ausdruck war im ganzen Hause vernehmbar; nur der Sprecher hatte wohlweislich taube Ohren. »Ruhe, Ruhe!« rief er, um dem schallenden Gelächter Einhalt zu tun. »Das Gesetz über freiwillige Zuwendungen.«

      Der Kronanwalt Ridley lüftete seinen Hut. »Die Frage ist, ob die zweite Lesung dieses Gesetzes erfolgen soll. Ich bitte die Herren, mit Ja oder mit Nein zu stimmen.«

      »Also Ja hat die Mehrheit,« verkündete der Sprecher, als alles still blieb.

      Nun wurde die zweite Lesung der einzelnen Paragraphen vorgenommen und ohne Anstand beendet. Warmington, der seinen Platz unter der Zuschauergalerie hatte, strahlte vor Entzücken. Während sich der Sprecher abermals erhob, um die dritte Lesung zu beantragen, kam der Kronanwalt Hardy mit einem offenen Brief in der Hand eilig den Gang herunter und nahm nicht weit von Ridley seinen Platz ein.

      »Die Frage ist, ob die dritte Lesung des Gesetzes erfolgen soll,« rief der Sprecher.

      »Ich erhebe Einspruch!« tönte es kurz und scharf wie ein Pistolenschuß aus Hardys Munde.

      »Vielleicht würde mein ehrenwerter und gelehrter Freund erwägen –« begann Ridley.

      »Ich erhebe Einspruch!« rief der andre noch lauter als zuvor.

      »Aber ich möchte das geehrte Mitglied doch bitten –«

      »Ruhe! Ruhe!« unterbrach ihn der Sprecher. »Das Gesetz über den Fahrradverkehr,«

      Von dem Gesetze über »Freiwillige Zuwendungen« durfte an jenem Abend nicht mehr die Rede sein.

      »Warum in aller Welt haben Sie das getan?« fragte Ridley seinen Freund Hardy, als sie kurz darauf zusammen das Haus verließen.

      »Sharkey hat mich darum gebeten. Ich konnte es ihm nicht gut abschlagen; bekomme immer einen Haufen Arbeit von ihm. Sein Brief wäre um ein Haar zu spät gekommen. In der nächsten Minute hätten Sie das Gesetz glatt durchgebracht.«

      »Es ist jammerschade. Wissen Sie denn überhaupt, um was es sich dabei handelt?«

      »Ich? Bewahre.«

      »Hier ist die Abschrift des Gesetzes. Werfen Sie nur einen Blick darauf.«

      »Kurz und bündig. Es scheint alles in Ordnung. Die Bestimmung über ›Freiwillige Zuwendungen‹ hätte schon längst geregelt werden sollen. Was hat den alten Sharkey nur geplagt, daß er mich angestiftet hat, Einspruch zu erheben?«

      »Das kann ich Ihnen sagen.« Und er erzählte ihm die ganze Geschichte mit wenigen Worten.

      Hardy pfiff ärgerlich vor sich hin. »Es tut mir herzlich leid, lieber Kollege,« sagte er: »Sharkey sollte sich schämen, daß er mir zumutet, sein schmutziges Zeug zu waschen. Dergleichen soll nicht wieder vorkommen, das verspreche ich Ihnen,«

      »Besten Dank. Aber ich fürchte, Ihre Reue kommt zu spät. Der alte Sharkey wird uns schwerlich Zeit und Gelegenheit geben, einen zweiten Versuch anzustellen.« –

      Um nächsten Morgen war Fräulein Trixie Mordant im fernen Mount Eagle schon frühzeitig auf und befand sich in großer Unruhe. Sie stand bereits vor dem Telegraphenbureau, als es geöffnet wurde, der unvermeidliche Jerome Blood-Smith natürlich dicht neben seiner Angebeteten. Die Botschaft, die der Vielgetreue in seinen ziemlich großen Ohren ticken hörte, während er an der Tür die Fahrräder bewachte und Fräulein Therese drinnen im Telegraphenbureau stand, lautete: »Alles nach Wunsch. Dritte Lesung gestern verhindert. Snippit fährt mit dem Frühzug nach Rathcool ab und bringt Erbvertrag zur Unterschrift. Sharkey.«

      »Hurra!« jubelte Fräulein Trixie seelenvergnügt, als ihr das geschriebene Telegramm von dem höflichen Beamten eingehändigt wurde. Als sie jedoch, das Papier seelenvergnügt in der Hand schwingend, hinauseilte, sah sie nur noch den Rücken von Jerome Blood-Smith, der, über die Lenkstange seines Fahrrades gebeugt, den Hügel hinauf ins Hotel zurückjagte.

      »Du meine Güte,« rief sie verwundert aus, »was ist denn dem Einfaltspinsel in die Krone gefahren? Vielleicht hat ihn eine Wespe gestochen. Und ich war gerade auch in der Laune, ihm ein bißchen aufzukratzen. Fünftausend Pfund Rente und ein Schloß, und alles nur meinem eigenen Scharfsinn zu verdanken? Es ist wirklich kolossal. Die Herzoginnen der Grafschaft werden sich umgucken. Ich muß jetzt ganz allein einen Extraritt auf dem Rad machen und tüchtig ausgreifen, um mir Luft zu schaffen, sonst platze ich.«

      In seinem verschlossenen Zimmer saß unterdessen Herr Beck – denn der war er jetzt wieder, trotz seines blonden Schnurrbartes und seiner rosigen Wangen – und hatte das Kursbuch und eine große Eisenbahnkarte von Irland auf seiner Bettdecke ausgebreitet. Nachdem er gewisse Züge mit dem Blaustift angestrichen hatte, bezeichnete er auf der Karte einen Punkt der Südbahn am Anfang der steilsten Senkung, die auf der ganzen Linie vorkommt, wo die Landstraße diese mittels einer Brücke kreuzt. Dieser Punkt lag genau in der Mitte zwischen zwei Stationen. Bei der drittnächsten Station weiterhin schloß sich die Rathcool- und Knockcrany-Zweigbahn mit schmaler Spurweite an, die etwa dreißig Meilen lang war und in Rathcool endigte. Der Blitzzug fuhr um acht Uhr abends an dem bezeichneten Punkt vorbei und traf auf der Station Knockcrany den letzten Zug der Zweigbahn. Der nächste Lokalzug fuhr erst am andern Tage um halb drei Uhr nachmittags ab und kam um ein Viertel auf fünf in Rathcool an.

      Nun maß Beck sorgfältig mit dem Zirkel die Entfernung zwischen dem mit Blaustift markierten Punkt auf der Karte und Mount Eagle in der Grafschaft Clare und berechnete die Meilen nach dem Maßstab.

      »Etwas über hundert Meilen,« murmelte er. »Die Zeit würde hinreichen; aber verdammt gefährlich ist die Geschichte und so gesetzwidrig als nur möglich. Doch meinetwegen. Ich habe den Gerichten mein Lebtag so oft beigestanden, daß sie mir auch einmal etwas zu gute halten können. Auch führt ja Herr Blood-Smith den Streich aus und nicht Paul Beck. Für die niedliche kleine Flora ist es aber die allerletzte Chance. Also nur frisch ans Werk!«

      Sobald sein Entschluß gefaßt war, verlor er keine Zeit mit Vorbereitungen. Er zog einen leichten, einfachen Radfahreranzug von dunkler Farbe an, in dem seine Arm- und Beinmuskeln mächtig hervortraten. An der Lenkstange befestigte er einen starken, mit Riemen versehenen Sack, der nichts enthielt, als zwei Blechkannen mit Brennöl für die Fahrradlampe und Schmieröl zum Einfetten der Reibungsstellen, Das war Herrn Becks ganzes Gepäck. Er wickelte die beiden vollen Kannen sorgfältig in ein paar von den großen seidenen Taschentüchern, die Blood-Smith gehörten, und stopfte sie dann in den Sack.

      Vor der Hoteltür bestieg Beck rasch und in aller Stille sein Fahrrad und jagte mit einer Geschwindigkeit von zwölf Meilen in der Stunde davon. Aus Südosten blies ihm ein starker Wind ins Gesicht, aber er zog die Schultern in die Höhe und kämpfte hartnäckig dagegen an. »Der Bahnzug kann auch nicht so schnell vorwärts gegen den Wind,« sagte er sich zum Trost, »und auch die kleinste Hilfe ist von Wert bei der Arbeit, die vor mir liegt.«

      Den ganzen Tag über fuhr Herr Beck auf seinem Fahrrad unermüdlich mit immer gleicher Schnelligkeit weiter. Nur einmal, als er bereits über die Hälfte des Weges zurückgelegt hatte, ließ er sich in einer Schenke ein Stück Brot und ein Glas Bier reichen. Jetzt brach der Abend herein. Sein Tourenzähler zeigte an, daß er bereits Vierundachtzig Meilen hinter sich habe.

      Als er auf seine Uhr schaute, deren Ziffern sich im Dämmerlichte kaum noch erkennen ließen, sah er, daß ihm noch zwei Stunden zur Verfügung standen. Er mäßigte seine Eile ein wenig, denn es war sehr anstrengend, gegen den Wind zu fahren, der den ganzen Tag über nicht an Heftigkeit nachgelassen hatte. Kaum zehn Minuten später fühlte er aber unter sich die kurze, stoßende Bewegung, die allen Radfahrern nur zu, wohl bekannt ist. Er glitt augenblicklich von seiner Maschine herunter, mit der es ziemlich trostlos aussah; der Gummireifen des Hinterrades war ganz platt und schlaff geworden. Da das Ziel seiner Reise noch gute zwölf Meilen entfernt war, schien der Unfall alles vereiteln zu sollen. Aber Beck ließ sich nicht so leicht entmutigen. Er nahm eine starke Kneifzange aus dem Werkzeugbeutel, kehrte die Maschine um, den Sattel nach unten, die

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