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Male wiedersehen.«

      »Du hast also meine Depesche erhalten?«

      »Und deinen Brief; beides zu gleicher Zeit. Ich war gerade verreist, als das Telegramm einlief, sonst würde ich zur Leichenschau gekommen sein. Was ist denn das Ergebnis?«

      »Fahrlässige Morphiumvergiftung.«

      Beck sah ihm forschend ins Gesicht. »Ist das auch deine Meinung?«

      »Ich weiß wirklich nicht, was ich denken soll.«

      »Du bist ja furchtbar angegriffen und schüttelst dich wie im Fieber. Nicht der Kummer allein beherrscht dich, sondern eine quälende Angst. Ich will die Droschke fortschicken; im Gehen redet sich's am besten. Zwischen vier Wänden ist man nie so sicher, unbelauscht zu sein.«

      Eine Weile gingen die beiden Männer schweigend nebeneinander her, bis links ein Pfad abbog, der geradeswegs nach dem Strand hinunterführte. Ohne ein Wort zu sagen, verließen sie die Landstraße. Woodriff hielt den Blick zu Boden gesenkt, der Ausdruck seines Gesichts war besorgt und kummervoll; von Zeit zu Zeit schaute ihn Beck an und mühte sich, seine Gedanken zu erraten. Jetzt standen sie an einer Stelle, wo sich der platte Strand in breiter Fläche vor ihnen ausdehnte. Bis an den Horizont lag das Meer zu ihren Füßen; die klaren Wellen brachen sich kräuselnd und schäumend auf dem Sand und hinter ihnen stiegen die schwarzen Klippen steil in die Höhe.

      »Was peinigt dich so?« fragte Beck plötzlich, während sie dicht am Uferrand hinschritten.

      »Die Furcht.«

      »Furcht – wovor?«

      »Das weiß ich nicht. Aber ich schwebe in Todesangst, daß meine Tochter Milly, jetzt mein einziges Kind, mir auch noch entrissen werden könnte. Letty war nicht die erste, die an Gift gestorben ist. Mir graut bei dem Gedanken, sie könnte vielleicht nicht die letzte sein.« Er bebte an allen Gliedern.

      Beck ergriff seinen Arm. »John,« sagte er mit fester Stimme, »wenn ich dir helfen kann, so würde ich es schon um der alten Zeiten willen tun. Du siehst die Dinge wohl schwärzer, als sie wirklich sind. Bitte, sage mir offen heraus, was du fürchtest und was du weißt.«

      »Es ist eine lange Geschichte, Paul.«

      Den alten Schulgefährten kam es ganz natürlich vor, sich beim Taufnamen zu nennen und denselben Ton gegeneinander anzuschlagen, wie vor fünfundzwanzig Jahren. »Ich habe keine Eile. Erzähle mir's nur auf deine Weise, aber behalte nichts für dich.«

      »Vor einem Jahr starb meine älteste Tochter Barbara plötzlich in Süddeutschland, wo sie in Pension war. Das Telegramm ging verloren und man hatte sie schon begraben, als ich ankam. Der Arzt meinte, sie sei einem Herzleiden erlegen. Damals glaubte ich ihm; es lag kein Grund vor, daran zu zweifeln. Aber jetzt bin ich überzeugt, daß sie auch mit Morphium vergiftet worden ist, wie meine arme Letty. Der Verlauf war der ganz gleiche. Noch am Morgen fühlte sich Barbara völlig gesund und frühstückte mit den andern Mädchen. Dann ging sie in ihr Zimmer, um Briefe aus England zu lesen, die sie erhalten hatte. Eine Stunde später fand man sie mit geschlossenen Augen im Lehnstuhl zurückgesunken. Man glaubte zuerst sie schlafe, aber sie war tot.«

      »Und deine Tochter Letty starb auf ähnliche Weise?«

      »Genau so. Ihre Zwillingsschwester Milly war mit Anna Coolin, ihrer Cousine, die bei uns auf Besuch ist, zu einer Gesellschaft von jungen Leuten am andern Ende der Stadt geladen, wo sie über Nacht bleiben wollten. Letty aber hatte die Einladung ausgeschlagen, um mich nicht allein zu lassen. Wir frühstückten miteinander und sie war wie immer lustig und guter Dinge, dann gingen wir zusammen aus. Wo der Pfad zum Seestrand abzweigt, trennten wir uns. Letty erwartete einen Brief von einer früheren Schulgefährtin und schlug den Weg nach der Stadt ein, um dem Briefträger zu begegnen. Ich ging zum Meer hinunter mit der Absicht, ein paar Makrelen zu fangen. An der Biegung der Straße warf mir Letty noch eine Kußhand zu. Ich sollte sie nicht mehr lebendig wiedersehen.

      »Als ich nach einigen Stunden heimkehrte, fand ich das ganze Haus in Schmerz und Unruhe. Die beiden Mädchen waren eben nach Hause gekommen und hatten Letty quer über das Bett hingestreckt gefunden, als sei sie plötzlich umgefallen – sie war tot. Die Leichenschau erkannte auf Morphiumvergiftung. Sie müsse beinahe zehn Gran reines Morphium zu sich genommen haben, erklärte der Doktor; das sei genug, um binnen dreißig Minuten den Tod herbeizuführen.«

      »Hatten deine Töchter vielleicht ein Liebesverhältnis?«

      »Ich habe nie von etwas Derartigem gehört. Sie sind noch sehr jung, kaum der Schule entwachsen. Letty hatte ihr achtzehntes Jahr noch nicht vollendet. Daß sie und Milly Zwillingsschwestern sind, sagte ich dir ja schon. Barbara war genau ebenso alt, als sie vor einem Jahr in Deutschland vergiftet wurde.«

      »Es waren muntere, lebenslustige Mädchen, sagst du?«

      »So vergnügt wie die Vögel in den Zweigen. Den Gedanken an Selbstmord laß nur ganz beiseite.«

      »Wenn Selbstmord und Zufall ausgeschlossen sind, so käme ein Mord in Frage. Was für Leute waren im Hause, als deine Tochter Letty vergiftet wurde?«

      »Nur langjährige treue Diener der Familie. Ebensogut könnte man mich selbst verdächtigen. Es läge ja auch gar kein denkbarer Beweggrund vor und alle hatten sie lieb.«

      Die Art, wie er das Wort »Beweggrund« aussprach, machte Beck stutzig; er blieb plötzlich auf dem einsamen Strand stehen, wandte sich um und sah Woodriff voll ins Gesicht. »Du verbirgst etwas vor mir, John. Ist dir ein Beweggrund für das Verbrechen bekannt?«

      »Ich weiß von keinem!«

      »Aber du hast eine Vermutung Sei offen gegen mich, wenn ich dir helfen soll,«

      »Der Gedanke ist so ungeheuerlich, daß ich ihn kaum zu fassen mag. Überdies ist es ja unmöglich.«

      »Das zu beurteilen, mußt du mir überlassen. Erst wenn man die Unmöglichkeit aus dem Weg geräumt hat, kommt man zu dem, was möglich ist,«

      »Um dir alles zu erklären, muß ich etwas weit ausholen: Wir Woodriffs waren fünf Geschwister, vier Brüder und eine Schwester. Robert, der älteste, wurde Arzt und ließ sich in Liverpool nieder. Sein einziger Sohn, Coleman Woodriff, erwählte denselben Beruf und erbte bei seines Vaters Tod die nicht sehr einträgliche Praxis. Mein zweiter Bruder Peter lebt seit dreißig Jahren in Chicago, wo es ihm gut geht. Er ist unverheiratet und verspricht jedes Jahr, uns zu besuchen. Mit dem, was ich dir erzählen will, hat er nichts zu schaffen. Der dritte Bruder bin ich und Dick war der jüngste. »Dick haßte Robert von Grund seiner Seele, aber er und ich waren die besten Freunde, bis es das Unglück wollte, daß wir beide dasselbe Mädchen liebten. Wir kämpften redlich zusammen, wie Brüder, um ihre Liebe und ich gewann den Preis. Meine arme Alice! Sie war die beste Frau, die je einen Mann beglückt hat, aber sie starb nach der Geburt der Zwillinge. Um ihretwillen waren mir die beiden Kleinen doppelt ans Herz gewachsen. Dick konnte seine Enttäuschung nicht überwinden. Es kam zu keinem Zerwürfnis zwischen uns, dazu war er ein viel zu rechtschaffenes Gemüt; aber er gab sein gutes Maklergeschäft in Liverpool auf und ging nach Australien, wo er vor drei Jahren gestorben ist. Er hatte sich auf die gewagtesten Spekulationen mit Grundstücken und Bauplätzen eingelassen, aber alles gelang ihm. Du kennst ja das Sprichwort: ›Unglück in der Liebe, Glück im Spiel.‹ So wurde er ein reicher Mann.

      »Wir blieben in regem Verkehr bis zuletzt. Alle vier Wochen gab er mir Nachricht, Die Mädchen liebte er sehr; mehr im Andenken an Alice, glaube ich, als um meinetwillen. Alljährlich schickte er ihnen schöne Geschenke und bei seinem Tod hinterließ er ihnen sein gesamtes Vermögen, das sich fast auf eine Viertelmillion Pfund Sterling beläuft.«

      »Allen drei zu gleichen Teilen?«

      »Ja, oder falls eine sterben sollte, den Überlebenden, nachdem sie ihr achtzehntes Jahr erreicht hätten.«

      Beck pfiff leise vor sich hin. »Wie aber, wenn keine achtzehn Jahre alt würde?« fragte er nach einer Pause.

      »Darüber enthält das Testament keine Bestimmungen. Meinem Bruder Dick ist wohl eine solche Möglichkeit nicht in den Sinn gekommen. Aber ich habe einen

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