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meint der Professor nach kur-zem Zögern. »Wir wollen diese Frage nie wieder berühren. Aber eines müssen Sie mir erlauben, Fräulein Magda: Ich darf doch meinem Freunde Urban die Glücksnachricht mitteilen? Sie kennen seine Anhänglichkeit, seine Sorge um Ihr Wohl. Er wird aufatmen, wenn er erfährt, daß Sie alles glücklich überstanden haben.«

      Ein kurzer Kampf – dann gibt Magda ihre Zustimmung.

      »Das dürfen Sie. Doktor Urban war mir stets ein väterlicher Freund, dem ich sehr viel Dank schulde. Grüßen Sie ihn, bitte, von mir.«

      *

      Aline erholt sich nicht.

      Sie ist still geworden. Selten hört man sie lachen, nur wenn sie sich über das Kinderbett neigt, verschönt ein liebes Lächeln ihre müden Züge.

      Sie ist eine scharfe Beobachterin. Jeden Zug in Hannos Gesicht versteht sie zu deuten. Sie sieht deutlich, wie schwer es ihm fällt, seine Enttäuschung zu verbergen, wenn er sich mit dem Kindchen beschäftigt, das trotz sorgsamster Pflege nicht recht gedeihen will.

      Einmal überrascht Hanno sie, wie sie bitterlich weinend an dem Bett der kleinen Christine sitzt.

      Erschrocken zieht er sie sanft an sich.

      »Aline, warum dieser Schmerzensausbruch?« dringt er in sie.

      Unter Schluchzen gesteht sie ihm, was sie seit der Geburt des Kindes wie eine Last mit sich herumschleppt.

      »Aber Kind, wir sind doch jung – den ersehnten Erben wirst du mir noch schenken.«

      Ungläubig schaut sie zu ihm auf. Das klang so warm und überzeugend. Sollte sie wirklich in einer Einbildung gelebt haben? –

      Und doch kränkelt sie.

      Dr. Urban wird wieder gerufen.

      Nach eingehender Untersuchung tritt er in Hannos Arbeitszimmer.

      »Was ist?«

      Doktor Urban schweigt, setzt sich Hanno gegenüber und blickt ihn lange und ernst an.

      »Ich will nicht sagen, daß wir mit dem Schlimmsten rechnen müssen, aber – ich will dich über den Ernst der Lage nicht im unklaren lassen. Verletzungen dieser Art, wie der Sturz sie verursacht hat, sind immer gefährlich.«

      Tief getroffen von dieser Mitteilung lehnt Hanno sich weit über den Tisch. »Hoffnungslos? Ein so junges Leben einfach vernichtet?«

      »Schicksal, Hanno«, sagt Doktor Urban leise und wendet sich ab.

      »Du mußt zu ihr gehen, sie verlangt nach dir, Hanno. Aber bitte, kein unbedachtes Wort, es könnte ihren Zustand noch mehr verschlimmern!«

      Taumelnd geht Hanno aus dem Zimmer. Wohin ist die Ruhe? Wohin der Frieden? Soll er niemals im Leben froh werden?

      Er denkt an des Arztes Worte und reißt sich zusammen.

      Ein gequältes Lächeln auf den Lippen, tritt er an Alines Bett.

      »Hanno!« Die Kranke ist wach. Ihre dunklen Augen sind von Tränen verschleiert. »Ich habe es geahnt, – ich darf nicht glücklich sein! Und den Erben, Hanno, den werde ich dir niemals schenken.«

      »Aline!« Gequält stöhnt Hanno auf.

      »Ich muß sterben, nicht wahr?«

      Hanno zieht ihren Kopf an seine Brust.

      »Wie kannst du das denken, Aline! Du wirst sicherlich bald genesen; laß nur erst den Frühling kommen. Ich werde dir meine ganze Freizeit widmen, und wir werden dann nachholen, was wir bisher versäumt haben. Habe nur Geduld«, weicht er aus.

      Er bringt es einfach nicht fertig, ihr die Wahrheit zu sagen.

      Aber mit diesen hastigen Worten kann er Alines Mißtrauen nicht beruhigen.

      Mutlos schüttelt sie den Kopf.

      »Ich glaube dir nicht! Verzeihe mir, Hanno, daß ich so offen bin – aber ich habe das Gefühl, daß ihr, du und Mutter, mir etwas verschweigt. Ist es –«

      Plötzlich ahnt sie, was Hanno nicht auszusprechen wagt.

      »Jetzt weiß ich alles!« keucht sie und fällt erschöpft in die Kissen zurück. »Niemals mehr werde ich wieder gesund werden – und das Leben sollte doch – erst – beginnen.« Es ist nur ein Flüstern, bei dem sich ihre Lippen kaum bewegen.

      Ein Tränenstrom ergießt sich aus ihren Augen, und ihr abgemagerter Körper wird von schmerzlichem Schluchzen geschüttelt.

      Liebevoll bemüht Hanno sich um sie.

      »Und du kannst noch gut zu mir sein, wo ich dich um alle schönen Hoffnungen gebracht habe?« jammert sie, von seiner Güte jetzt mehr bedrückt als getröstet.

      »Wir müssen es eben tragen, Aline! Geteiltes Leid ist halbes Leid«, spricht er entsagungsvoll und dennoch geduldig, wenn es in seinem Herzen auch wühlt und schmerzt. –

      Von diesem Tage an macht Alines Genesung keine Fortschritte mehr.

      Sie klagt nicht und trägt tapfer ihr Los. Aber ihr Lebensmut ist gebrochen. Die unumstößliche Tatsache, daß sie dem Mann ihrer Liebe den größten Wunsch seines Lebens nicht mehr erfüllen kann, zehrt heimlich an ihrem Mark.

      *

      Doktor Urban schleicht recht gedrückt einher. Das Schicksal der Menschen auf dem Birkenhof geht ihm zu Herzen.

      Teilnahmslos sieht er seine Post durch – da wird seine Aufmerksamkeit geweckt. Diese großen, steilen Schriftzüge gehören seinem Freunde Herdegen.

      Er liest und liest, beginnt von vorn – und –

      »Gottlob!« entschlüpft es dem alten, treuen Doktor. Nachdem er das Schreiben ein zweites Mal gelesen hat, verfällt er in tiefes Nachdenken.

      Die zarte Magda ist Mutter eines gesunden Knaben?

      Großväterliche Gefühle und Sehnsucht nach ihr überfallen den alten Herrn. Wie wunderbar schön müßte es sein, Magda, die er nun einmal liebt wie sein eigenes Kind, mit dem Jungen bei sich zu haben! Wie würde er beide verwöhnen und sich dafür wieder verwöhnen lassen!

      Plötzlich fährt er wie elektrisiert in die Höhe. Hanno, der schwergeprüfte Mann, weiß es nicht, soll es nach dem Bericht Herdegens auch nicht erfahren!

      Welches Glück könnte er ihm ins Haus tragen, wenn – ja, wenn er überhaupt um das Schicksal Magdas wüßte!

      Und nun hier die Anzeige der Geburt eines Jungen – seines Jungen! Diese Nachricht könnte wohl Hannos Herz erleichtern, der so schwer unter dem leidet, was Aline getroffen hat. –

      Wenige Minuten später befindet Doktor Urban sich in einem unbeschreiblich erregten Zustand auf dem Wege zum Birkenhof.

      Die lastende Stille, die ihn auf dem Birkenhof empfängt, trägt auch nicht dazu bei, seine Laune zu verbessern.

      Langsam steigt er die Treppe zum Krankenzimmer der jungen Frau empor.

      Auf den ersten Blick stellt er fest, daß keine Änderung in deren Befinden eingetreten ist, und da sie schläft, zieht er sich, nachdem er Frau Christine zugewinkt hat, wieder zurück.

      Auch Frau Christine ist schmal und etwas hinfällig geworden, aus ihren Augen sprechen Leid und Kummer.

      »Sie wünschen mich zu sprechen?« fragt sie mit einer Gleichgültigkeit, die Doktor Urban auffällt.

      »Frau Christine«, beginnt er vorsichtig. »Wenn Sie mir versprechen, ganz ruhig und gefaßt zu bleiben, dann werde ich Ihnen jetzt etwas anvertrauen.«

      Die alte Frau schaut ihn mit einem teilnahmslosen Blick an.

      »Bitte sprechen Sie«, fordert sie den Doktor aus Höflichkeit mit matter Handbewegung auf, »wenn es Sie erleichtert.«

      Doktor Urban holt tief Atem und denkt noch einmal daran, daß er im Begriff steht, einen Vertrauensbruch

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