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fragte sie dann und erhob sich. Sie sah ein, daß es zwecklos war, sich mit Leontine weiter in ein Gespräch einzulassen. Der Hochmut dieser Frau war nicht zu übertreffen. Sie würde wohl noch durch eine viel härtere Schule gehen müssen.

      »Nikolaus?« Leontine nahm ihre Handarbeit wieder auf. »Nikolaus holt seinen toten Bruder heim«, sagte sie fest.

      Minutenlang war nichts als das heftige Weinen Beates zu hören.

      »Wessen Kind ist übrigens die Kleine?« kam es schließlich von ihren Lippen.

      »Ach so«, entgegnete Leontine gleichgültig, »das weißt du ja noch nicht. Sie ist Josts Kind. Ihre Mutter ist seit Josts Tod verschwunden.«

      Beate Eckhardt war wie erstarrt. Jedes Mitleid, jedes weiche Gefühl für die Schwägerin erstarb in dieser Minute in ihr. Fassungslos stammelte sie:

      »Josts – Kind?«

      Aber dann raffte sie sich auf, glitt durch die Tür, eilte den Gang entlang und kniete schon nach einigen Sekunden vor dem erschrocken aufsehenden Kind.

      »Bitte, liebe, gute Tante, bringe mich nicht zu der bösen Frau, ich habe solche Angst!«

      Sanft nahm Beate das Kind auf ihren Arm und drückte es zart an sich. Dabei liefen ihr die Tränen übers Gesicht. Mit aller Kraft versuchte sie, sich zu beherrschen, damit die Kleine nicht beunruhigt würde.

      »Lorchen, mein Liebling, ich bin die Tante Beate, willst du nicht mit ins Zimmer kommen?« sprach sie, und sie legte ihre ganze Liebe in diese Worte. Sie wußte, daß das weichherzige Kind ebensowenig in die kalte Atmosphäre dieses Hauses paßte wie sie und wie früher Jost – und wie jetzt Nikolaus.

      »Ich möchte schon, aber ich habe Angst!« flüsterte der kleine Mund. Aber das erste scheue Vertrauen stahl sich schon in ihren Blick.

      Wortlos trug Beate Eckhardt das Kind davon, in eines der Erdgeschoßzimmer. Dort setzte sie sich an das weit geöffnete Fenster und beschäftigte sich liebevoll mit der Kleinen, deren Augen gläubig an dem gütigen Gesicht der fremden Frau hafteten.

      »Bleibst du immer bei mir, bis meine Mami kommt?«

      »Nicht immer, Leonore, ich muß wieder fort. Aber ich komme morgen schon wieder.«

      Enttäuscht ließ Leonore das Köpfchen hängen.

      »Morgen? Da hat mich meine Mami schon geholt!« plauderte sie. »Meine Mami holt Papi ab…« Sie brach ab und legte den zierlichen Finger an den Mund. »Nein! Papi war doch da«, verbesserte sie sich. »Vielleicht ist er Mami holen gegangen?«

      Beate Eckhardt konnte sich kein rechtes Bild aus dem wirren Reden machen. Sie wußte nur, daß das kleine Kinderherz voller Sehnsucht war.

      Sie grübelte Leonores Worten nach. Hatte Leontine nicht vom Verschwinden der jungen Mutter gesprochen? Sie mußte sich Gewißheit verschaffen.

      Dem Kind mütterlich in das erstaunte Gesicht schauend, ließ sie es hinuntergleiten und ergriff die Kinderhand.

      »Komm, Lorchen, wir gehen zu deiner Großmutter!«

      Leonore preßte das Mündchen ganz fest zusammen. Sie wollte die Tante bitten, sie nicht dorthin zu bringen, aber würde sie vielleicht böse werden?

      So ging sie gehorsam neben der schwarzgekleideten Frau her, aber der kleine Mund war verstummt, und das kleine Herz klopfte voller Angst.

      Leontine nahm ihre Handarbeit hastig wieder auf, die sie hatte ruhen lassen.

      »Ich muß nun gehen, Leontine. Das Kind kann aber nicht sich selbst überlassen bleiben«, richtete Beate Eckhardt das Wort an Leontine. Dabei fühlte sie das heftige Zucken von Leonores kleiner Hand.

      »Hoffentlich kommt Nikolaus bald zurück«, war die gelassene Antwort.

      »Und was soll das Kind bis dahin beginnen?«

      Gleichgültig zog Leontine die mageren Schultern hoch. »Vielleicht schläft solch ein kleines Mädchen noch viel. Ich weiß nicht mehr, wie man kleine Kinder behandelt; es ist schon sehr lange her, daß ich solche Sorgen hatte.«

      Beate Eckhardts schlanke Hände ballten und öffneten sich. Wenn sie diese Frau doch einmal aus ihrer Gleichgültigkeit herausreißen könnte!

      »So willst du dein Enkelkind den Hausangestellten überlassen?« fragte sie mit mühsam unterdrückter Erregung.

      »Ich verstehe dich nicht, du machst dasselbe Aufsehen wie Nikolaus. Wenn du doch endlich einsehen wolltest, daß ich mit diesem Kind nichts zu schaffen haben will.«

      »Mit deinem Enkelkind?« Beates Augen weiteten sich vor Entsetzen. Es fror sie bei der Herzenskälte dieser Frau. Wie sehr mußte erst der Bruder neben ihr gelitten haben!

      »Du solltest dich schämen, wirklich schämen!« stieß sie mit zornig gerötetem Gesicht hervor. »Am Ende neidest du dem Kind gar das Erbe. Sobald Nikolaus zurück ist, werde ich offen mit ihm sprechen. Das Kind ist in deiner Nähe in großer Gefahr, hörst du? In großer Gefahr, denn ein Mensch ohne Herz schreckt sogar vor einem Verbrechen nicht zurück.«

      Jeder Tropfen Blut schien aus Leontine Eckhardts Gesicht gewichen zu sein. Nur die Augen flammten voll Zorn.

      »Das Kind bleibt hier, wie Nikolaus es bestimmt hat!« sagte sie hart und kalt. »Deine Anschuldigung weise ich entschieden zurück. Damit du aber im Bilde bist: Ich werde um das Erbe kämpfen, denn ich allein habe ein Recht darauf. Du kennst doch die Klausel? Oder hast du sie schon wieder vergessen? Ihr Inhalt ist schon so gut wie eingetreten – und das Kind dort trägt das leichtfertige Blut seiner Mutter in den Adern. Weiter habe ich dir nichts mehr zu sagen. Es wäre aber besser für uns beide, wenn du mein Haus von heute ab meiden wolltest.«

      Beate blickte zornig hinter der hageren, vornübergeneigten Frauengestalt her, sah, wie sie achtlos an dem verängstigten Kind vorüberrauschte und mit hartem Druck die Tür hinter sich ins Schloß warf.

      »Mein Gott!« flüsterte Beate und sank auf den Stuhl nieder, der neben Leontines Arbeitsplatz stand.

      Unter Tränen lächelnd beugte sie sich zu der Kleinen.

      »Ich nehme dich mit mir, Lorchen. Hier kannst du nicht bleiben Nikolaus soll später entscheiden.«

      Da lächelte das Kind unbeschreiblich zu der tiefbewegten Frau empor. Vertraulich schob es seine zierliche Hand in die der Frau und preßte sie fest an sein heißes Gesicht.

      »Mit dir gehe ich gern, Tante, du bist so gut!« piepste sie.

      Mit einem starren Gesicht, das Kind nicht von sich lassend, verließ Beate Eckhardt das Haus ihres Bruders, in dem die Schwägerin jetzt herrschte, die ihr das Wiederkommen untersagt hatte.

      *

      Detlef Sprenger irrte von neuem stundenlang durch dunkle, menschenleere Straßen, um die wahnsinnige Erregung in sich verebben zu lassen, um Klarheit in seine Gedanken zu bringen.

      Er hatte den Hut vom Kopf gerissen und ließ den kühlen Nachtwind um die brennende Stirn wehen.

      Nach und nach fielen ihm die Ereignisse der letzten Stunden wieder ein. Mein Gott! Er hatte Regina einfach gehen lassen! Was für eine Entschuldigung sollte er für sein unverantwortliches Handeln vorbringen?

      Er warf sich in das nächste Taxi und ließ sich zu ihrem Haus fahren.

      Die Fensterreihe, die zu Regina Reuters gemütlichem Heim gehörte, war finster. Lange starrte er unschlüssig empor.

      Aber dann hatte er doch den Finger auf den Klingelknopf gedrückt und wartete, den Blick in die Höhe gerichtet.

      Er hatte das bestimmt Gefühl, daß Regina zu Hause war. –

      Regina erschrak. Hatte es nicht geklingelt? Sie sprang in die Höhe, trat hinter die Gardine und versuchte, das Dunkel zu durch dringen. Dort unten stand Detlef Sprenger und schaute unverwandt zu ihr empor. Trieb die Reue ihn zu ihr?

      Sie fühlte ihr Herz stürmisch schlagen und hörte

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