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hier vor?«

      Todblaß ist Doktor Freytag, als er Müller erkennt. »Sie ist – ist ohnmächtig geworden«, stammelt er und streicht sich das vom Schweiß verklebte Haar aus der Stirn. »Ich glaube, sie ist doch kränker, als Sie anzunehmen scheinen.«

      »Überlassen Sie die Oberschwester mir«, kommt Doktor Müllers kalte Stimme wieder. »Gehen Sie an die Arbeit.«

      Freytag taumelt zurück und hält sich am Bettende fest. »Ist etwas los auf der Station?« erkundigt er sich, nur um die eingetretene unheimliche Stille zu unterbrechen.

      Müller denkt an die Patientin und an Magda, die er jetzt nicht alleinlassen möchte. »Gehen Sie zu Schwester Anita und lassen Sie sich von ihr eine Spritze für die Patientin Zimmer 64 geben. Ich komme gleich nach.«

      Wie gehetzt rennt Freytag davon. Er atmet auf. Gottlob! Noch einmal gutgegangen. Doktor Müller scheint nichts zu ahnen.

      Er frohlockt – und plötzlich stockt sein Fuß. Er wird sich jetzt von Anita die Spritze geben lassen und wenn indessen Magda aus ihrer Ohnmacht erwacht, wird sie ihn verraten.

      Seine Augen wandern verzweifelt umher. Warum hat er sich wie ein dummer Junge aus dem Zimmer schicken lassen?

      Er hetzt vorwärts und erscheint schweratmend bei Anita. »Was hast du denn?« Sie betrachtet ihn lange und eindringlich. Dann schiebt sie ihm den Stuhl zu, auf den er sich schwerfällig sinken läßt.

      »Mir ist nicht gut.«

      »Aha«, sie verzieht den Mund verächtlich, »verstehe!«

      Er macht eine abwehrende Handbewegung. »Nicht was du denkst. Ich brauche eine Spritze für die Patientin Zimmer 64, Doktor Müller hat es angeordnet.«

      Wortlos geht sie zu dem Giftschrank und holt die Ampulle herbei. Auch die Spritze nimmt sie zur Hand und zieht sie auf. Dann reicht sie sie Doktor Freytag.

      »Komisch«, meint sie dabei. »Das hätte doch auch die Stationsschwester machen können.«

      »Doktor Müller hat das aber so angeordnet«, würgt er hervor, die Augen nur auf den Schrank gerichtet. Er fährt schreckhaft zusammen, als er plötzlich Doktor Müller vor sich sieht.

      »Wie geht es der Oberschwester?« erkundigt er sich heiser.

      »Besser«, gibt Müller kurz zur Antwort, dann greift er zu der Spritze, die in Freytags Hand hin und her pendelt. »Ich gehe selbst nach Zimmer 64.«

      Damit ist er wieder verschwunden. Ratlos steht Freytag da.

      »Anita.« Sein Atem geht stoßweise. Er kennt sich selbst nicht mehr aus. »Bitte, gib mir eine Ampulle.«

      »Für wen?« fragt sie geschäftsmäßig zurück.

      »Für mich.« Wieder die fahrige Bewegung durch das zerwühlte Haar. »Bitte, gib mir eine Ampulle, sonst – sonst geschieht etwas Fürchterliches.«

      »Tut mir leid, ich bin keine Oberschwester Magda«, weist sie ihn ab.

      »Anita!«

      Sie hebt nur verächtlich die Schultern, und da verliert er völlig den Kopf.

      Er macht einen einzigen Schritt auf den Giftschrank zu, mit der bloßen Hand zerschlägt er die Glastür. Scherben klirren. Doktor Freytag taumelt. Aus seiner Hand tropft das Blut und kommt in Sekundenschnelle wie ein Strom geschossen.

      Anita ist vor Schreck wie gelähmt. Sie kommt erst wieder zum richtigen Denken, als Doktor Freytag ihr vor die Füße fällt, und aus seiner Hand fließt der Lebensstrom unaufhaltsam weiter.

      Sie verliert alle Überlegung, ja alles klare Denken und Handeln, sonst hätte sie sehen müssen, daß die Schlagader getroffen ist.

      Mit einem Aufschrei rennt sie davon, stürmt den Flur entlang in das Zimmer, wo sie Doktor Müller vermutet und wo sie ihn auch antrifft.

      »Kommen Sie sofort, bitte, Herr Doktor – ein Unglück!«

      Müller stürzt hinter ihr her. Zunächst vermutet er Magda. Aber dann sieht er im Zimmer der diensttuenden Oberschwester, die augenblicklich von Anita vertreten wird, was geschehen ist. Freytag hat den Schrank eingeschlagen und sich dabei lebensgefährlich verletzt.

      Doktor Müller behält seine Ruhe. Mit Umsicht ordnet er alles Nötige an, und da Doktor Romberg noch im Hause ist, läßt er diesen in den Operationssaal rufen.

      Minuten später liegt Doktor Freytag auf dem Operationstisch. Über ihn neigen sich Doktor Romberg und Doktor Müller. Sybilla beobachtet die spukhaften Vorgänge nur aus der Ferne. Jeder ist an seinem Platz. Sie kann jede Handreichung von ihrem Platz aus beobachten, und sie beobachtet scharf.

      Sie bewundert Doktor Romberg, der sicher und gelassen wie immer arbeitet. Nicht, als hätte er eine schlaflose, arbeitsreiche Nacht hinter sich. Aber sie kann jetzt nicht von seiner Seite gehen, wenngleich ihre Hilfe am Operationstisch nicht nötig ist.

      Sie wartet mit unendlicher Geduld, bis alles vorüber ist und Freytag aus dem Operationssaal gefahren wird.

      Sie geht Romberg voraus in den Waschraum. Sie nimmt ihm Gummischürze, Gesichtsmaske und die Handschuhe ab.

      Er lächelt sie an. »Wie schön, daß Sie da sind«, sagt er, und es kommt aus tiefstem Herzen. Dabei ist sein Ton fast zärtlich, und er macht sie verlegen wie ein junges Mädchen.

      »Wie – konnte das – geschehen?« lenkt sie von ihrer Person ab und reicht ihm das Handtuch.

      »Das werde ich Ihnen erklären«, mischt Doktor Müller sich in das Gespräch, der noch eine Bluttransfusion überwacht hat und nun im Waschraum erscheint.

      »Sie wissen?« Sybilla stockt der Atem, so sehr betroffen ist sie von dem verbissenen Grimm, der aus Müllers Zügen spricht.

      »Dann wollen wir ins Ärztezimmer gehen«, schlägt Romberg vor, der stutzig geworden ist.

      Sybilla nimmt Müller gegenüber Platz. Romberg lehnt mit dem Rücken am Fenster.

      »Doktor Freytag ist Morphinist«, kommt es klar und sachlich von Müllers Lippen.

      Zwei erschrockene Ausrufe sind zunächst die Antwort. Dann bleibt es still.

      »Und er hat sich selbst die Pulsader geöffnet?« forscht Sybilla, der jetzt manches klar wird.

      »Das hat er wohl nicht gewollt«, erklärt Müller unheimlich ruhig weiter. »Er hat die Glastür zum Giftschrank zerschlagen und sich dabei so schwer verletzt. Er muß nicht mehr Herr über sich selbst gewesen sein.«

      »Gütiger Himmel«, entfährt es Sybilla, und ihre Augen, in denen der Schrecken liegt, suchen Rombergs bewegungslose Gestalt.

      »Aber das ist noch nicht alles«, fährt Doktor Müller fort. Und nun gibt er alle seine Beobachtungen preis und das, was er von Anita erfahren hat. Er schont auch die Oberschwester nicht, stellt sie jedoch als Opfer Freytags dar. Überhaupt, als er auf Magda zu sprechen kommt, nimmt seine Stimme einen ganz anderen Klang an. Seine Augen werden tieftraurig.

      »Mir tut dabei nur die Oberschwester leid.« Er verstummt jäh, als habe er schon zuviel gesagt.

      Er liebt sie – geht es Sybilla durch den Kopf – und hat sie doch anklagen müssen, weil es seine Pflicht als Arzt ist.

      »Man muß bei Professor Becker ein gutes Wort für sie einlegen. Solange sich Freytag nicht hinter sie klemmte, war sie unsere zuverlässigste Schwester. Schade um sie.« Ehrliches Mitgefühl bestimmt Rombergs hervorgebrachte Entschuldigung.

      Sybilla nickt ihm eifrig zu. Wie immer fühlt sie sich einig mit ihm.

      »Für den Professor wird es ein schwerer Schlag sein«, nimmt sie nach einer Weile das Gespräch auf. »Aber er muß es wissen. Soll ich es ihm beibringen? Wir Frauen sind mitunter bessere Diplomaten. Vor allem wegen der Oberschwester.«

      Im selben Augenblick meldet sich im Lautsprecher eine Stimme: »Doktor Romberg und Doktor Müller zu Professor Becker.«

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