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kommt es entsetzt von ihren Lippen, und Doktor Müller ruckt herum, erkennt die junge Schwester, die in eleganter Zivilkleidung steckt, und runzelt die Stirn. Gibt es einen Zusammenhang zwischen Schwester Anita und Magdas Verzweiflungsschritt?

      »Ist sie krank?« fragt Anita, als sie neben Doktor Müller steht.

      »Ich glaube, sie ist sehr krank«, erwidert Doktor Müller, und dann blickt er sie durchdringend an. »Waren Sie etwa mit Oberschwester Magda zusammen?«

      Anita zittert. Ihr versagen die Beine den Dienst, und schnell setzt sie sich auf den Stuhl, gegenüber der Liege.

      »Nein – ja, das heißt, ganz kurze Zeit«, stammelt sie verwirrt, dabei läßt sie das stille, reglose Gesicht Magdas nicht aus den Augen. »Warum tun Sie nichts? Ist sie ohnmächtig – oder was ist los?«

      Sie weiß etwas – denkt Doktor Müller, und sein Blick wandert zu dem Giftschrank, dessen Tür noch offensteht. Am Boden liegen die Scherben der kleinen Flasche. Das Gift ist ausgeflossen und bildet eine winzige Lache.

      Anitas Augen folgen seinem Blick, und sie unterdrückt einen Schrei. »Hat sie – wollte sie etwa…?«

      »Ja, Oberschwester Magda wollte Gift nehmen. Ich konnte es rechtzeitig verhindern«, sagt er ziemlich brutal, und mitleidlos sieht er zu, wie sich aus ihren angstvollen Augen Tränen lösen und ungehindert über die Wangen rollen.

      Anita ist wie gelähmt. Magda wollte aus dem Leben gehen? Mein Gott, wenn Doktor Müller nicht dazugekommen wäre, hätte Martin ein Menschenleben auf dem Gewissen. Und trägt sie nicht auch ein Teil Schuld an Magdas Zusammenbruch?

      »Kommen Sie mal her«, hört sie Doktor Müller beinahe sanft sprechen.

      Gehorsam erhebt sie sich und stellt sich dicht neben ihn. »Ja, bitte«, haucht sie.

      »Wir wollen Oberschwester Magda gemeinsam in ihr Zimmer bringen. Ich habe ihr eine Beruhigungsspritze gegeben. Wollen Sie mir helfen, daß keiner von dem Vorfall erfährt?«

      Sie nickt heftig, eilt hinaus auf den Flur und kehrt wenig später mit der fahrbaren Trage zurück.

      Wortlos betten sie Magda, die in tiefem Schlaf liegt, aber eher wie eine Schwerkranke aussieht, auf die Trage, und gemeinsam bringen sie sie zum Fahrstuhl.

      Anita kleidet Magda aus, während Doktor Müller am Fenster steht, den Rücken dem Zimmer zugewandt. Fieberhaft überlegt er, was zu tun ist. Nur einer kann diesen völligen Zusammenbruch verschuldet haben – und das ist Doktor Freytag.

      »Fertig«, sagt hinter ihm Anita, und Müller dreht sich um. Er geht auf das Bett zu, prüft Magdas Puls und nimmt abseits in einem der zierlichen Sessel Platz. Er winkt Anita zu sich, und zaghaft läßt sie sich auf der äußersten Kante des zweiten Sessels nieder.

      »Was halten Sie von Doktor Freytag?« beginnt er die im Flüsterton geführte Unterhaltung.

      Anita sitzt unbeweglich. Die letzten Stunden kommen ihr wie ein aufregender Film vor, in dem sie selbst die Hauptrolle gespielt hat. Sie hört die eiskalte Stimme Martin Freytags, die kurz zuvor noch zärtlich und lockend zu ihr gesprochen hat, und es schüttelt sie.

      »Ich – glaube – ich hasse ihn!« stößt sie mühsam beherrscht hervor.

      Doktor Müller scheint von dieser Antwort nicht befriedigt, und trotzdem wagt er die Frage, die ihm die ganze Zeit her auf den Lippen brennt. »Waren Sie nicht heute mit Doktor Freytag aus?«

      Sie verfärbt sich und nickt.

      »Warum sind Sie dann mit ihm gegangen, wenn Sie ihn doch hassen?«

      »Ich – ich glaubte, ihn gern zu haben. Da wußte ich aber noch nicht.«

      Sie verstummt jäh, und Doktor Müller betrachtet sie nunmehr mit Teilnahme. In seinen Augen liegt die Güte, mit denen er seine Kranken zu betrachten pflegt.

      »Sie dürfen Vertrauen zu mir haben, Schwester Anita«, sagt er in gänzlich verändertem Ton. Etwas liegt in seiner Stimme, was ihr Herz aufschließt. »Sprechen Sie sich das Herz frei, ich glaube die Zusammenhänge zu kennen. Sie sollen mir nur meine Mutmaßungen bestätigen.«

      Er beobachtet sie scharf, bemerkt, wie sie sichtlich mit sich kämpft.

      »Hat Doktor Freytag Sie auch zu irgendwelchen dunklen Zwecken miß-braucht?« fragt er eindringlich.

      Ihre Augen weiten sich. »Nein!« entfährt es ihr heftig. »Wissen Sie – wissen Sie, daß Doktor Freytag Morphinist ist?«

      »Ich ahne es seit einiger Zeit.« Sein Blick streift das blasse, reglose Gesicht Magdas. Sanft streichen seine Finger über die still auf der Decke ruhende Hand.

      Diese kleine Bewegung, die Zärtlichkeit verrät, reißt eine Binde von Anitas Augen. Doktor Müller liebt die Oberschwester. Und Magda? Warum hat sie sich an den haltlosen Doktor Freytag verloren und nicht den zuverlässigen, anständigen Doktor Müller vorgezogen?

      »Ich werde Ihnen alles erzählen, was ich weiß«, fährt sie bedeutend ruhiger fort. Wenn Doktor Müller die Oberschwester liebt, dann wird er versuchen, sie unter allen Umständen zu schützen. Das gibt ihr den Mut, sich alles von der Seele zu reden.

      Doktor Müller hört mit ungeteilter Aufmerksamkeit zu. Manchmal neigt er den Kopf ein wenig, als wolle er Anitas Worte bestätigen. Als sie geendet hat, bleibt er lange in Gedanken versunken.

      »Was werden Sie unternehmen?« fällt Anitas erregte Stimme in die Stille. »Es muß doch irgend etwas geschehen.«

      »Sicher muß etwas geschehen«, bestätigt er tiefernst. »Vor allem müssen Sie Doktor Freytag weiterhin in Sicherheit wiegen. Er wird, nachdem Sie da­vongelaufen sind, annehmen, Sie spielen die Verräterin. Diesen Eindruck müssen Sie verwischen. Verstehen Sie mich?«

      Hilflos blickt sie auf. Der Ekel schüttelt sie. Wenn er sie nun ebensowenig liebt wie Magda? In ihr nur ein Mittel zum Zweck sieht?

      »Sie brauchen sich nicht zu sorgen, Schwester Anita. Ihnen geschieht nichts, ich verbürge mich mit meinem Ehrenwort dafür. Aber Sie sehen doch ein, daß dieser Doktor Freytag eine Gefahr ist. Man muß ihn überführen.«

      »Und das – das soll ich tun?« Ihr schnürt die Angst fast die Kehle zu. »Ich bin eine schlechte Schauspielerin.«

      »Sie zögern? Ich kann das verstehen. Am liebsten würde ich zu Professor Becker gehen und ihm alles erzählen. Aber wir wissen nur, daß er Morphinist ist. Oberschwester Magda kann nicht sprechen, und es fragt sich, ob sie es tun wird. Sie – sie liebt leider diesen Freytag.«

      Anita schüttelt heftig den Kopf. »Ich glaube eher, daß sie ihn haßt.« Sie strafft die junge Gestalt und reicht dem Arzt die Hand. »Gut, Doktor Müller«, sagt sie entschlossen. »Ich werde versuchen, die Beweise zu liefern. Vielleicht steckt er auch hinter den Gerüchten, die über Doktor Romberg im Umlauf sind? Niemals glaube ich an ein Versagen unseres Oberarztes. Er ist die Gewissenhaftigkeit in Person. Nein! Niemals trifft ihn im Falle Stücker irgendeine Schuld.«

      »Aber das Röntgenbild«, gibt Doktor Müller zu bedenken.

      »Ja – das Röntgenbild«, wiederholt Anita. »Kann es nicht vertauscht worden sein?«

      Unter halbgeschlossenen Lidern blickt Müller zu ihr auf. Er denkt angestrengt nach. Im Geiste ruft er die Vorgänge in jener Nacht, in der man ihn aus dem Schlaf gerissen hat, in sein Gedächtnis zurück.

      Freytag war betrunken ins Krankenhaus gekommen. Es war sein eigener Schwager. Weshalb sollte er ein Interesse an der Vernichtung des Röntgenbildes gehabt haben. Oder an seiner Beseitigung?

      »Ich weiß nicht«, murmelt er. »Soviel ich auch grüble, ich finde das Motiv nicht, das Freytag dazu getrieben hätte.«

      »Vielleicht gelingt es mir, Freytag zum Sprechen zu bringen. Sie können sich auf mich verlassen, so schwer es mir auch fällt.«

      Ihr sonst so fröhliches junges Gesicht trägt plötzlich einen herben, beinahe verbissenen Ausdruck.

      Doktor

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