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Hofe lebte ein Prinz, dem Königshause nahe verwandt. Noch sehr jung, war er bereits mit einer fremden Prinzessin verlobt. Er war ein zarter, schöner Jüngling. Ganz der Etikette zuwider, trug er seine schwarzen Locken bis auf die Schultern herabfallend. Für sein blasses Gesicht mit den großen, unirdisch glänzenden Augen schwärmten alle Mädchen.

      Er war der Liebling des Königs und das ganze sorgenvolle Glück einer überzärtlichen Mutter. Sein Vater war, dem Gerücht zufolge, an der Auszehrung gestorben. Man befürchtete, daß der Sohn die schreckliche Krankheit geerbt habe. Damals war er gerade zwanzig Jahre all.

      Im Publikum wurde über diesen Prinzen viel gesprochen. Seine Schönheit, sein Leiden, sein Verhältnis zur Mutter, seine Liebenswürdigkeit und viele Züge, die von einer idealen, etwas überschwenglichen Natur sprachen, machten ihn der Menge interessant. Der arme Jüngling hatte seine Braut noch nicht einmal gesehen; man wußte, daß er diese Verlobung verabscheute.

      Er hatte seinen Aufenthalt in einem alten Lustschlosse genommen, das inmitten großer Gärten und weiter Waldungen in der Nahe der Residenz lag. Hier hielt, so erzählte man sich, der junge Schwärmer auf eine seltsam phantastische Weise Hof. Von seiner Mutter vergöttert, von den Ärzten absichtlich in edle Zerstreuungen gezogen, führte er in jenem köstlichen buen retiro ein Leben, das ihn der Nüchternheit der Zeit sowie der Welt gänzlich entrückte.

      Seine Erziehung sollte ihn tief in griechisches Wesen eingeführt haben. Er lebte in griechischer Geschichte, Dichtung und Kunst.

      Er hatte sich seine nächste Umgebung aus einigen jungen Adligen gewählt; vor allem aber aus jüngeren Gelehrten, Künstlern und Dichtern. Seine Mutter war in diesem Kreise die einzige Frau. Es ging die Sage, daß der Prinz mit seinen Gefährten einen »Griechenbund« bildete. – – In einer Marmorhalle versammelte man sich. Diese war nach dem Vorbild von Platos Akademie eingerichtet und auch wie diese benannt: Akademia. Antike Statuen waren darin aufgestellt, die Wände schmückten vortreffliche Kopien pompejanischer Wandgemälde. An gewissen Festtagen erschien man in griechischen Gewändern. Es wurde griechische Philosophie getrieben, es wurden die griechischen Dichter gelesen. Man disputierte. Abends war die Tafel ein Symposion. Man lag auf Polstern, speiste auf der Antike nachgebildeten Geschirren, Wirt und Gäste trugen Rosenkränze. Zum Schlüsse erschien die fürstliche Mutter, aus Liebe zu ihrem Sohn in die edle Laune desselben eingehend und nicht die würdevolle Gewandung einer griechischen Matrone verschmähend. In Gegenwart der hohen Frau erteilte der Erzieher des Prinzen gewisse Themata, über welche die Versammelten frei sprechen mußten. Dem Vortrage folgte wiederum eine Disputation.

      Der Prinz liebte leidenschaftlich das Schauspiel. Doch Gefahr für seine erregbare Phantasie fürchtend, verboten ihm die Ärzte den Besuch des Theaters. Um seine heftige Sehnsucht zu befriedigen, fanden in dem Theater des Lustschlosses dann und wann kleine Aufführungen statt; ja zuweilen studierten die jungen Leute unter sich auf einer griechischen Scena diesen und jenen Akt von Sophokles oder Äschylus ein.

      Ich hatte den Prinzen nur einmal gesehen und das in einer Vorstellung des Tasso, wo ich Leonore von Este spielte. Da sein Erscheinen im Theater ein Ereignis war, wurde er mir gezeigt.

      Durch das Loch im Vorhang betrachtete ich ihn mir genau. Sein blasses Antlitz mit den edlen, schönen Zügen, von langen, dunklen Locken umwallt, kam mir unendlich rührend vor. Alles, was ich von ihm wußte: sein ungewöhnliches, hochpoetisches Wesen, seine unglückliche Brautschaft, sein sicherer früher Tod verursachte, daß der Anblick des Jünglings mich tief erschütterte. Ich fühlte unsägliches Mitleid mit ihm.

      Im fünften Aufzug, bei der großen Szene mit Tasso, verursachte eine Bewegung im Hause, daß das Spiel fast gestört wurde. Ich sah auf. Mein Blick fiel auf die große königliche Loge mir gerade gegenüber. Dort sah ich den Prinzen stehen. Er war dicht an die Brüstung herangetreten und schien wie entgeistert auf die Bühne hinabzustarren. Im nächsten Augenblick trat seine Mutter zu ihm. Sie wollte ihn sanft niederziehen; aber erst nach einer Weile trat er wieder zurück.

      An diesem Abend wurde bei uns viel über den jungen Prinzen gesprochen. Die Mutter war ganz außer sich vor mütterlicher Teilnahme. Auch ich ward heftig bewegt, als Fernow uns mitteilte, daß der edle Jüngling wahrscheinlich in kurzer Zeit dahinsiechen würde. In den nächsten Tagen verbreitete sich das Gerücht, daß er nach der Vorstellung des Tasso erkrankt sei. Ich vermochte nicht eher wieder ruhig zu sein, als bis ich von seiner Besserung vernommen.

      Einige Zeit nach diesem Vorfall besuchte mich der Intendant. Seine Exzellenz überraschte mich durch seine Liebenswürdigkeit. Zweck seines Besuches war, mir mitzuteilen, daß ich die Ehre haben würde, auf der Privatbühne seiner königlichen Hoheit die Antigone zu spielen. Bereits in den nächsten Tagen sollte das Drama auf dem Lustschloß vorgelesen werden.

      Die Mutter war freudig überrascht, Fernow, als er es hörte, auffallend nachdenklich. Ich dachte an nichts anderes, als daß ich die Antigone spielen sollte. Noch an demselben Abend besprachen wir die wundervolle Gestalt.

      Bis zu dem Tage der Vorlesung beschäftigte ich mich mit nichts anderm. Fernow hatte mir eingehend die antike Bühne geschildert, so daß ich in ihrem Charakter bewandert war wie ein junger Student. Wie kam mir dies zum Verständnis des Ganzen zustatten! Wie kam mir jetzt zustatten, daß ich wußte, was griechische Kunst sei! So gelang es mir denn auch, den erhabenen Ton der Rolle zu treffen. Von der köstlichen Klarheit der Gestalt ging es in mein Wesen über und zum erstenmal konnte Fernow mein Maß und meine Ruhe loben. Ich war still und glücklich.

      Die Mutter begleitete mich in die Leseprobe. Wir wurden zuerst der Prinzessin vorgestellt, die den Handkuß der Mutter nicht litt, und mich auf die Stirn küßte. Gleich bei dem ersten Anblick fühlte ich eine tiefe Verehrung für die hohe Frau. Auf ihrem klassisch schönen Antlitz lag ein Ausdruck tiefster Trauer, deren Ursache ich zu kennen glaubte. Sie führte uns in den Saal, wo der Prinz mit den anderen bereits versammelt war. Ich verneigte mich tief. Er stand auf, ging uns entgegen und richtete in einer überaus liebenswürdig-schüchternen Weise einige freundliche Worte an meine Mutter. Mich begrüßte er stumm.

      Alsbald begann die Vorlesung.

      Man saß um eine Tafel, ich dem Prinzen gegenüber. Seine Mutter saß neben ihm. So oft ich vom Buche aufsah, begegnete ich dem Blick des Prinzen, mit einem Ausdruck auf mir ruhend, der mir das Herz beklemmte. Die Fürstin hatte ihre Hand auf den Arm des Sohnes gelegt, als müsse sie ihren Liebling vor irgendeiner Gefahr schützen. Nach der ersten Abteilung wurde eine längere Pause gemacht; wir erhoben uns, Lakaien brachten Erfrischungen. Die Prinzessin kam auf mich zu und sagte: »Mein Sohn ist entzückt, liebes Fräulein.« Und dann zu meiner Mutter gewendet: »Was sind Sie für eine glückliche Mutter!«

      Was bist du für eine unglückliche Mutter! mußte ich denken.

      Sie führte mich nun selbst zum Prinzen, der mir seltsam befangen vorkam. Auch er sagte mir mit unsicherer Stimme ein paar Worte über meinen Vortrag: nicht Phrase, sondern Empfindung. Darauf stellte er mir einige Herren vor und das Gespräch ward allgemein. Es handelte sich natürlich um das Stück und die Aufführung. Die Bühne sollte in streng griechischer Weise hergerichtet werden. Da man mich in die Unterhaltung zog, gab auch ich meine Meinung ab. Ich sagte nicht viel; aber der Prinz schien doch davon betroffen zu sein.

      Die beiden Mütter saßen unterdessen zusammen auf einem Ruhebett im eifrigen Gespräch. Als ich mich zu ihnen wandte, verstummten sie. Meine Mutter hatte feuchte Augen, die Fürstin war wieder sehr gütig.

      Wir lasen weiter.

      Sehr wider mein Erwarten und Wollen gestaltete sich die Leseprobe für die Darstellerin der Antigone zu einem vollständigen Triumph. Da die Fürstin sich immer liebenswürdiger gegen mich benahm, der Prinz sich in wahrhaft beängstigender Weise begeistert zeigte, mochten es die Kavaliere für ihre Pflicht halten, mir geradezu zu huldigen.

      Nach der Vorlesung wurde im Palmengarten zur Tafel gegangen. Ich saß neben dem Prinzen. Sein Gesicht war weniger bleich, seine Augen glänzten. Er schien gesund und glücklich zu sein. Durch das Schauspiel angeregt, kamen wir auf griechische Literatur und Kunst zu sprechen und waren beide bald so in dieses Thema vertieft, daß wir darüber unsere Umgebung vergaßen. Die lebhafte Freude des Sohnes hatte

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