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Die wichtigsten Werke von Richard Voß. Richard Voß
Читать онлайн.Название Die wichtigsten Werke von Richard Voß
Год выпуска 0
isbn 9788027223008
Автор произведения Richard Voß
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Es hatte aber auch mit den lieben Rottmann für das junge Mädchen eine eigne Bewandtnis.
2. Der gute Joseph Auzinger
Prisca war noch ein kleines, dummes Ding, als sie schon von den »Rottmann unter den Arkaden des Hofgartens« reden hörte. Diese Leute, die Rottmann nämlich, nahmen in ihrer lebhaften Einbildung mit der Zeit etwas ganz Gewaltiges an, als stammten sie von einem Geschlecht von Riesen. Das phantastische Kind hätte sich vor ihnen gefürchtet, wenn ihr Vater, der hellhaarige Hüne, davon nicht stets mit einem sonnigen Glanz in seinen genzianenblauen, melancholischen Augen gesprochen.
Was in Priscas Blick in leidenschaftlicher Sehnsucht nach Schönheit und Sonne aufgeleuchtet hatte, als sie vorhin die öde Feldherrnhalle betrachtet, war Seele von ihres Vaters Seele gewesen.
Dieser heißgeliebte, frühverstorbene Vater hatte es in seinem kurzen Leben, das von Anfang bis Ende einem regnerischen deutschen Herbsttag geglichen, trotz aller ehrlichen Mühe niemals weit gebracht. Dabei sah der Mann wie ein junger Siegfried aus, voller Saft und Kraft. Aber in diesem gesunden Körper wohnte eine kranke Seele mit fiebernder Phantasie, die mit dem wirklichen Leben nichts anzufangen wußte, die sich eine eigne, wirre Welt gestaltete und sich darin in exotischen Fieberträumen verlor.
Wäre der gute Joseph Auzinger gewesen, was vor ihm so viele Auzinger waren: tüchtige Leute mit nüchternem Handwerk, so wäre es ihm schwerlich so schlecht ergangen. Aber dieser eine Auzinger sollte durchaus etwas Besonderes, etwas Besseres und Höheres werden.
Alte Freunde des elterlichen Hauses, wohlmeinende, ehrliche und getreue Menschen, hatten in dem nachdenklichen und absonderlichen Buben einen genialen Künstler entdecken wollen. So wurde denn der junge Künstler – Maler! Und nebenher wurde er ein verträumter, unglücklicher Mensch, der Großes vollbringen wollte und der nicht einmal Kleines vollbrachte. In der Tat gar nichts.
Niemals machte er ein Bild fertig. Er brachte keinen Entwurf über eine allererste mysteriöse Skizze hinaus, die nur dem Künstler selbst verständlich war. Übrigens bekam sie nie ein fremdes Auge zu sehen. Er versteckte sein bekritzeltes Papier und seine verschmierte Leinwand wie der ärgste Geizhals seine heimlichen Schätze.
Dabei lebte in seiner Seele ein Gewimmel von herrlichen Gestalten, lauter nacktes, lustiges Heidengesindel und olympisches Göttervolk. Alle diese schönen, unirdischen Geschöpfe bewegten sich in einer idealen Landschaft voll bacchischer Üppigkeit, unter einem strahlenden Himmel, in goldigen Lüften mit der unbändigen Lebenslust der alten Niederländer und zugleich in Tizianischer Farbenglut.
Aber sie wollten aus der Seele des Künstlers nicht heraus! Es war, als scheuten sie das nüchterne Tageslicht und eine unbarmherzige graue Wirklichkeit, die für solch glückselige Existenzen keinen Raum hatte.
So behielt er denn – in seiner Art auch ein Prometheus – seine selbstgeschaffene Welt im tiefsten Busen verschlossen. Leider war aber auch die andre Welt da, jene wirkliche, auf welcher der Mensch die Erfüllung allerlei Bedürfnisse nötig hat, um auf ihr weiterexistieren zu können, was freilich bisweilen ein etwas teuer erkauftes und zweifelhaftes Vergnügen sein mag. Der arme närrische Auzinger fristete sich dieses kostbare Dasein mühselig genug durch eifriges Zeichnen von Karikaturen für Witzblätter zweiten und dritten Ranges.
Sie waren herzlich schlecht, ohne jeden künstlerischen Wert; aber sie träuften von Gift und Galle. Darum wurden sie viel begehrt und – erbärmlich bezahlt. All sein beißender Spott und ätzender Hohn trugen ihm gerade nur so viel zum Beißen ein, als er notwendig brauchte, um die schöne Beschäftigung des Atemholens fortsetzen zu können.
Niemand entgeht seinem Schicksal; also entging auch der gute Auzinger dem seinen nicht. Und dieses Schicksal war es, das ihn schließlich noch in sehr jungen Jahren in sein Verderben führte.
Dieser Märtyrer seiner Phantasie in Gestalt eines alten Germanenhelden verliebte sich wahnsinnig. Die Betreffende war noch dazu ein italienisches Modell, ein halbwildes, blutjunges, prachtvolles Geschöpf aus einem Felsennest im Albanergebirge.
In einer grimmig kalten Winternacht begab sich Joseph Auzinger aus einer kleinen italienischen Bottega, wo er sich dann und wann ein festliches Glas gönnte, nach seiner entlegenen Vorstadtwohnung zurück. Nach gut Münchner Biedermannssitte war die junge Großstadt vom Glockenschlag neun an wie ausgestorben. Joseph Auzinger hätte die an seinem Wege kauernde Gestalt – sie drängte sich, wie Wärme und Schutz suchend, dicht an eine Hausmauer – wahrscheinlich gar nicht bemerkt, wenn er nicht neben sich ein leises Wimmern vernommen hätte.
Er blieb stehen, sah das weinende Wesen, von dem er nicht gleich wußte, ob es ein Kind oder ein Weib sei, redete es an, erhielt jedoch keine Antwort. Aber das winselnde Klagen hörte sofort auf.
Jetzt beugte sich der Künstler herab und erkannte, daß der Kopf des verlassenen Geschöpfes tief auf die Brust gesunken war und die Arme schlaff herabhingen. Wenn er nicht soeben das leise Wimmern gehört, so hätte er glauben können, daß die Gestalt tot wäre – erfroren.
Er faßte das stille Frauenwesen bei der Schulter und schüttelte es. Da hob es den Kopf. Joseph Auzinger erkannte undeutlich ein kindlich junges, totbleiches, wunderschönes Antlitz, aus dem große, finstere Augen ihn anstarrten, als wäre er eine Erscheinung.
»Was tust du hier?«
Es erfolgte keine Antwort.
Jetzt sah er auch, daß das Mädchen, es war wirklich ein halbes Kind, eine Italienerin sein mußte. Sie trug das typische Kostüm, darin die Modelle nach München zu kommen pflegen.
Eine Italienerin! So jung! Ganz verlassen! Und erfrierend auf der Straße. Dabei so schön! So ganz seltsam fremdartig, geheimnisvoll schön!
Mit vieler Mühe gelang es ihm, durch seine wenigen Worte Italienisch, das er als Knabe kurze Zeit getrieben, um dadurch dem Lande seiner Sehnsucht näher zu kommen, das arme Kind zum Reden zu bringen und es einigermaßen zu verstehen.
»Du bist Modell?«
»Ja.«
»Aus Rom?«
»Aus Rocca di Papa.«
»Bist du schon lange in München?«
»Gestern angekommen.«
»Ganz allein?«
»O Madonna!«
»Deine Eltern ließen dich ganz allein fort?«
»O Madonna!«
»So sprich doch. Leben deine Eltern nicht mehr?«
»Tot ... beide.«
»Mit wem kamst du nach Deutschland?«
»Mit wem soll ich gekommen sein?«
»Das eben frage ich dich.«
»Mit meinem Vater.«
»Ich denke, dein Vater ist auch tot?«
»Seit drei Tagen. O Madonna!«
»Wo starb dein Vater?«
»Irgendwo.«
»Nicht in dieser Stadt?«
»Irgendwo.«
»Ja, und du?«
»Ich lief fort.«