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und Plätzen ein Schmutz, daß der kühne Fußwanderer Pfützen durchwaten und wahre Moräste durchschreiten mußte inmitten der lieben Hauptstadt des schönen Bayerlandes. Und zwar geschah solches nicht etwa im grauen, barbarischen Mittelalter, sondern in der aufgeklärten Zeit einer universellen Skepsis und des Glühlichts.

      München bei Novemberregen!

      In der fashionabeln Briennerstraße einige tiefgesenkte, hin und her schwankende Schirme; auf dem friedlichen Odeonsplatz kein einziger Fiaker; die ganze lange, klassische Ludwigsstraße bis hinauf zum feierlichen Siegestor kaum eine lebendige Seele.

      Der Regen rauschte und rauschte, der Tag wurde trüber und trüber; aus dem durchweichten Boden, aus sämtlichen kleinen und großen Wasserlachen stiegen Dünste auf; vom Himmel sanken dichter und dichter die Nebel herab, die der Wind wie Rauchwolken vor sich her trieb.

      Die winzigen, blauweiß angestrichenen Wagen der hauptstädtischen Pferdebahn, mit dem einen einzigen, lebensmüden Rößlein davor, glitten wie Nürnberger Riesenspielzeug durch den Dunst hin und her. Bei dem stattlichen Eckhaus, in dessen Erdgeschoß Thierry und Breuil die neuesten, allerliebsten Quincailleriekapricen Altenglands feilhält und die alte, biedere Brienner Bäckerei ihre Gäste mit gut bürgerlichem Kaffee und massiven Backwaren erquickt – an dieser bedeutsamen Stelle des großstädtischen Verkehrs ertönte von Zeit zu Zeit, das Rauschen des Regens und das Brausen des Windes durchgehend, der schrille Pfiff des bedauernswerten Rosselenkers. Er und der Kondukteur hatten ihr leuchtendes Himmelblau unter dunkeln Hüllen verborgen, als müßten sie mithelfen, das Bild eines echten deutschen Regentages grau in grau zu malen.

      Ein farbiger Punkt!

      An dem Pferdebahnwagen, der, aus der Briennerstraße kommend, soeben scharf um die Ecke bog, eine hellgrüne Scheibe. Der Wagen kam vom Bahnhof her. Er hielt. Zum Einsteigen war keine Seele da. Aber jemand stieg aus.

      Ein Mädchen: jung, hoch aufgeschossen, eckig, ganz und gar anmutslos. Sie steckte vom Kopf bis zu den Füßen in einem jener häßlichen, mißfarbigen Säcke, Regenmäntel genannt, darin jedes echte, weibliche Münchner Kind von Himmels wegen zur Welt kommen sollte.

      Die junge Dame hatte das bescheidene Gewand hoch aufgeschürzt und sich mit derben Gummischuhen ausgerüstet. So wohlverwahrt patschte sie auf nicht allzu zierlichen Füßen mutig nach dem Hofgarten und dem gegenüberliegenden Ufer zu.

      Während dieses Unternehmens dachte sie:

      ›Eigentlich ist es eine wahre Schande, so trocken und faul mit der Tram gefahren zu sein! Was mir wohl schlechtes Wetter tut? Wäre ich zu Fuß gegangen, so hätte ich jetzt zehn Pfennig mehr in der Tasche. Sogar fünfzehn! Denn der Kondukteur mußte bei dem Schandwetter doch seine kleine Extrafreude haben. Zur Strafe für solche Verschwendung werden Prinzessin Prisca die Gnade haben, sich während dieser ganzen Woche, in der es natürlich Tag für Tag regnen wird, auf höchsteignen Füßen von Schwabing nach München und von München nach Schwabing zu bewegen. Ihrer Hoheit gestrenge Hofdame, das majestätische Glöcklein, wird zwar ob solchen etikettewidrigen Benehmens in ein indigniertes Bimmeln verfallen und sogleich von gemeinbürgerlich nassen Füßen, von der niederträchtigen Influenza, von Tod und Begräbnis läuten, aber‹ – und sie lachte laut auf – ›ich und krank sein, ich sterben, ich begraben werden!‹

      Ihr Lachen tönte so kräftig und sonnenwarm, daß der Regen eigentlich hätte aufhören und der Himmel blau werden müssen.

      Sie stand jetzt drüben, verhältnismäßig im Trockenen, und hob den Kopf mit einem gewissen trotzigen Ruck, als wollte sie dem mit Erkältung und Influenza drohenden Himmel so recht offen ihr lustiges Gesicht zeigen, dem kein Regenwetter etwas anhaben konnte.

      Das war nun gerade kein schönes, nicht einmal ein hübsches Gesicht. Solche Gesichter liefen zu Dutzenden in der Welt herum, und diese kehrte sich nicht daran. Wie viel weniger Zeit dazu hätte der so stark in Anspruch genommene Himmel gehabt!

      Es war nämlich ein Gesicht, dem es selten geschehen mochte, daß irgendein recht harmloser junger Mensch – etwa ein solider Student der Philologie, der glücklich am Ende seines letzten Semesters stand, flüchtig hineinspähte, wenn er ihm auf der Straße etwa begegnete. Aber an einem sehr schönen Tage, im Wonnemonat Mai zum Beispiel, hätte auch dieser Solide für das unscheinbare Mädchengesicht sicher kein Auge gehabt. Dazu mußte schon solch nichtswürdiges Herbstwetter sein! Denn dann schaute das unschöne Gesicht unter der grauen Kapuze, die die Stirn umkrauste, so hell, lebenswarm und hoffnungsfroh in die trübe Welt hinaus, daß bei seinem Anblick der Solide vielleicht zu der praktischen Eingebung inspiriert wurde:

      ›Höre, meine Junge! Das gäbe eine tüchtige Frau für einen Mann von deiner erprobten Solidität. Die würde sich Wind und Wetter gehörig um die Ohren schlagen lassen, sämtliche Lebensstürme inbegriffen, ohne sich sonderlich darum zu kümmern. Die hat der liebe Gott eigens für dich geschaffen, mein Sohn, um deine abgerissenen Hemdknöpfe anzunähen, deine defekten Socken zu stopfen, deine Leibspeisen zu kochen, deine Kinder aufzupäppeln und dich allmählich zu einem guten, alten, brummigen Ehemann in Pantoffeln und Schlafrock heranzuhätscheln. Und das alles wird sie tun unentwegt mit dieser heiteren Stirn, diesen frischen Wangen, diesem unscheinbaren, ehrlichen, guten Gesicht.‹

      Und doch wäre der Solide in seiner löblichen Absicht zugunsten seines lieben Ichs stark erschüttert worden, hätte er die junge Dame heute unter dem Torbogen der Arkaden stehen sehen und zufällig den Blick erhascht, mit dem sie eben jetzt geradeaus in die Luft schaute, mit einem Ausdruck, der, nach der Meinung des Soliden, zu dem praktischen Regenmantel und den verständigen Gummischuhen gar nicht recht passen wollte; mit einem Ausdruck, der etwas von geheimer, heißer Sehnsucht ausplauderte, von einem bedenklichen Hang zum Träumen und Phantasieren, von einer ganz gefährlichen Anlage zu Schwärmerei, Begeisterung, Ekstase. Denn wie um in dem häßlichen Stimmungsbild wenigstens einen Zug von Schönheit zu erhaschen, stand sie und blickte regungslos nach der Feldherrnhalle hinüber.

      Sie dachte nicht daran, daß mit der bloßen sklavischen Nachbildung nichts getan sei, daß jedes Kunstwerk seine eigne göttliche Seele habe, die sich nicht wie eine beliebige Sache von einem Ort zum andern verschleppen läßt, ebensowenig wie der Grund und Boden selbst, auf dem das Werk gewachsen ist, wie die Kultur, die es geboren hat. Sie dachte nicht, daß nur ein nationales Publikum, das notwendig dazu gehört, imstande ist, solches Werk als ein aus ihm heraus geschaffenes zu genießen, sei es auch nur in glückseliger Dumpfheit, lediglich mit dem Instinkt für das Schöne; denn ihre Phantasie schmückte die Münchner Feldherrnhalle mit all dem unentbehrlichen, seelischen Zubehör, das der königliche Bauherr der Kopie nicht hatte geben können. Sie spannte einen tiefblauen Himmel über die grauen Wölbungen, ließ sie von der Sonne des Südens durchleuchten, füllte sie mit blassen Marmorgestalten, um die her ein braunes, wohlgestaltetes Sonnenvölklein sein tosendes Wesen trieb. Das vollbracht, stellte sie den ganzen ehrsamen deutschen Bau mit einem einzigen kühnen Schwung mitten in das Herz von Florenz hinein, gerade gegenüber dem herrlichen Palast der Signorina, gegenüber der engen Gasse, aus deren Tiefe Giottus lichte, schlanke Himmelssäule aufstrebt.

      Natürlich ließ sie sich, als an der Loggia der Lanz drum und dran hängend, die Uffizien nicht entgehen, mit ihrem gesamten Vorrat an Marmor und bunter Leinwand nebst der ehrwürdigen braunen Brücke über den blonden Arno und der endlosen, wunderlichen Galerie zum Palast Pitti hinüber. Hier angelangt, packte die kecke Münchner Maid den ganzen Prachtkoloß mir nichts dir nichts für ihren Hausbedarf in ihr weites Herz ein, ohne auch nur einen einzigen Tizian oder Raffael zurückzulassen. Hierauf usurpierte sie auch noch die Boboligärten und ruhte dann von der ungewohnten Anstrengung wonnevoll in einem düsteren Lorbeergang aus, grüßte nach dem leuchtenden San Miniato hinüber und nickte zum Schluß Michelangelos David zu:

      »Guten Morgen; da bist du ja, Kleiner!«

      Sie hätte sicher noch eine kurze Vergnügungsreise nach Fiesole unternommen, das mit seinen Kirchen und Villen über silberhellen Olivenwaldungen und paradiesischen Landsitzen gar zu verlockend ins Tal hernieder glänzte. Aber da trieb ihr ein tückischer Wind den kräftigsten Regenschauer als abkühlendes Sturzbad ins Gesicht.

      Nicht ohne einen tiefen Seufzer fand sie sich plötzlich von ihrem Phantasieritt ins

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