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Heimweg legen sie schweigend zurück. Jeder hat so viel zu bedenken und zu überlegen, aber keiner ahnt, daß ihre Gedanken umeinander kreisen.

      In der Halle trennen sie sich.

      »Denk an das Abendessen mit Professor Kelly«, erinnert er sie. »Wir nehmen es wieder hier im Speisesaal ein.«

      »Das vergesse ich bestimmt nicht«, antwortet sie lächelnd. Er weiß, dieses Lächeln gilt nicht ihm, sondern ihrem ehemaligen Lehrer, Professor Kelly. –

      Sie treffen sich wieder auf dem Gang. Martens stockt der Atem. Amelie trägt das lila Kleid! Seine Augen leuchten auf.

      »Wunderschön siehst du aus.« Er drückt einen Kuß auf ihre Hand, der Amelie verstört macht. »Endlich trägst du einmal das Kleid.«

      »Ich habe inzwischen erfahren, daß du es doch selbst ausgesucht hast.« Sie verstummt und sieht ihn erschrocken an. Hat er verstanden, was sie sagen wollte?

      »Deshalb hast du es nie getragen?« fragt er, während sie Seite an Seite die Stufen zur Halle hinuntersteigen.

      »Ja – deshalb.« Das klingt trotzig. »Ich – ich mag diese Manila Rietberg nicht. Wäre es mir nicht zu Ohren gekommen, daß es ein zufälliges Zusammentreffen war, ich hätte es nie getragen.«

      »Traust du mir eine solche Geschmacklosigkeit zu?« fragt er eindringlich.

      »Du hast es mir doch selbst gesagt«, erwidert sie ehrlich.

      »Stimmt«, gibt er betroffen zu, »aber da –«

      Er verstummt. Beinahe hätte er sich verraten, hätte sich das Geständnis entlocken lassen, daß er jede Kleinigkeit mit Liebe und Sorgfalt ausgewählt hat.

      Sie müssen das Gespräch abbrechen, denn sie haben den Speisesaal betreten. Sie gehen den teppichbelegten Mittelgang entlang. Amelie sieht im Spiegel sich und Martens. Er ist im Abendanzug, eine hochgewachsene, imponierende Erscheinung. Nach außen beherrscht und kühl, mit dem kühnen, scharfgeschnittenen Gesicht und den leicht ergrauten Schläfen. Sie wirkt zierlich neben ihm, obwohl sie nicht gerade klein ist.

      Die Erregung hat ihr in letzter Zeit so blasses Gesicht rosig gefärbt. Die Augen glänzen. Ihre Hand, die leicht auf Martens’ Arm ruht, zittert.

      Alles findet sie erregend, und sie genießt Martens’ Gegenwart mit dankbarem Herzen.

      Kelly hat bereits an dem für sie reservierten Tisch Platz genommen. Er begrüßt sie herzlich und voll Freude. Amelie tätschelt er die Hand.

      »Wo habe ich nur meine Augen gehabt, Kind?« Er betrachtet Amelie mit Bewunderung. »Warst du immer so schön? Mein Gott, da klopft selbst mir altem Krauter das Herz bei so viel Lieblichkeit.«

      Amelie wird verlegen und wirft einen scheuen Seitenblick auf Martens, der kein Wort dazu sagt.

      »Ich habe bereits ein echt französisches Essen zusammengestellt. Sie werden zufrieden sein.«

      Und sie sind zufrieden. Das Essen ist vorzüglich, der Tischwein auserlesen. Er bringt sie alle in Stimmung. Sogar Martens geht aus sich heraus.

      Amelie staunt, daß beide Herren nicht über Medizin und dergleichen sprechen. Wie auf Verabredung meiden sie alles, was mit ihrem Beruf zusammenhängt. Amelie ist überrascht, was Martens für ein glänzender Gesellschafter sein kann.

      Nach dem Mokka wird Champagner serviert.

      In der Halle wird getanzt. Martens kann der Versuchung nicht widerstehen, Amelie im Arm zu halten. Er fordert sie zum Tanz auf.

      Wortlos, ganz der Musik hingegeben, gleiten sie über das Parkett. Amelie kommt sich wie verzaubert vor. Ist dieser Mann mit den leuchtenden Augen ihr Onkel Matthias? Sie kann es kaum fassen.

      Nicht grübeln, denkt sie, nur die Gegenwart mit allen Sinnen genießen.

      Man hält sie bestimmt nicht für Onkel und Nichte, sondern für ein attraktives Ehepaar.

      Amelie ist alles recht, wenn sie nur in Martens’ Gesellschaft sein kann. Morgen wird er sicher alles vergessen haben, morgen, wenn die erste Tagung beginnt.

      Später gesellen sich noch einige ebenfalls berühmte Ärzte zu ihnen.

      Namen schwirren an Amelis Ohr vorbei, die sie sofort wieder vergißt. Sie ist in Sektlaune, lacht ihr tiefes, warmes Lachen und reißt die anderen mit.

      Man macht Martens Komplimente über Amelie, die sie kaum mitbekommt. Aber Martens hört so etwas ungern. Wenigstens diese paar Tage will er Amelie für sich haben.

      Sehr spät trennen sie sich. Martens nimmt Amelis Arm und begleitet sie bis zu ihrer Zimmertür.

      »Es war wunderschön, Onkel Matthias. Ich danke dir.« Sie strahlt ihn an, und ihm ist, als würde er mitten entzweigerissen. Er liebt sie. Er machte das zauberhafte, lachende Geschöpf in seine Arme schließen.

      Statt dessen steht er steif vor ihr und wünscht ihr eine gute Nacht.

      »Ich werde dich rechtzeitig wecken lassen«, verspricht er.

      Sie lehnt sekundenlang ihren Kopf gegen seine Schulter und murmelt: »Wenn ich dich nicht hätte, Onkel Matthias.«

      Das »Onkel Matthias« fährt ihm in die Glieder. Er schiebt sie von sich, öffnet die Tür und wartet, bis sie verschwunden ist.

      In dieser Nacht findet Martens kaum Schlaf. Immer sieht er Amelie vor sich, die sonst so ernste Amelie, lachend und fröhlich und um keine Antwort verlegen.

      Und er denkt an die vielen Komplimente, die man ihr und ihm als ihrem Onkel gemacht hat. Er ist in einer Stimmung, in der er alles kurz und klein schlagen könnte. Wohin ist die Selbstbeherrschung, die ihm zur zweiten Natur geworden war?

      Ohne sich auszuziehen, wirft er sich aufs Bett und grübelt. Später versinkt er in einen bleiernen Schlaf, aus dem ihn die Glocke des Telefons reißt. Es ist das Mädchen, das ihn wecken soll, wie er angeordnet hatte.

      Im Nu steht er auf den Beinen, geht ins Bad, wirft die Kleider von sich, er, der nichts mehr liebt als Ordnung. Aber jetzt ist ihm schon alles gleichgültig.

      Er badet, rasiert sich und wählt einen dunklen Anzug.

      Im Frühstückszimmer trifft er Amelie. Sie sieht frisch und ausgeruht aus, schön wie ein junger Maientag.

      Gleich darauf erscheint Professor Kelly, gut aufgelegt wie immer. Auch ihm sieht man keinerlei Folgen der durchzechten und durchtanzten Nacht an.

      Wieder ärgert sich Martens, daß Kelly seine Nichte begrüßt, als sei er der Vater.

      Während Amelie und Kelly ausgiebig frühstücken, trinkt Martens nur Mokka.

      »Darf ich dir eine Scheibe Weißbrot zurechtmachen?« wendet sich Amelie an ihren Onkel. Doch der verneint. Er hat einen widerlichen Geschmack im Mund.

      »Bringen Sie mir einen Kognak«, bittet er den Kellner, »aber einen doppelten.«

      »Sofort, Monsieur.« Der Ober eilt davon und kehrt schon bald mit dem Gewünschten zurück.

      Martens stürzt das Getränk mit einem Zug hinunter. »So«, sagt er aufatmend, »jetzt ist mir wohler. Was haben wir heute auf dem Pro­gramm stehen?«

      Professor Kelly rollt das Programm auf und liest vor. Als er geen­det hat, meint er:

      »Wird ein heißer Tag heute. Zum Bummeln kommen wir be­stimmt nicht. Wann halten Sie Ihren Vortrag, Professor?« wen­det er sich an Martens.

      »Übermorgen. Wissen Sie, daß meine Nichte über Kinderläh­mung sprechen wird?«

      »Du, Amelie?« fragt Kelly verwundert, und sie errötet.

      »Ist es sehr vermessen von mir?«

      »Aber nein, Kind.« Kelly sieht sie freundlich lächelnd an. »Wenn einer weiß, was gerade du auf diesem Gebiet geleistet hast, wundert er sich bestimmt nicht darüber.«

      »Danke«,

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