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      »Bist du – bist du nicht zufrieden mit mir?« fragt sie mißtrauisch geworden. Will er sie auf diese Weise los sein?

      »Sehr sogar, Amelie. Aber kaputtmachen sollst du dich nicht. Wenn das so weitergeht, wirst du eines Tages zusammenklappen.«

      »Ich bin doch kein Schwächling«, entfährt es ihr protestierend.

      Er lächelt nachsichtig. Merkwürdig genug nimmt sich dieses vage Lächeln auf seinem düsteren Gesicht aus.

      »Das haben schon ganz andere Menschen behauptet, und dann war es zu spät. Man muß wissen, wo die Grenze liegt. Bei dir scheint sie mir erreicht. Ich wollte dich nur informieren, damit du Bescheid weißt, wenn sich die Kandidaten vorstellen.«

      Kann er Gedanken lesen? Beschämt geht sie. Sie muß das erst verdauen. Er sucht eine Hilfe für sie, weil sie zuviel arbeitet. Daß er das bemerkt hat, wirft sie beinahe um.

      Was wird sie noch für Überraschungen mit ihm erleben?

      Professor Martens läßt sich die sich bewerbenden Ärzte der Reihe nach vorstellen. Sie haben durchweg jahrelange Erfahrungen, gute Zeugnisse und noch bessere Empfehlungen. Aber sie sehen ihm alle viel zu gut aus, viel zu attraktiv.

      Der Gedanke, einen davon neben Amelie zu wissen, erschreckt ihn. Mit ein paar nichtssagenden Worten und der Zusicherung, daß sie Bescheid bekämen, läßt er sie wieder gehen.

      Dann greift er zu dem Schreiben eines Kollegen, den er sehr schätzt und der ihm eine Kinderärztin, zwei Jahre älter als Amelie, warm empfiehlt.

      »Dr. Eleonore Brenner«, liest er und gibt seiner Sekretärin Auftrag, sie zu bestellen.

      Als sie vor ihm steht und er sie kritisch betrachtet, nickt er kaum wahrnehmbar vor sich hin.

      Ja, das ist die Ärztin, die er braucht. Sie ist etwas größer als Amelie. Ihr Haar ist mehr rot als blond, schlicht zurückgekämmt und im Nacken zu einem Knoten verschlungen, was ihr ein besonders herbes Aussehen verleiht.

      Zunächst wirkt sie unbedeutend. Ihr Gesicht hat sogar Sommersprossen, und die Nase ist etwas keck nach oben gebogen. Aber sie hat wunderschöne, warmherzig blickende Grauaugen. Sie beherrschen das ganze, unregelmäßig geschnittene Gesicht.

      Er stellt sie ohne Zögern ein.

      Als er Amelie trifft, teilt er ihr kurz mit, daß er eine Ärztin zu ihrer Entlastung eingestellt habe.

      Ausgerechnet eine Ärztin! denkt sie erbittert, denn sie hat im Laufe der Jahre feststellen müssen, daß der Berufsneid unter Frauen noch weitaus größer ist als unter den Männern. Aber was soll sie tun? Sie muß sich fügen.

      »Ich hoffe, ihr werdet gut zusammenarbeiten.«

      »Jedenfalls werde ich mir alle Mühe geben«, erwidert sie abweisend.

      Sinnend bleibt er zurück. Wenn Amelie Dr. Berthold heiratet, hat er gleich eingearbeiteten Ersatz für sie. Er ist überzeugt, daß Berthold, da er von Haus aus wohlhabend ist, sich selbständig machen und Amelie dann auch gewiß nicht länger im Krankenhaus arbeiten wird.

      Er stöhnt leise vor sich hin. Wie wird er das ertragen, sie nicht mehr zu sehen, sie nicht mehr in seiner Nähe zu wissen?

      Wann endlich wird Amelie sich ihm anvertrauen? Wann wird sie ihn vor die vollendete Tatsache stellen? So wartet er täglich – und wartet vergebens. Dabei steigt seine Nervosität bis zur Grenze des Erträglichen.

      Indessen trifft eine Einladung zu einem Ärztekongreß in Paris ein, der, beginnend Anfang Dezember, einige Tage dauern soll.

      Aufmerksam studiert er das Programm und geht dann überlegend im Zimmer auf und ab, immer hin und her, unruhig, unschlüssig.

      Wenn er nun Amelie mitnimmt? Bis dahin wird sich die neue Ärztin eingearbeitet haben. Es ist ja auch noch Dr. Lenz da, der ihn vertreten kann.

      Auf diese Weise hätte er Amelie einige Tage für sich. Es soll so etwas wie ein Abschied von ihr sein. Zudem wird über das Thema Kinderlähmung diskutiert. Das ist ein Gebiet, auf dem Amelie einige Erfahrungen hat. Es wird sie bestimmt interessieren.

      Er könnte seine wahre Absicht hinter dieser Begründung verbergen.

      Als er sich durchgerungen hat, läßt er Amelie kommen.

      »Hättest du Lust, mich zum Ärztekongreß nach Paris zu begleiten?«

      Sie starrt ihn betroffen aus geweiteten Augen an. Er hat an sie gedacht, nicht an einen der anderen Ärzte! Und als er ihre Sprachlosigkeit bemerkt, setzt er schnell hinzu: »Es wird über das Thema Kinderlähmung gesprochen werden, über neue Behandlungsmethoden. Würde dich das nicht interessieren?«

      Die Freude schlägt Amelie wie eine Lohe ins Gesicht.

      »Sehr gern, Onkel Matthias.« Sie ist ganz verwirrt, und in ihre schönen Augen tritt ein Leuchten, das er lange nicht mehr in ihnen bemerkt hat.

      »Dann halte dich bereit, Amelie«, sagt er, sich zur Ruhe zwingend.

      »Gut, Onkel Matthias, ich halte mich bereit.«

      Er hält sie noch einmal zurück.

      »Wie findest du unsere neue Ärztin? Kommst du mit ihr aus?« erkundigt er sich in selten weichem Ton, der Amelie aus der Verwunderung nicht herauskommen läßt.

      »Sehr gut, Onkel Matthias. Sie ist tüchtig, und eine gute Kollegin. Du hast einen guten Griff mit ihr getan.«

      Er nickt. »Das freut mich.«

      Jetzt geht sie endgültig. Ihr Herz klopft freudig erregt. Wie lange ist es her, daß er so zu ihr gesprochen hat? Fast väterlich hat er sich benommen.

      Dabei hat sie wieder einmal Gelegenheit gehabt, festzustellen, daß er übermüdet und abgearbeitet aussieht. Die Entspannung wird ihm guttun.

      *

      Dr. Eleonore Brenner hat sich sehr schnell eingelebt. Mit Amelie arbeitet sie gern zusammen. Manchmal bewundert sie die junge schöne Ärztin, die sich so gar nichts auf ihre Schönheit und auch nichts auf ihr Können einbildet. Richtig lieb könnte man sie haben, denkt Dr. Brenner oft.

      Nur einer der Ärzte verursacht ihr Alpdruck, der blonde Apoll Dr. Berthold. Mitunter spürt sie seinen spöttischen Blick auf sich ruhen. Dann wird ihre Haltung steif. Sie ist wütend auf ihn. Sie weiß längst, daß er der Liebling im Krankenhaus ist, nicht nur bei den Patienten, auch bei den übrigen Ärzten. Sie ist nicht gewillt, sich in die Reihe seiner Bewunderer einzufügen. Er ist ihr zu auffallend hübsch, männlich hübsch. Und sie ist überzeugt, daß er an ihrem Äußeren etwas auszusetzen hat.

      Unsinn, weist sie sich selbst zurecht. Sie ist hier, um ihre Pflicht zu tun, nicht, um sich über diesen spitzbübisch lachenden Doktor den Kopf zu zerbrechen.

      Sie sucht sich alles zusammen und eilt mit dem Tablett davon. Sie hat es eigentlich immer eilig, sie kann einfach nicht langsam gehen.

      Kaum hat sie die Ecke des Flures erreicht, kommt jemand auf sie zugeschossen. Es ist Dr. Berthold. Der Zusammenstoß ist unvermeidlich.

      Das Tablett entfällt ihren Händen, und dann hört sie Berthold sagen:

      »Träumen Sie am hellichten Tag, Frau Brenner?«

      »Dasselbe könnte ich Sie fragen.« Sie bücken sich gleichzeitig und stoßen mit den Köpfen zusammen. Dabei fällt Eleonores Brille zu Boden. Ein Glas ist zerbrochen.

      »Sie haben einen mächtig harten Kopf.« Berthold kniet noch am Boden und reibt sich die Stirn.

      »Ihrer ist auch nicht gerade aus Watte.«

      Er hebt zuerst die Brille auf, blickt hindurch und reicht sie ihr, die sie ihm wütend entreißt.

      »Dacht’ ich mir’s doch, Fensterglas«, stellt er lakonisch fest. »Brauchen Sie diese – diese Tarnung?«

      »Was geht es Sie an, was ich mir auf die Nase setze«, faucht sie ihn wütend an. Aus ihren

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