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Maße die Lich­ter er­set­zen soll­ten, die noch nicht ein­ge­führt wa­ren. Der röt­li­che Feu­er­schein, der ge­stat­te­te Lärm, die Kon­fu­si­on vie­ler Stim­men rief ein woh­li­ges Ge­fühl von Frei­heit her­vor.

      Am Abend des Ta­ges, an dem ich ge­se­hen hat­te, wie Miss Scat­cherd ihre Schü­le­rin Burns mit der Rute ge­züch­tigt hat­te, ging ich wie ge­wöhn­lich ohne Ge­fähr­tin zwi­schen Ti­schen und Bän­ken und la­chen­den Grup­pen um­her, ich fühl­te mich in­des­sen nicht ein­sam. Wenn ich an den Fens­tern vor­über­ging, hob ich dann und wann einen Vor­hang in die Höhe und blick­te hin­aus. Der Schnee fiel in dich­ten Flo­cken, vor den un­te­ren Fens­ter­schei­ben lag be­reits eine hohe Schicht; wenn ich mein Ohr dicht an das Fens­ter leg­te, konn­te ich durch den fröh­li­chen Tu­mult im Zim­mer das trau­ri­ge Sau­sen und To­ben des Win­des drau­ßen un­ter­schei­den.

      Wenn ich ein glück­li­ches Heim und gü­ti­ge El­tern ver­las­sen hät­te, so wäre dies wahr­schein­lich die Stun­de ge­we­sen, in der ich die Tren­nung am bit­ters­ten und schmerz­lichs­ten emp­fun­den hät­te. Die­ser drau­ßen to­ben­de Sturm wür­de mir das Herz schwer ge­macht ha­ben, die­ses düs­te­re Cha­os wür­de mei­nen Frie­den ge­stört ha­ben – wie die Din­ge aber la­gen, rief das Ge­tö­se eine selt­sa­me Er­re­gung in mir wach. Ich wur­de un­ru­hig und fie­ber­haft, ich wünsch­te, dass der Wind lau­ter heu­len, die Däm­me­rung zur Dun­kel­heit wer­den und der Lärm in To­ben aus­ar­ten möch­te.

      Über Bän­ke fort­sprin­gend und un­ter Ti­schen wei­ter­krie­chend bahn­te ich mir einen Weg zu ei­nem der Ka­mi­ne. Dort fand ich auf dem ho­hen Fen­der kni­end Burns, wel­che bei dem mat­ten Schein der glü­hen­den Asche über der Ge­sell­schaft ih­res Bu­ches al­les ver­ges­sen hat­te, was um sie her vor­ging.

      »Ist es noch im­mer Ras­se­las?« frag­te ich hin­ter ihr ste­hend.

      »Ja«, sag­te sie, »ich bin ge­ra­de da­mit zu Ende.«

      Nach wei­te­ren fünf Mi­nu­ten schlug sie das Buch zu. Ich war froh dar­über.

      »Jetzt«, dach­te ich, »kann ich sie viel­leicht zum Spre­chen brin­gen.« Ich setz­te mich ne­ben sie auf den Fuß­bo­den.

      »Wel­chen Na­men hast du noch au­ßer Burns?«

      »He­len.«

      »Bist du von weit her­ge­kom­men?«

      »Ich kom­me von Nor­den her, von der schot­ti­schen Gren­ze.«

      »Wirst du je­mals wie­der nach Hau­se ge­hen?«

      »Ich hof­fe es, aber nie­mand kann in die Zu­kunft se­hen.«

      »Wün­schest du nicht sehr, Lo­wood zu ver­las­sen?«

      »Nein, wes­halb soll­te ich das wün­schen? Ich bin nach Lo­wood ge­schickt wor­den, um eine gute Er­zie­hung zu be­kom­men, und was wür­de es nüt­zen, fort­zu­ge­hen, wenn die­ser Zweck nicht er­reicht ist.«

      »Aber jene Leh­re­rin, Miss Scat­cherd ist doch so grau­sam ge­gen dich?«

      »Grau­sam? Durchaus nicht! Sie ist stren­ge. Sie hat einen großen Wi­der­wil­len ge­gen mei­ne Feh­ler.«

      »Und wenn ich an dei­ner Stel­le wäre, wür­de ich sie has­sen, ich wür­de mich ge­gen sie auf­leh­nen; wenn sie mich mit je­ner Rute schlü­ge, wür­de ich sie ihr aus der Hand rei­ßen, vor ih­rer Nase wür­de ich das Ding zer­bre­chen.«

      »Wahr­schein­lich wür­dest du nichts von al­le­dem tun, aber wenn du es tä­test, so wür­de Mr. Brock­le­hurst dich mit Schimpf und Schan­de aus der Schu­le ja­gen. Und das wäre doch ein großer Kum­mer für dei­ne An­ge­hö­ri­gen. Es ist viel bes­ser, einen Schmerz mit Ge­duld zu er­tra­gen, den nie­mand fühlt, als du selbst, denn eine un­über­leg­te Tat zu be­ge­hen, de­ren böse Fol­gen alle tref­fen, die dir ver­wandt sind – und über­dies ge­bie­tet die Bi­bel uns, Bö­ses mit Gu­tem zu ver­gel­ten.«

      »Aber es ist doch ent­eh­rend, mit Ru­ten ge­peitscht zu wer­den und in der Mit­te ei­nes Zim­mers ste­hen zu müs­sen, das vol­ler Men­schen ist, und du bist schon ein so großes Mäd­chen; ich bin viel jün­ger als du und ich könn­te es nicht ein­mal er­tra­gen.«

      »Und doch wäre es dei­ne Pf­licht, es zu er­tra­gen, wenn du es nicht ver­mei­den könn­test. Es ist schwach und al­bern zu sa­gen, dass du nicht er­tra­gen kannst, was das Schick­sal dir auf­er­legt.«

      Stau­nend hör­te ich ihr zu. Ich konn­te die­se Leh­re der Duld­sam­keit nicht be­grei­fen; und noch we­ni­ger konn­te ich die Ver­söhn­lich­keit, mit wel­cher sie von ih­rer Quä­le­rin sprach, ver­ste­hen, noch mit der­sel­ben sym­pa­thi­sie­ren. Doch fühl­te ich, dass He­len Burns alle Din­ge in ei­nem Lich­te sah, das mei­nen Au­gen nicht sicht­bar war. Ich ver­mu­te­te, dass sie recht hat­te und ich Un­recht; aber ich woll­te nicht tiefer über die Sa­che nach­den­ken – wie Fe­lix schob ich es für eine pas­sen­de­re Ge­le­gen­heit auf.

      »Du sagst, dass du Feh­ler hast, He­len, nen­ne sie mir doch. Mir er­scheinst du so gut.«

      »Dann ler­ne von mir, dass man nicht nach dem Schein ur­tei­len darf. Ich bin, wie Miss Scat­cherd sagt, sehr un­or­dent­lich; sel­ten nur ma­che ich Ord­nung zwi­schen mei­nen Sa­chen und nie­mals er­hal­te ich die­se Ord­nung; ich bin un­acht­sam; ich ver­ges­se die Vor­schrif­ten; ich lese, wenn ich mei­ne Auf­ga­ben ma­chen soll­te; ich habe kei­ne Metho­de und zu­wei­len sage ich wie du, ich kann es nicht er­tra­gen, mich sys­te­ma­ti­schen Ein­rich­tun­gen zu un­ter­wer­fen. Al­les dies ist sehr är­ger­lich für Miss Scat­cherd, wel­che von Na­tur sau­ber und rein­lich und pünkt­lich ist.«

      »Und böse und grau­sam«, füg­te ich hin­zu, aber He­len Burns woll­te die­sen Zu­satz nicht gel­ten las­sen, sie schwieg.

      »Ist Miss Tem­ple eben­so streng ge­gen dich, wie Miss Scat­cherd?« frag­te ich wie­der.

      Bei der Nen­nung von Miss Temp­les Name flog ein sanf­tes Lä­cheln über ihr sonst so erns­tes Ge­sicht.

      »Miss Tem­ple ist vol­ler Güte; es be­rei­tet ihr Schmerz, ge­gen ir­gend­je­man­den stren­ge sein zu müs­sen, selbst ge­gen die schlech­tes­te Schü­le­rin der gan­zen Schu­le. Sie sieht mei­ne Feh­ler und be­lehrt mich mit Sanft­mut über die­sel­ben; wenn ich aber ir­gend et­was lo­bens­wer­tes tue, so ist sie sehr frei­ge­big mit ih­ren Lo­bes­er­he­bun­gen. Ein star­ker Be­weis für mei­ne un­glück­se­lig elen­de, feh­ler­haf­te, schwa­che Na­tur ist es, dass so­gar ihre Vor­stel­lun­gen, so mil­de, so ver­nünf­tig, nicht ge­nug Ein­fluss ha­ben, um mich von mei­nen Feh­lern zu ku­rie­ren. Und so­gar ihr Lob, ob­gleich ich es so hoch schät­ze, kann mich nicht zu an­dau­ern­der Sorg­sam­keit und Über­le­gung an­spor­nen.«

      »Das ist selt­sam«, sag­te ich, »es ist doch so leicht, sorg­sam zu sein.«

      »Für dich ist es das ohne Zwei­fel. Ich habe dich heu­te Mor­gen in dei­ner Klas­se be­ob­ach­tet und sah, wie un­ver­wandt auf­merk­sam du warst. Dei­ne Ge­dan­ken schie­nen nie­mals ab­zu­schwei­fen, wäh­rend Miss Mil­ler die Lek­ti­on er­klär­te und dich be­frag­te. Und die mei­nen wan­dern fort­wäh­rend; wenn ich Miss Scat­cherd zu­hö­ren und mit Sorg­falt al­les in mich auf­neh­men soll­te, was sie sagt, höre ich oft so­gar den Laut ih­rer Stim­me nicht mehr; ich ver­sin­ke in eine Art von Traum. Manch­mal glau­be ich, dass ich in Nor­thum­ber­land bin und dass der Lärm, den ich um mich

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