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Er­klä­rung ha­ben muss­ten, und war au­ßer stan­de, ih­ren gan­zen In­halt zu er­fas­sen. Noch dach­te ich über die Be­deu­tung des Wor­tes »In­sti­tut« nach und be­müh­te mich, einen Zu­sam­men­hang zwi­schen den ers­ten Wor­ten und dem Bi­bel­vers zu fin­den, als ein hoh­ler Hus­ten hin­ter mir mich ver­an­lass­te, den Kopf zu wen­den.

      Ich sah ein Mäd­chen auf ei­ner na­hen Stein­bank sit­zen, sie war über ein Buch ge­beugt, des­sen In­halt sie voll­stän­dig zu fes­seln schi­en. Von der Stel­le aus, wo ich stand, konn­te ich den Ti­tel le­sen – es war »Ras­se­las«, ein Name, der mich selt­sam dünk­te und mich in­fol­ge­des­sen fes­sel­te. Als sie ein Blatt um­wand­te, blick­te sie zu­fäl­lig auf, und so­gleich sag­te ich:

      »Ist dein Buch in­ter­essant?« Ich hat­te be­reits den Ent­schluss ge­fasst, sie ei­nes Ta­ges zu bit­ten, dass sie es mir lei­hen möge.

      »Mir ge­fällt es«, sag­te sie nach ei­ner Pau­se von ei­ni­gen Se­kun­den, wäh­rend wel­cher sie mich an­ge­blickt.

      »Wo­von han­delt es denn?« fuhr ich fort. Noch weiß ich kaum, wo­her ich den Mut nahm, in die­ser Wei­se eine Kon­ver­sa­ti­on mit ei­ner gänz­lich Un­be­kann­ten an­zu­fan­gen, – es war so gänz­lich mei­ner sons­ti­gen Ge­wohn­heit und mei­ner Na­tur ent­ge­gen, aber ich glau­be, dass ihre Be­schäf­ti­gung ir­gend eine sym­pa­thi­sche Sei­te in mir be­rührt hat­te, denn auch ich lieb­te die Lek­tü­re, ob­gleich die mei­ne stets kin­disch und nichts­sa­gend ge­we­sen war; die schwe­re und erns­te konn­te ich we­der ver­ste­hen noch ver­dau­en.

      »Du darfst es dir an­se­hen«, sag­te das Mäd­chen und gab mir das Buch.

      Das tat ich. Eine kur­ze Be­sich­ti­gung über­zeug­te mich, dass der In­halt weit we­ni­ger fes­selnd war als der Ti­tel. »Ras­se­las« schi­en mei­nem seich­ten Ge­schmack höchst lang­wei­lig; ich fand nichts von Feen, von Ge­ni­en, die eng ge­druck­ten Sei­ten schie­nen kei­ne fröh­li­che Ab­wech­se­lung zu bie­ten. Ich gab ihr das Buch zu­rück. Sie nahm es ru­hig und ohne ein wei­te­res Wort zu spre­chen war sie im Be­griff, sich ganz ih­rer frü­he­ren Be­schäf­ti­gung wie­der hin­zu­ge­ben, als ich noch ein­mal wag­te, sie zu stö­ren:

      »Kannst du mir sa­gen, was die In­schrift dort auf dem Stein über der Tür be­deu­tet? Was ist ›In­sti­tut von Lo­wood?‹«

      »Es ist das Haus, in wel­chem du hier lebst.«

      »Und wes­halb nen­nen sie es In­sti­tut? Ist es denn in ir­gend ei­ner Wei­se von an­de­ren Schu­len ver­schie­den?«

      »Es ist zum Teil eine Mild­tä­tig­keits-Schu­le. Du und ich und alle üb­ri­gen sind Mild­tä­tig­keits-Zög­lin­ge. Ich ver­mu­te, dass du eine Wai­se bist; ist nicht dein Va­ter oder dei­ne Mut­ter tot?«

      »Sie sind bei­de tot, schon lan­ge, ich habe gar kei­ne Erin­ne­rung mehr an sie.«

      »Nun, all die Mäd­chen hier ha­ben ent­we­der Va­ter oder Mut­ter oder bei­de El­tern ver­lo­ren, und man nennt dies ein In­sti­tut für die Er­zie­hung von Wai­sen.«

      »Be­zah­len wir denn kein Schul­geld? Wer­den wir hier um­sonst er­hal­ten?«

      »Wir oder un­se­re Ver­wand­ten be­zah­len fünf­zehn Pfund Ster­ling jähr­lich.«

      »Wes­halb nennt man uns denn Mild­tä­tig­keits-Kin­der?«

      »Weil fünf­zehn Pfund nicht hin­rei­chend sind für Kost und Schu­le – und das Feh­len­de wird durch Sub­skrip­tio­nen auf­ge­bracht.«

      »Wer sub­skri­biert denn?«

      »Ver­schie­de­ne barm­her­zi­ge Da­men und Her­ren in die­ser Ge­gend und in Lon­don.«

      »Wer war Nao­mi Brock­le­hurst?«

      »Die Dame, wel­che den neu­en Teil die­ses Hau­ses ge­baut hat, wie die In­schrift be­sagt, und de­ren Sohn hier al­les über­wacht und an­ord­net.«

      »Wes­halb tut er das?«

      »Weil er der Schatz­meis­ter und Ver­wal­ter des gan­zen In­sti­tuts ist.«

      »Dann ge­hört die­ses Haus also nicht der großen, schlan­ken Dame, wel­che eine Uhr trägt, und die sag­te, dass wir Brot und Käse be­kom­men soll­ten?«

      »Miss Tem­ple? O nein! Ich woll­te, es ge­hör­te ihr! Sie ist Mr. Brock­le­hurst für al­les, was sie tut, ver­ant­wort­lich. Mr. Brock­le­hurst kauft alle Nah­rungs­mit­tel und alle Klei­der für uns.«

      »Wohnt er hier?«

      »Nein – zwei Mei­len von hier, in ei­nem großen, präch­ti­gen Her­ren­hau­se.«

      »Ist er ein gu­ter Mann?«

      »Er ist ein Geist­li­cher, und man sagt, dass er sehr viel Gu­tes tut.«

      »Sag­test du, dass die schlan­ke Dame Miss Tem­ple heißt?«

      »Ja.«

      »Und wie hei­ßen die an­de­ren Leh­re­rin­nen?«

      »Die eine mit den ro­ten Wan­gen heißt Miss Smith, sie muss auf die Hand­ar­bei­ten ach­ten und schnei­det zu – denn wir nä­hen un­se­re ei­ge­ne Wä­sche, un­se­re Klei­der und un­se­re Män­tel – kurz­um al­les; die klei­ne mit dem schwar­zen Haar heißt Miss Scat­cherd, sie lehrt Ge­schich­te und Gram­ma­tik und über­hört die Re­pe­ti­tio­nen der zwei­ten Klas­se; die drit­te, die ein Tuch trägt und das Ta­schen­tuch mit ei­nem gel­ben Ban­de an der Sei­te fest­ge­bun­den hat, ist Ma­da­me Pier­rot, sie kommt aus Lis­le in Frank­reich und lehrt Fran­zö­sisch.«

      »Liebst du die Leh­re­rin­nen?«

      »O ja, so ziem­lich.«

      »Liebst du auch die klei­ne Schwar­ze und die Ma­da­me …? Ich kann ih­ren Na­men nicht so gut aus­spre­chen wie du.«

      »Miss Scat­cherd ist hef­tig – du musst dich hü­ten, sie är­ger­lich zu ma­chen. Ma­da­me Pier­rot ist ge­ra­de kei­ne böse Per­son.«

      »Aber Miss Tem­ple ist die bes­te – nicht wahr?«

      »Miss Tem­ple ist sehr klug und sehr gut; sie steht über all den an­de­ren, weil sie viel mehr weiß, als sie.«

      »Bist du schon lan­ge hier?«

      »Zwei Jah­re.«

      »Bist du eine Wai­se?«

      »Mei­ne Mut­ter ist tot.«

      »Fühlst du dich hier glück­lich?«

      »Du tust ei­gent­lich zu vie­le Fra­gen. Für jetzt habe ich dir ge­nug geant­wor­tet. Jetzt will ich le­sen.«

      In die­sem Au­gen­blick er­klang die Glo­cke, die uns zum Mit­ta­ges­sen rief. Alle kehr­ten zu­rück in das Haus. Der Ge­ruch, wel­cher jetzt das Re­fek­to­ri­um füll­te, war kaum ap­pe­tit­li­cher als je­ner, wel­cher un­se­re Na­sen beim Früh­stück re­ga­liert hat­te. Das Mit­ta­ges­sen wur­de in zwei un­end­lich großen Zinn­schüs­seln ser­viert, aus de­nen ein schar­fer Dampf auf­stieg, der stark an ran­zi­ges Fett er­in­ner­te. Ich fand, dass die­ses Ge­meng­sel aus be­deu­tungs­lo­sen Kar­tof­feln und selt­sa­men Fet­zen röt­li­chen Flei­sches be­stand, die un­ter­ein­an­der ge­rührt und zu­sam­men ge­kocht wa­ren. Von die­ser köst­li­chen Spei­se wur­de je­der Schü­le­rin eine ziem­lich große Por­ti­on vor­ge­setzt. Ich aß so viel ich konn­te und frag­te

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