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Im Dunkeln lauert die Angst. Eva Breunig
Читать онлайн.Название Im Dunkeln lauert die Angst
Год выпуска 0
isbn 9783775171946
Автор произведения Eva Breunig
Издательство Bookwire
»Aaah!«, »Iiih!«, kreischten die Kinder erschrocken. »Ein Wolf!«
»Los, los, weitersingen!« Einer der Jungen wedelte auffordernd mit den Händen. »Nicht aufhören! Wölfe fürchten sich vor Gesang!«
»Wi-wir wandern … lala-laala!«, sang ein Mädchen tapfer mit dünner Stimme, obwohl ihr offenbar gerade der Text abhanden gekommen war. Gemäß seinen Anweisungen, als Wolf den Gesang zu scheuen, ging Kieran auf Abstand. Drohend, zum Sprung bereit, tänzelte er auf und ab.
»Wo wollt ihr hin?«, knurrte er. Seine Stimme klang gedämpft und ein wenig undeutlich. Das erhöhte den Unheimlichkeitsfaktor. Natürlich wussten die Kinder, dass sich da einer ihrer Pfadfinderleiter hinter der Maske versteckte. Kieran wiederum wusste, dass sie das mulmige Gefühl in der Magengrube und das wohlige Gruseln genossen und deswegen so taten, als hielten sie ihn wirklich für einen Wolf. Alle Kinder liebten es, erschreckt zu werden (na ja, fast alle) – das gehörte einfach dazu! Ein nächtliches Stadtgeländespiel musste unheimlich sein; schließlich waren sie Pfadfinder und keine Weicheier!
»Einer aus eurem Volk braucht Hilfe!«, rief Emil. Diesen Satz hatte die »weise alte Zigeunerin«, die sie bei ihrer letzten Station getroffen hatten, ihnen eingeschärft.
»Groarr!«, brüllte Kieran und sprang auf Emil los.
»Alle meine Entlein schwimmen auf dem See!«, sang Milli hastig los, und der Wolf wich brav zurück.
»Wir Wölfe zerrrfleischen euch Menschen«, knurrte er. »Warrrum wollt ihr einem von uns helfen?«
»Er liebt eine Tigerfrau!«, quiekte Sandra und duckte sich vorsichtshalber hinter David.
»AAAHRR!«, brüllte der Wolf.
»Schwimmen auf dem See!«, sang Milli hastig. »Köpfchen unter Wasser, Schwänzchen in die Höh!«
Kieran ließ davon ab, Sandra zu fressen, und knurrte: »Ihr meint Grrraunase, den Verrräter! Er gehört nicht mehr zu unserer Wolfsfamilie!«
»Warum?«
»Es ist falsch, eine Tigerin zu lieben!«, grollte er so bedrohlich und gruselig, wie er nur konnte. »Tiger sind nicht wie wir! Sie sind eingebildet, überheblich und halten sich für vornehm!« Jetzt kam ein wichtiger Teil seiner Rolle, den durfte er ausschmücken. »Tiger sind einfach anders! Goldgelb und gestreift – wie die schon aussehen! Und immer edle Kleidung! Halten sich wohl für was Besseres, die feinen Herrschaften! Zum Schlafen brauchen sie ein weiches Bettchen, am besten noch mit Gold beschlagen und mit Seide ausgepolstert! Ein Platz im Wald reicht ihnen nicht, ha!«
Kieran holte tief Luft. Die Augenlöcher der dämlichen Maske verrutschten ständig, sodass er die Kinder nicht richtig sehen konnte. Ob sein Vortrag wohl ankam? Ob die Kinder die Botschaft begriffen? In diesem Spiel ging es um Wölfe und Tiger, die – wie bekanntlich alle Hunde und Katzen – einander nicht ausstehen konnten. Das passte gut zum Fasching und eignete sich für ein Nachtgeländespiel sowieso hervorragend, weil es verrückt und ein bisschen gruselig war. Aber in Wirklichkeit sollten die Kinder vor Augen geführt bekommen, wie unsinnig es war, andere Völker nur deswegen abzulehnen und auszugrenzen, weil sie »anders« waren.
»Auf uns gewöhnliche Leute schauen diese eingebildeten, arroganten Katzen nur verächtlich herab«, fuhr Kieran aufgebracht fort. »So ein ganz normaler Wolf wie du und ich ist ihnen nicht gut genug! Sie sagen, wir würden stinken – ha! Dabei sind sie es doch, die nach parfümierter Katze riechen, dass einem schlecht werden kann! Warum sind sie nicht in Afrika geblieben, wo sie hingehören?! Wir brauchen sie hier nicht!«
»Das sieht dein Freund Graunase aber anders«, wandte Lukas ein.
»Graunase ist ein Verräter!«, tobte Kieran so bedrohlich, dass Milli und Sandra schnell wieder zu singen begannen. »Man verliebt sich nicht in solchen Tiger-Abschaum! Wir Wölfe haben Tiger schon immer verachtet, und das wird auch immer so bleiben!« Das ultimative Totschlagargument der Intoleranz: Das war schon immer so!
»Wenn ich ihn und seine ekelhafte Tigerfreundin in die Finger kriege …!« Kieran beendete den Satz nicht, aber die würgende Geste seiner Krallenhände ließ keinen Zweifel daran, was er dann tun würde.
»Die beiden wünschen sich doch nur, dass Frieden zwischen euren Völkern herrscht!«, murmelte Antonia.
»Wünschen ist gratis!«, schnappte Kieran. »Darauf können sie lange warten!« Jetzt musste er noch »versehentlich« ein Geheimnis ausplaudern, das war wichtig für den weiteren Verlauf des Spiels. Also hieß es, dem Gespräch eine Wendung zu geben. »Mischt euch nicht in Sachen ein, die euch nichts angehen! Und hört bloß mit dem Gesinge auf, da wird einem ja ganz schlecht!« Er hielt sich die spitzen Ohren an der Maske zu. »Hoffentlich kommt ihr nicht auch noch auf die Idee, ›Should old acquaintance be forgot‹ zu singen! Davon werden wir weichherzigen Wölfe nämlich ganz rührselig! Dann könnten wir womöglich sogar vergessen, dass wir die abscheulichen Katzenviecher hassen und verachten – und das darf nie geschehen! Ist das klar?!« Er machte einen bedrohlichen Satz auf die Kinder zu, die kreischend zurückwichen.
»Ganz klar! Wiedersehen, Herr Wolf!«, grüßte Emil artig und winkte seinen Gefährten zum Aufbruch. Offensichtlich hatten die Kinder begriffen, dass das die Information war, die sie für das weitere Spiel brauchten. Sie stoben davon. In sicherer Entfernung stimmten sie das englische »Old-acquaintance«-Lied an.
Kieran lächelte unter seiner Maske. Er hatte kein Problem damit, sich als Gruselwolf zu verkleiden und Kindern einen Schrecken einzujagen. So konnten die Kids ihre Abenteuerlust ausleben, ohne wirklich in Gefahr zu sein. Und weil sie dabei auch gleich noch etwas über Kameradschaft, Toleranz und Nächstenliebe lernten, konnte er das gut mit seinem christlichen Gewissen vereinbaren. Es gab langweiligere Arten, Werte zu vermitteln, fand er. Und schlechtere Möglichkeiten, den Faschingsdienstag zu verbringen! Miriam und Daria, die sich dieses Geländespiel ausgedacht hatten, hatten wirklich immer wieder coole Ideen!
2
Zwei Straßen weiter saß Max Lenauer, genannt Leni, in einem barocken Lehnstuhl mitten auf dem Gehsteig. Das trug ihm erstaunte Blicke der Passanten ein, denn auch wenn am heutigen Tag manch seltsam verkleidete Gestalt umherzog, so hatte doch kein anderer seine Möbel dabei! Fröstelnd zog Leni seinen roten Umhang fester um die Schultern. Die Wölfe hatten es gut, die durften dicke Mäntel tragen! Der Gehrock aus rotem, golddurchwirktem Brokat und die weiße Rüschenbluse wärmten nicht wirklich, obwohl er ein T-Shirt darunter trug. Vervollständigt wurde sein Outfit durch eine Kniebundhose, weiße Strümpfe und Schuhe mit goldenen Spangen, die er in der Verkleidungskiste des Pfadfinderheimes gefunden hatte. Lenis strohblonde Haare waren zu zwei spitzen Ohren hochgebürstet und mit schwarzen Streifen aus Faschingshaarspray durchsetzt. Gelb-schwarz geschminkte Streifen im Gesicht und lange, aufgeklebte Schnurrbarthaare machten vollends klar, dass es sich hier um Graf Schnurro von Fangzahn, das Oberhaupt der Tigersippe, handelte.
Die Kinder wagten sich erst näher, als jeder ein Büschel Katzenminze in der ausgestreckten Hand vor sich hertrug. Leni drückte sich ins entfernteste Eck seines Thronsessels und hob ihnen abwehrend die Handflächen entgegen.
»Was wollt ihr denn mit dem Gemüse?«, fragte er herablassend in näselndem Tonfall. »Keine Sorge, ich fresse euch schon nicht! Ich hatte gerade eine kleine Antilope zum Abendessen. Ich bin satt!« Wie um sich selbst Lügen zu strafen, leckte er sich die Lippen und ließ dabei ein Paar spitze Reißzähne sehen. Die Kinder quiekten. Leni setzte noch ein blutrünstiges Grinsen drauf. »Und was wollt ihr?«, fuhr er fort. »Wartet – lasst mich raten: Cousine Samtpfote hat mal wieder einen Elefanten mit zu hohen Cholesterinwerten gebissen, und jetzt ist ihr übel? Muahaha!« Das hinterhältige Gelächter hatte er zu Hause vor dem Spiegel