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Geschichte des Grafen Hugo von Craenhove. Hendrik Conscience
Читать онлайн.Название Geschichte des Grafen Hugo von Craenhove
Год выпуска 0
isbn
Автор произведения Hendrik Conscience
Жанр Зарубежная классика
Издательство Public Domain
»Eines Tages, ich werde es nie vergessen, saßen wir wieder bei dem Wahrsager; er hatte ein neues Buch auf seinen Knieen liegen, da wir am vergangenen Abend Flos und Blaneflos zu Ende gelesen. Aleidis sah ihn begierig an und schien vor Neugierde jedes Wort ihm aus dem Munde nehmen zu wollen. Plötzlich gab der Wahrsager seinem Gesichte eine unbegreifliche Süßigkeit, seine Augen strahlten mit mehr Feuer, seine Stimme wurde weich. «Er wandte sich an Aleidis und las folgende Worte: – ich lernte sie beim ersten Vorlesen auswendig, so ergriffen sie mich:
Schöne Jungfrau hold und rein,
Alle Tugenden sind Dein;
Edel und von feiner Art,
Artig, keusch und sanft und zart,
Wie soll ich die Worte finden,
Deine Ehre zu verkünden,
Deiner Schönheit Zauberkraft,
Kluge Sprach’ und Wissenschaft —
Niemand kann sich mit Dir messen:
Gott hat nichts an Dir vergessen.
»Ich sah während des Lesens dieser Worte die innigste Freude sich auf Aleidis Antlitz spiegeln aber je mehr diese schmeichelnden Worte sie ergriffen, desto mehr quälten mich Schmerz und Neid. Thränen stoßen reichlich über meine Wangen, bis der Wahrsagen aufstand und ging.
»Ohne Aleidis etwas von meinem Vorsatze zu sagen, folgte ich ihm auf dem Fuße bis vor die Thüre seines Zimmers. Da warf ich mich weinend auf die Kniee vor ihm nieder und rief mit schmerzlich bewegter Stimme:
»O Abulfaragus gieb mir ein Buch um Gottes willen. Lehre mich lesen, wenn Du mich nicht zu Deinen Füßen verschmachten sehen willst. Ich will Dich verehren, Dir gehorchen, als Dein Knecht. O habe Mitleiden mit mir. Siehst Du nicht, daß die Wißbegierde mich verzehrt?«
»Dieß sagend umschlang ich seine Kniee und benetzte seine Hände mit meinen Thränen. Er ließ mich gewähren, ohne zu antworten, und schien sich an meiner Betrübniß zu weiden. Ich wiederholte mit mehr Kraft und mit bittender Stimme meinen Wunsch; aber er, der böse Peiniger, er steckte den Schlüssel in die Thüre, öffnete dieselbe und mich mitleidslos mit dem Fuße wegstoßend, trat er in das Zimmer, schloß es zu und antwortete von drinnen mit einem spöttischen Ha, ha, ha!
»Gebrochenen Herzens und niedergedrückt von Scham, kehrte ich langsamen Schrittes zu Aleidis zurück. Da warf ich mich wie unmächtig in einen Sessel, begann zu weinen, zu seufzen und zu rasen, wie ein Wahnsinniger. Aleidis wollte mich trösten, aber nun stieß ich auch sie zurück, und weigerte mich, mit ihr zu sprechen. Ihre Thränen machten endlich meiner Wuth ein Ende. Dann rief ich:
»Aleidis, Du hast mir gesagt, ich solle immer Dein Bruder sein. – Dieß Versprechen hast Du gebrochen. Abulfaragus ist mein Blutfeind, er wird mich noch umbringen. Eben stieß er mich noch von sich wie man einen Hund wegstößt. Eine Schwester kann den nicht lieben, der ihren Bruder so behandelt. Sie verlangt nicht nach seiner Gegenwart, sie findet seine abscheuliche Stimme nicht schön! Ich bin adeligen Blutes, Aleidis, und ich werde es nicht länger ertragen, daß ein unedler Mensch mich verhöhne und verachte; – selbst Deine Zuneigung läßt s mich den Hohn nicht mehr vergessen. – Morgen verlasse ich den Laternenhof. – Ich werde gehen auf Gottes Gnade bauend und Du wirst mich nimmer wiedersehen! Ich weiß wohl, daß mein Gehen Dich nicht sehr schmerzen wird. Du bleibst ja bei Abulfaragus, er kann Dir besser sagen, als ich:
Schöne Jungfrau, hold und rein,
Nichts hat Gott an Dir vergessen.
»O ich werde lesen lernen, ich werde es lernen. Aber dann sollen Andere meiner Stimme tauschen . . . «
»Während meiner bösen Worte senkte Aleidis das Haupt, wie unter einer großen Last; plötzlich sprang sie auf, wahrscheinlich, um mir den Mund zu schließen; aber ihre Kräfte schwanden und sie sank unmächtig zu Boden.
»Ich wollte um Hilfe rufen, aber bei Abulfaragus Erscheinen starb das Wort aus meinen Lippen; er betrachtete mich mit verächtlichem Lächeln, nahm Aleidis in seinen Arm und belebte sie wieder durch den Blick seiner Augen und verließ das Zimmer.
»Nun begann Aleidis unter bitteren Thränen mir meine Grausamkeit zu verweisen; sie sagte mir so viel zärtliche Worte und gab mir so vielfache Versicherung ihrer Zuneigung, daß ich wenige Augenblicke später sie auf meinen Knieen weinend um Vergebung bat. Wir wurden wieder gute Freunde und gelobten einander alles Geschehene zu vergessen.
»Des andern Tages kam Abulfaragus mit einem Buch in unser Gemach und setzte sich nieder, um seine Vorlesung zu beginnen. Ich sah plötzlich die Stirne Aleidis sich röthen; sie näherte sich Abulfaragus, schlug die Hand auf das Buch und riß einige Blätter heraus. Dieselben in Stücke zerfetzt auf den Boden werfend, sagte, sie mit sanfter Stimme zu Abulfaragus:
»So werde ich immer thun, wenn Du es wagst, mit Büchern in meinem Zimmer zu erscheinen. – Und nun geh hin, Ungläubiger!«
»Ein dumpfer Schrei war Abulfaragus Antwort; er warf sich mit Händen und Füßen auf den Boden, und raffte so rasch er konnte, die Stücke der zerrissenen Blätter zusammen. Ich sah zwei Thränen aus seinen Augen fallen; zweifelsohne betrauerte er den Verlust eines so kostbaren Buches. Aufstehend, floh er aus dem Gemache und rief in klagendem Tone: »Wehe, wehe!«
»Von diesem Tage an ließ Abulfaragus uns in Frieden, wir lebten glücklich und vergnügt; aber die einmal angefachte Wißbegierde verließ mich nie und ich blieb bei dem Vorsatz, lesen zu lernen, was es auch kosten möge.
»Je älter ich wurde, desto mehr entschwand die Erinnerung an den Vorfall bei dem Grabstein meinem Gedächtniß, aber aus Haß gegen Abulfaragus begann ich Alles zu versuchen, um herauszubringen, was mein unsichtbarer Wohlthäter und der Wahrsager so sorgfältig vor mir verbargen. Daß der Letztere es ahnte, konnte ich an dem glühenden Haß bemerken, den er auf mich geworfen hatte. Einst, als ich früher aufgestanden, denn meine gute Schwester Aleidis, wandelte ich neugierig an den Thüren der Zimmer vorüber, die immer für mich verschlossen blieben. Eine derselben hatte einen Spalt; auf meinen Fußspitzen stehend, blickte ich mit klopfendem Herzen in das Gemach. Da sah ich Gras Arnold, wie gelähmt, in einem Lehnsessel sitzend; sein Auge war bewegungslos nach der Wand gerichtet, an der eine schwarze Tafel hing, die mit goldenen Zeichen bemalt war; neben ihm saß Abulfaragus, in einem Buche lesend. In dem Augenblick, als ich an der Thüre erschien, hörte ich Graf Arnold sprechen:
»Du sagst, Abulfaragus, der junge Bernhard müsse das Schloß verlassen? Aber Du denkst nicht an die Verzweiflung, die Aleidis trifft, wenn man ihr den Freund der Kinderjahre nimmt?«
»Es ist eine Schlange, die Du aufziehst?« sprach der Wahrsager, »wenn er hier bleibt, entdeckt er noch das schreckliche Geheimniß und er wird das Haus Deiner Väter einer blutigen Schandthat beschuldigen.«
»Nein, nein! sprich mir nicht davon,« rief Gras Arnold. »Es gibt in diesem Schlosse nur zwei Herzen, die die Freude kennen – und Du wolltest mir diese Herzen brechen?«
»Es muß sein!« rief Abulfaragus in überredendem Tone. »Höre! . . . Diese Nacht um zwölf Uhr war der Himmel mit Sternen besät; leicht fand ich die Planeten von uns Allen. Dein Stern glänzte schwach neben dem Bernhards, und schien als halbgelöschtes Lämpchen mit Mühe hie und da noch karg aufzuflammen. Plötzlich entfernte sich Bernhards Stern von dem Deinen; doch bald sich ihm wieder nähernd, erleuchtete sich derselbe mit einem Strahlenkranze von Freude und Trost. – Dann habe ich durch die Macht meiner Kunst das Schicksal gezwungen, sich zu erklären, und nun höre, was die Stellung der Sterne mir gesagt: – Wenn Bernhard nicht Dein Haus verläßt, wird er der Ehre desselben zwei schreckliche Schläge beibringen, und den Namen Craenhove mit ewiger Schande beladen. Wenn er geht, wird er einst wiederkommen, und Dich mit Freude und Seligkeit überladen. So lautet das unerbittliche Urtheil des Schicksals!«
»O Abulfaragus, wie grausam bist Du! Wie unbarmherzig gegen meine Schwester Aleidis. Nein, eher sollen meine Leiden sich verdoppeln, als daß sie das Unglück kennen lerne!«
»Arnold,