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die Violine ab und reichte Cäcilie Günthers Hand. – »Da! Fühlen Sie selbst!«

      Cäcilie ließ Günthers Finger durch ihre Hand gleiten, schloß die Augen, zuckte leicht zusammen und sagte:

      »Sie haben recht!«

      Und Günther schwieg. Aus Furcht, die doppelte Zeit üben zu müssen.

      »Wann wird er so weit sein?« fragte Cäcilie

      »Sie meinen?« erwiderte der Maestro.

      »Nun, um öffentlich . . .«

      »Oh! ich will Ehre mit ihm einlegen!« unterbrach er sie. – »Alle Wunderkinder haben nachher enttäuscht, weil man sie zu früh herausbrachte. Aber über ihn wachʼ ich!« und er legte gütig wie ein Vater die Hand auf Günther.

      »Was meinen Sie, wenn man ihm statt zwei, dreimal in der Woche . . .«

      »Nein!«ʼ brüllte Günther.

      »Ja!!« überschrie ihn der Maestro, »dann ginge es schneller.«

      Und von dem Tage an hatte Günther dreimal wöchentlich Unterricht – zu fünf Mark die Stunde. In anderer Weise trat dies Mehr nicht in die Erscheinung. Cäcilie und Leo aber stritten sich, ob dies Künstlertum ihm von väterlicher oder mütterlicher Seite überkommen war. —

      Der jeweilige Ordinarius gab ihm Nachhilfestunden. Das Fach spielte dabei keine Rolle. Entscheidend waren die Konserven, die Qualität des Leders und der Decken, die man dank dieser Verbindung zum Engrospreis von Herrn Berndt bezog – zu zahlen vergaß und, wenn der eigene Bedarf gedeckt war, an gute Bekannte weiter verkaufte. Auf Zensur und Versetzung übte das jedenfalls seine Wirkung. Nur Günthers Kenntnisse wurden dadurch nicht erweitert.

      Da war der französische Unterricht, den Fiffi erteilte, denn doch eine andere Sache.

      Fiffi war, bevor sie die seidenen Froufrous mit dem Spreewälderkostüm vertauschte, tatsächlich mehrmals mit ihrem Chef zum Einkauf und so in Paris gewesen. Von jeder dieser kleinen Reisen brachte sie ein paar Brocken Französisch mit nach Haus, die sie als eisernen Bestand in ihren Sprachschatz aufnahm.

      Das ging bei Berndts Anspruchslosigkeit gegenüber allem, was Günther anging, eine Zeitlang. Wenn es klopfte und er auf Fiffis Wink hin »Entrez« rief oder »sʼil vous plait« sagte, wenn er bei Tisch etwas forderte, so sahen sich Leo und Cäcilie gerührt an. So etwas genügte für ein paar Wochen, dann flaute die Wirkung ab und Berndts erwarteten neue Überraschungen.

      Aber Fiffis Vorrat reichte nicht lange, und als er verbraucht und der Versuch, die alten Beziehungen zu ihrem Chef wieder aufzunehmen, gescheitert war, offenbarte sie sich Cäciliens Bruder, der nicht nur Referendar und ein netter Kerl war, sondern auch Humor hatte und schon längst zu Fiffi neigte.

      Referendar Alfred besaß Langenscheidts Sprachlehre in vierundzwanzig Lieferungen, die seit vielen Jahren unbenutzt in seinem Schranke stand. Und da er klug genug war, zu erklären, daß er sie nicht aus dem Hause gäbe, so blieb Fiffi nichts anderes übrig, als sich zu ihm zu bemühen.

      Er brachte ihr während ihres Besuchs in angenehmer Art immer nur so viel bei, wie bei Berndts bescheidenen Ansprüchen für eine Woche nötig war. Und in dem Maße, in dem mit dem Alter Günthers Aufnahmefähigkeit zunahm, nahmen auch die Beziehungen zwischen Fiffi und dem Referendar einen immer innigeren Charakter an. Denn bald reichte der wöchentliche Besuch für das, was Günther an französischer Sprache konsumierte, nicht mehr aus. Fiffi war gewissenhaft, zog die Konsequenzen und kam häufiger.

      Und als diese Beziehungen Berndts gegenüber nicht mehr zu leugnen waren, erhielt Fiffi ganz offiziell, und zwar in Gegenwart des Dienstpersonals, die Erlaubnis, Herrn Referendar Alfred, der sich angeblich für vergleichende Rechtswissenschaft interessierte und gerade mit dem Studium des Code Napoleon beschäftigt war, »zur Vervollkommnung in der französischen Sprache« Nachhilfeunterricht zu erteilen.

      Und zwar im Hause des Referendars. Denn als Cäcilie des Geredes der Leute wegen das für bedenklich hielt, warf sich Fiffi in die Brust, die sie noch von der Zeit des Spreewälderkostüms her mit besonderem Stolze trug, rief: »Honny soit, qui mal y pense« und stellte die Kabinettsfrage.

      Und Cäcilie, die nicht einzugestehen wagte, daß sie das nicht verstand, erklärte sich für überzeugt und sagte:

      »Dann allerdings. Das ist was anderes!« und erteilte die Erlaubnis.

      Daß Günther auf dem Gymnasium trotz dieser privaten Vorstudien gerade im Französischen hinter den Leistungen der Klasse zurückblieb, war für Berndts ein Rätsel, zu dessen Lösung Fiffi auf Befehl Cäcilies den Lehrer, der den französischen Unterricht erteilte, aufsuchte.

      Fiffi wußte, es ging um ihr Prestige. Sie ließ alle Künste springen. Und obgleich der Oberlehrer Sasse so gar nicht das war, was Fiffi liebte, so war das Resultat doch ein ständiger »Gedankenaustausch« zwischen beiden, der ausgezeichnete Erfolge brachte. Denn zu Michaelis ging Günther, statt mit einer Admonition im Französischen, mit dem Prädikat »gut« in die Quinta über.

      Fiffi erhielt Gehaltserhöhung.

      »Woran lag es nur?« fragte Cäcilie.

      »Sehr einfach,« erwiderte Fiffi, »Professor Sasse hatte seine Studien in Bordeaux betrieben, ich in Paris.«

      »Ja – und?«

      Fiffi war erst um die Antwort verlegen. Dann aber meinte sie:

      »Wir haben uns auf der mittleren Linie geeinigt.«

      »Dann ist ja alles gut,« sagte Cäcilie.

      Denn das hatte Fiffi längst heraus, daß Cäcilie, aus Scheu, sich zu blamieren, alles billigte, was sie nicht begriff.

      Von dieser Schwäche machte Fiffi ausgiebigen Gebrauch.

      Das eigentliche Regime im Hause aber führte Linke.

      Nach außen freilich trat das nicht in die Erscheinung. Denn Linkes wahrten die Distanz, die sie Röhrens gegenüber als etwas Natürliches empfunden hatten, auch ihrer neuen Herrschaft gegenüber. Nur, daß ihrer Ehrerbietung die Ehrfurcht fehlte und sie nicht frei von Ironie war.

      Das trat am deutlichsten zutage, als Berndts ihr erstes Diner im neuen Stil gaben, und Franz nicht nur bei der Zusammenstellung des Menus, der Auswahl der Weine und Zigarren half, sondern auch bei der Tischordnung und allen anderen Fragen des gesellschaftlichen Taktes das entscheidende Wort sprach.

      Günther lag damals noch in den Windeln und wurde zwischen der süßen Speise und dem Käse gereicht. Das heißt, nur ein paar Stühle weit. Denn seine Kunst, sich derartigen Ovationen durch Äußerungen, die beredter waren, zu entziehen, übte er schon damals mit Erfolg.

      Immerhin muß anerkannt werden, daß Berndts gelehrige Schüler waren und sich schon in wenigen Jahren ohne grobe Verstöße sicher auf dem Parkett der neuen Gesellschaft bewegten. Zwar war das nicht übermäßig glatt, und man konnte auch ruhig einmal ausrutschen, ohne darum gleich Gefahr zu laufen, daß man ausgeschlossen wurde. Jedenfalls wurden die Fälle, in denen sie Linkes Rat bedurften, immer seltener. —

      Eines Tages trat Cäciliens Bruder, der längst Assessor geworden, dabei aber doch ein netter Kerl geblieben war, vor Fiffi hin und bekannte, daß er mit einer Nichte seines Schwagers Leo verheiratet werden solle. Und er bekannte: da er finanziell von Leo abhängig, an ein gutes Leben gewöhnt und zudem nicht schuldenfrei sei, so bliebe ihm keine Wahl.

      Fiffi war weltklug und sah das ein. Auch auf die übliche Szene verzichtete sie. Die Langenscheidtsche Sprachlehre in vierundzwanzig Lieferungen, die trotz des jahrelangen Verkehrs der beiden jungen Leute kein Buchhändler für antiquarisch angesprochen hätte, wanderte in den Schrank zurück. Der Unterricht, und was mit ihm zusammenhing, hörte auf.

      Eine Woche später verlobte sich Fiffi mit dem Oberlehrer am Königlichen Wilhelmsgymnasium – Professor Sasse. Da der damals gerade Günthers Ordinarius war, so nutzte Cäcilie die Konjunktur und feierte die Verlobung in ihrem Hause. Die Rückwirkung zeigte sich zu Weihnachten. Günther erhielt eine Prämie, die nach der Zensur nicht eben   überzeugend war.

      Um diese Zeit etwa fing auch Günther an, nachzudenken und sich über seine Handlungen und

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