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von Leo weg auf das Kind zu, schlug es wütend auf die Hände und schrie:

      »Dumme Jöhre!« wandte sich zornig an Emma und rief:

      »Schämen Sie sich! So verwahrloste Kinder!«

      Frida brüllte laut.

      Emma riß ihrem Manne das Kind aus dem Arm.

      »Das verbittʼ ich mir!« rief sie Cäcilie zu. – »Sonst . . .« und sie warf drohende Blicke auf Günther.

      »Himmel!« schrie Cäcilie und stürzte auf den Stuhl zu, auf dem Günther saß.

      Als der sie kommen sah, heulte er laut.

      Sie nahm ihn hoch. Da heulte er noch lauter.

      Die beiden Mütter mit den beiden Kindern standen sich gegenüber.

      »Wehe dem, der mein Kind anrührt!« brüllte Cäcilie.

      »Und wer meinʼs anrührt . . .« schrie Emma, zitternd vor Erregung.

      Aber das Geheul der Kinder übertönte das der Mütter.

      Linkes verließen den Saal. Die Dienerschaft folgte. Berndts blieben zurück.

      »So beruhige dich doch!« sagte Leo.

      Cäcilie streichelte und drückte den von oben bis unten nassen Günther an sich.

      »Mein Prinz!« sagte sie zärtlich. »Aber deine Mutter wird dir den Pöbel schon vom Leibe halten!«

      Viertes Kapitel

      Was Günther in den ersten Jahren zu leiden hatte

      Die nächsten Lebensjahre verliefen für Günther und Frida ohne besondere Erschütterungen.

      Daß die Preise, die man für Leder, Decken und Konserven zahlte, immer weiter in die Höhe gingen, bewies der Luxus in der Berndtschen Lebensführung, die immer großartiger wurde. Für Günther wuchsen damit die Unbequemlichkeiten. Kaum hatte er sich an ein Kleidungsstück gewöhnt, so erschien Cäcilie schon wieder mit einem neuen im Arm. Wenn die braunen Kartons von den Lieferanten kamen, erfaßte Günther schon immer ein Grauen. Oft mußte er unter Fiffis Assistenz, die darin besondere Technik besaß, an einem Vormittag ein halbes Dutzend solcher Kleidchen anprobieren. Und Cäcilie fiel zu Günthers Entsetzen bei solcher Modeschau von einer Begeisterung in die andere.

      »Sieht er nicht aus wie ein Prinz!?« war der Ausruf, der immer wiederkehrte. Und Fiffi, die von Günthers zweitem Lebensjahre an wieder Zivil trug, erwiderte dann stets:

      »Gewiß! gnädige Frau! Wie aus dem Gesicht geschlossen!«

      Das hatte zwar keinen Sinn, beglückte aber Cäcilie, die dann regelmäßig die Augen schloß und bedeutungsvoll mit dem Kopfe nickte. Was sie sich dabei dachte, war nicht ersichtlich. Denn da Günther nicht nur dem Namen nach männlichen Geschlechts war, so war an solchen Aufstieg durch eine Ehe nicht zu denken. Wäre Frida Berndts Tochter gewesen – dann freilich! Aber so!

      Aber in dem Toilettenwechsel erschöpften sich die Peinigungen, denen Günther dank ʼdem Reichtum Berndts ausgesetzt war, nicht. Die modernen Sportwagen, in denen er seine Spazierfahrten machte, mochten für die Augen des Beschauers wohl ihre Reize haben. Aber derjenige, der drin saß, empfand anders. Und die Feinheit der Wagenfeder, auf die Cäcilie so stolz war, erweckte in Günther nur das ängstliche Gefühl, jeden Augenblick in die Höhe geschleudert zu werden.

      Seine Haare waren kaum greifbar lang, da stellte Fiffi täglich Versuche an, ihm eine Frisur beizubringen, die sie an ihren früheren Chef erinnerte. Die Versuche waren qualvoll für Günther und erwiesen sich als Versuche am untauglichen Objekt.

      Kam die Stunde der Ausfahrt, dann begann die Toilette, die ihren Höhepunkt darin erreichte, daß man ihm über die Händchen, die so gern frei in der Luft herumfuhren, dicke Fausthandschuhe stülpte. Überaus lästig empfand er sie und verwandte seine ganze geistige und körperliche Energie darauf, sie abzustreifen. Wohl dreißig Mal während einer Ausfahrt gelang es ihm. Aber ebenso oft zog Fiffi sie ihm mit einer Schnelligkeit, die er bestaunte, wieder auf. Und wenn er von seiner Spazierfahrt, deren Zweck es war, ihn zu erfrischen, heimkehrte, lag er erschöpft in seinen Kissen.

      Alle vierzehn Tage wurde er photographiert. Der Blödsinn, mit dem man ihm dann ein freundliches Gesicht zu entlocken suchte, brachte ihn meist zum Weinen. Die Bilder waren dementsprechend. Aber in dem Riesenalbum mit der Aufschrift »Unser Heinz-Günther« fanden sie trotzdem Aufnahme. Jeder bekam dies Album vorgelegt und mußte die Heldenlaufbahn Heinz-Günthers bestaunen. Datum der Aufnahme und erläuternder Text standen darunter. »So sah unser Bubi an dem Tage aus, als er zum ersten Male ›Adda‹ sagte« – oder »Bubi machte zum ersten Male backe, backe Kuchen«. – Damit glaubten Berndts die geistige Entwicklung ihres Sohnes festzuhalten.

      Das Schlimmste aber kam nach dem Schlafengehen. Schon wenn er gewaschen wurde, stieg ihm im Vorgefühl dessen, was ihn erwartete, der üble Geschmack auf. Er schloß den Mund und preßte die kleine Zunge wie zur Abwehr zwischen die Zähnchen. Aber es half ihm nichts. Emma hielt ihn, Fiffi öffnete gewaltsam seinen Mund und Cäcilie goß mit einem Porzellanlöffel den klebrigen Lebertran zwischen das Gehege seiner Zähne. Dann hielt man ihm noch eine ganze Weile den Mund zu, um ihn nach des Tages Qualen nachts über endlich sich selbst zu überlassen

      Wie hätte er Frida beneidet, wenn er gewußt hätte, wie friedlich und still ihr Leben dahinging. Da gab es keine Kleiderschau: der Wagen, in dem sie lag, war altmodisch schon als Paul, der Erstgeborene, darin gefahren wurde. Für Handschuhe, Lebertran und anderen Luxus hatten Linkes weder Zeit noch Geld, noch Verständnis. Wenn Frida im Tiergarten in ihrem Wagen lag, bereiteten ihr weder Handschuhe, noch die moderne Feder des Wagens Beschwerden. Sie sah mit ihren dunkelbraunen Augen zu den Bäumen und zum Himmel empor und lachte, wenn sich die Zweige im Winde bewegten und die weißen Wolken über ihr hinzogen.

      So kam es, daß sie gesündere Farbe hatte und daß man sie, im Gegensatz zu Günther, für ein freundliches Kind hielt. Dabei stopfte man nicht die teuersten Dinge in sie hinein, und sie blieb den ganzen Sommer über in Berlin, während Günther mit Berndts an die See und von der See aus ins Gebirge reiste. Da litt er mehr noch als zu Hause, da ihm Cäcilie im Konkurrenzkampf gegen andere herrschaftliche Kinder keine ruhige Stunde gönnte.

      Frida kroch inzwischen unter Pauls Aufsicht ungeniert auf allen Vieren in Berndts Garten umher, den sie, wenn die Herrschaft da war, nicht betreten durfte. Sie zupfte Gras aus, spielte im Sande und war totmüde und rabenschwarz, wenn Emma sie abends ins Haus holte.

      Als Günther und Frida sechs Jahre alt waren, schulten die Eltern sie ein. Günther kam in das Königliche Wilhelmsgymnasium, Frida in die zweiunddreißigste Gemeindeschule.

      Während Frida in der schulfreien Zeit mit ihren Geschwistern im Tiergarten herumspielte und sich ihre Freundinnen nach eigenem Geschmack wählte, promenierte Günther an der Seite Fiffis, die sich gegen hohes Gehalt zur typischen Gouvernante entwickelt hatte, im Garten der Berndtschen Tiergartenvilla und pflegt Umgang mit Kindern, die Cäcilie hierzu für geeignet erklärte.

      Günthers Geschmack traf sie dabei selten. Sie traf die Auswahl nach der sozialen Stellung und Vermögenslage der Eltern, Dinge, für die Günther keinerlei Verständnis hatte.

      Ebensowenig reagierte er auf Musik, was wohl die Folge der zahllosen mechanischen Musikinstrumente war, mit denen man ihn in den ersten Jahren seines Lebens gepeinigt hatte. Er stand daher seiner Violine durchaus feindlich gegenüber.

      Zweimal in der Woche erschien ein glattrasierter Maestro mit einer Riesenmähne, der auf den Namen Santo Bre hörte, und der ihn, für fünf Mark die Stunde, in die Geheimnisse der Violinkunst einzuweihen suchte. Indes vergebens!

      »Barbar!« schalt er Günther und klopfte ihm mit dem Violinbogen auf die Finger. »Es ist eine Sünde, dir das heilige Instrument in die Hand zu geben. Steine sollten sie klopfen, diese seelenlosen Hände!«

      So sprach der Glattrasierte zu Günther – und er sprach die Wahrheit.

      Wenn aber Cäcilie während des Unterrichts hereinkam, um sich nach den Fortschritten ihres Lieblings zu erkundigen, dann warf er den Kopf zurück, daß die Künstlermähne in hellem Aufruhr in die Höhe fuhr, rieb die

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