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die hinter den klirrenden Fenstern lauschten, Eiskörner über den Rücken jagte. Einen Augenblick lang staute sich alles. Dann drängte man mit verdoppelter Wut und Anstrengung vorwärts.

      »Der Laden!« schoß es Spreemann beim Trompetenstoß durch den verängstigten Kopf. Der Laden mit der ganzen Sommersäson im Lagerraum. Wenn sie ihn plünderten. Wenn sie ihn stürmten.

      Mamsell Lieschen flatterte im Zimmer herum, wie ein Huhn ohne Kopf. Sie sah das Blut aus Herrn Spreemanns Zehe quillen, sie hörte das furchtbare Geheule, sah den Lehrling und den »jungen Mann« unter die Räuber gehen, hörte Militärgetrappel, Signale, Pfiffe. Jetzt begannen auch alle Glocken zu läuten. Sie wußte nicht ein, noch aus.

      Als Herr Spreemann: »Der Laden, der Laden!« schrie, stürzte sie in gewohntem Diensteifer hinaus. In ihrer Todesangst vergaß sie Angst zu haben.

      Sie drückte sich zwischen die tobend Vorwärtseilenden und legte mit zitternden Händen, ohne zu wissen, daß sie's tat, die schweren Holzplanken vor die Ladentür. Noch ein kurzer Augenblick und auch die schweren Eisenstangen fielen schützend vor Herrn Spreenarms Sommersäson. Keinen der wahnwitzig Erregten, hatte die schmale Gestalt im waisengrauen Hauskleid gestört. Gerade als ein Schuß fiel, keuchte Mamsell Lieschen ins Haus zurück. Die Tür schlug zu. Sie war gesichert.

      Über das Treppengeländer beugte sich Herr Kreisrat. Im Schlafrock, die runde, samtne Hausmütze auf dem Kopf, aber die Pfeife erloschen zwischen den blassen Lippen.

      »Die Haustür fest verriegelt, Mamsell Lieschen?« flüsterte er fragend. »Nicht besser, noch einmal nachzusehen?«

      »Ich muß hinauf, Herr Spreemann blutet,« schrie Lieschen in zappelnder Erregung.

      »Blutet – woher – wieso – im Laden – in der Wohnung – verwundet von wem?«

      Herr Kreisrat flüsterte es erregt und schaudernd.

      »Von Herrn Hirschhorn, in demselben Augenblick, als die Horde über den Platz kam,« stieß Mamsell Lieschen eilig hervor und sprang atemlos die Stufen hinauf.

      »Ich sage ja, die Juden, die Juden. Sie sind bei allen Schlächtereien die ersten.«

      Empört raffte Herr Kreisrat den langen Schlafrock und eilte so schnell es die lose sitzenden Pantoffel erlaubten die Treppe zurück.

      Das mußte Frau Kreisrat, die mit Weinkrämpfen auf dem Sofa lag, so schnell als möglich erfahren.

      Die Türen klappten. Oben und unten. Die Riegel schnappten vor. Unten und oben. Man war geborgen.

      Herr Spreemann starrte immer noch hinter der Gardine in den kreischenden, brüllenden Haufen. Ein schmaler Blutstrom rann von seiner kleinen Zehe ins Zimmer.

      »Sie kennen ins sichre Verderben. Sie opfern ihr Leben, als wenn es nichts wert wäre,« murmelte er und wußte nicht, daß auf seinem Gesicht der große Respekt lag, der sich bei ganz besonders guten Kunden doch in seine Mienen zu schleichen pflegte. Nur, daß er jetzt nicht lächelte.

      »Denken Sie vor allen Dingen an Ihr eignes teures Leben,« rief Mamsell Lieschen aufschluchzend. Und kam mit Pflaster, Arnikawasser und Leinwandstreifen.

      Als Herr Spreemann im Lehnstuhl saß, den Fuß gekühlt und verbunden, fühlte er sich ruhiger werden.

      Mamsell Lieschen hatte die Holzladen vor die Fenster gelegt, das dämpfte den Lärm ein wenig.

      Die Menge schien weiterzueilen. Allmählich wurde es ruhiger vor den Fenstern. Nur aus der Ferne klang Trommelwirbel und Geschrei.

      Lieschen zündete die Öllampe an. Der helle, ruhige Schein gab neuen Mut.

      »Wenn ich an die Funzellampen denke, die man in meiner Kindheit brannte,« sagte Herr Spreemann, der nachdenklich in die freundliche Helle blickte. »Man hat es doch wirklich gut, jetzt in der Neuzeit. Ich weiß nicht, warum die Leute immer und immer unzufrieden sind.« Er seufzte. Mamsell Lieschen stand unschlüssig im Zimmer. Zu setzen wagte sie sich nicht. Aber draußen allein zu sein fürchtete sie sich.

      Herr Spreemann schien auch nicht allein bleiben zu wollen.

      »Wo meine Verwandten heute sein mögen,« fing er wieder das Gespräch an.

      »Gott schütze sie alle,« antwortete Mamsell Lieschen demütig.

      Und dann fragte sie, ob sie vielleicht den Abendtisch hier aufdecken sollte.

      Herr Spreemann kam in Verlegenheit. Appetit hatte er nicht. Im Gegenteil. Aber er wollte jemanden um sich haben.

      Er zog eine Weile schweigend an seiner Pfeife. Dann sagte er: »Sie können mir kühlende Umschläge auf meinen Fuß machen, Mamsell. Alle fünf Minuten einen andern.« Wieder hatte er das Richtige gefunden. Beiden war geholfen.

      Auch in der Familie des Herrn Kreisrat schien man wieder im Gleichgewicht zu sein. Sanfte Klaviermusik tönte herunter. Die beiden Töchterchen spielten vierhändig und genau im Takt das hübsche Lied von dem guten Monde, der so stille durch die Abendwolken zieht.

      Mamsell Lieschen summte es leise mit. So friedlich hätte alles sein können.

      Aber da – Herr Spreemann horchte auf – von neuem wälzte sich das Grauenhafte näher.

      »Wenn sie nur nicht die Stadt in Brand setzen,« ächzte Mamsell Lieschen, die wieder ins Flattern gekommen war.

      »Die Berliner stecken ihr Berlin nicht an,« sagte Spreemann fest.

      Wieder klirrten die Fensterscheiben.

      Herr Spreemann löschte die Lampe und öffnete die Fensterladen um einen schmalen Spalt.

      Man trug schon Verwundete zwischen sich.

      Mamsell Lieschen schluchzte auf.

      Aus Spreemanns Augen tropfte es. Er hätte gern den Arm um Lieschens Schulter gelegt. Er spürte etwas Sonderbares – weiche, schmerzliche Wünsche, wie er sie seit seiner Kindheit nicht mehr gekannt hatte. – Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit . . .

      Da zeigte jemand aus der Menge auf den gemalten Herrn auf Spreemanns Firmenschild. Die einzige Laterne, die am gurgelnden Rinnstein brannte, warf ihren matten Schein auf seine Beinkleider, schick und kariert. Gelächter erscholl. Ein Haufen Steine hagelte gegen das Schild. Man hörte es splittern. Dann stürmte man weiter.

      Herr Spreemann atmete auf. Nun hatte auch er seinen Tribut gezahlt. Er untersagte Mamsell Lieschen das Jammern über diesen Vorfall. Der Lärm verhallte. Das rasende Gebrüll dämpfte sich zu dem befriedigten Geknurr des gesättigten Tieres.

      In den Zimmern flammten wieder die Lampen auf. Alles wurde still.

      Herr Spreemann gähnte. Die Spannung ließ nach. Er blinzelte nach seinem hohen Federbett. Zum erstenmal in seinem Leben begriff er, daß die Ehe ihre guten Seiten haben konnte. Wenn da noch so ein Bett im Zimmer stände, hätte man es wagen können, unter das hohe Deckbett zu kriechen . . .

      So aber blieb er im Lehnstuhl und ließ sich weiter die Zehe kühlen.

      Bis draußen ein Hahn krähte. Wahrhaftig, über den Dächern dämmerte der erste Morgenschein.

      Eilig verabschiedete Herr Spreemann Mamsell Lieschen. Wenige Augenblicke später lag er im Bett.

      Nötiger, als daß man weiß, was die andern wollen, ist zu wissen, was man selbst will.

      Viertes Kapitel

      Mamsell Schmidt hatte nur eine kurze Stunde zu schlummern gewagt. Als die Sonne richtig am Himmel stand, war auch sie wieder am gewohnten Werk. Leise öffnete sie die Fenster des Wohnzimmers und spähte hinaus. Das Firmenschild hing schief. Zerbrochen aber schien es nicht. Platz und Straße waren leer und still. Alle Arbeit schien zu ruhen. Lautlos lag die Stadt im neuen Morgenrot. Nur aus den Schornsteinen stieg ein leichter Rauch und verriet, daß Leben in den Häusern war. Die Sonne war ebenso blutig zurückgekommen, wie sie gegangen war. Aber nun war es Tag. Mamsell Lieschen erschauerte nicht. Sie sah noch zu, wie drüben auf dem Dach des Eckhauses der alte Herr Jung mit einer weißen Fahne seine Tauben zu einem Morgenflug anregte, dann ging sie an ihre Arbeit. Auf leisen Filzschuhen räumte, reinigte und heizte sie.

      Herrn Spreemanns

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