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muß.

      Friedrich Spreemann war damals Bräutigam gewesen, aber niemals hätte er früher geheiratet, als bis der Herr Napoleon wieder nach Haus gezogen war.

      Denn diese fremden Soldaten hatten im Liebeshandel einen großen Kredit bei den Jungfern. Wär es nach den Mädchen gegangen, hätte Preußisch-Berlin bald kapituliert. Das war ein Gekicher, wenn die Herren Franzosen ihre raschen Kompliments machten. Man verstand nur wenig davon. Aber soviel merkten die schlauen Jüngferchen doch, daß sich's in dieser beweglichen Sprache dreimal so geschwind schwatzen ließ als im reellen, gediegenen Deutsch. Das gefiel den Plappermäulern natürlich.

      Gefallen aber ist gegenseitig.

      Die Beauté ist Internationale, sagte der spitzbärtige Hauptmann, wenn er die Mädchen küßte.

      Nein, das war keine Konkurrenz für einen soliden Geschäftsmann.

      Ehe muß auf sichern Grund gebaut sein. Erst als Friede im Land war und die Straßen wieder dem Preußen allein gehörten, hatte sich Friedrich seine Weggenossin geholt. Sie diente auf einer Ackerwirtschaft und war das Leben im Freien gewohnt. Sie hatte versprochen, sich weder vor Wind noch Wetter zu fürchten. Besonders nicht an der Seite ihres Fritz. Liebe, Lebensmut und Gesundheit waren ihr Brautschatz gewesen.

      Aber als ein Ehejahr herum war, hatte sie dazu als erstes greifbares Besitztum den kleinen Klaus erhalten. In der Nikolaikirche war er mit Spreewasser getauft worden. In einer alten zerschossenen Pferdedecke des großen russischen Reichs gewickelt, ward er dem Schutzpatron des Handels, dem heiligen Nikolai, in besondere Obhut gegeben . . .

      Er konnte einen Schutzpatron gebrauchen. Denn die Mutter sollte er nicht behalten. In der Ehe geht mancher Brautschatz verloren. Berthas hatte nur ausgereicht, bis der kleine Klaus laufen und sprechen konnte. Derselbe Winter, der ganz Preußen die große Freiheit brachte, hatte auch sie von allen Lasten befreit.

      Auf schief gelaufenen Hacken war Spreemann hinter ihrer Bahre hergerannt. Es ging im Trab. Berlin erwartete die Rückkehr seiner Sieger. Fahnen, Bänder und Banner wimpelten. Festlich gekleidete Menschen füllten die Straßen. Die Träger waren von einer Seitengasse in die andere geeilt, um nicht mit ihrer schweren Bürde zu stören. Aber man war überall im Wege.

      Spreemann hatte niemandem übelgenommen, daß man für seinen Schmerz keinen Platz hatte. Wer auf der Landstraße lebt, weiß, daß jeder an sich selbst denken muß. Und schon auf dem Rückweg vom Kirchhof hatte er wieder sein Warenlager auf der Schulter.

      Auch neue Sieger konnten alte Kleider gebrauchen.

      Zweites Kapitel

      Manches aus dieser längst vergangenen Zeit spukte noch in Klaus' Erinnerung. Fetzen ohne Zusammenhang, die aus Erzählungen des Vaters übriggeblieben waren. Er selbst besann sich erst auf die Zeit, die er bei der Latrinen-Jule verbrachte. Diese lange, hagere Frau, die Mutterstelle an ihm vertrat, bis die Landstraße sein Heim wurde. Sie stand im festen Solde der Stadt Berlin. Sie übte das nützliche Amt aus, das man jetzt den finsteren Röhren der Kanalisation überläßt. Sie trug das irdischste der Menschen aus der Stadt hinaus auf die Felder. Kein Wunder, daß sie nicht nach Flieder roch. Und Unrecht, daß man seinen Spott mit ihr trieb. Aber man tat's. Obwohl es Beamtenbeleidigung war.

      Wenn am Abend alle miteinander durchs Tor der Herberge drängten, kehrte auch Jule heim. Denn sie erfüllte ihren Beruf unter dem Schleier der Dämmerung.

      Kaum aber, daß sie zur Tür hineingeschwenkt war, hagelte Gespött auf sie. Man lobte ihr feines Parfüm oder fragte, ob sie auch nichts von der köstlichen Ware, die ihr anvertraut worden, beiseite geschmuggelt hätte.

      Aber auch sie war aus Berlin. Sie verstand zu antworten. Sie rief, daß sie alle zusammen das Maul halten sollten. Der Mist sei am ganzen Leben das Wichtigste. Und sie würden sich tüchtig wundern, wenn's einmal alle damit wär.

      Denn Jule war eine gebildete Frau, die von der Landwirtschaft etwas verstand.

      Sie also wandte den Rest ihrer verkümmerten Gefühle dem kleinen Klaus Spreemann zu. Besser etwas, als gar nichts. Das konnten beide voneinander sagen. Klaus bekam zweimal am Tage eine warme Suppe und spielte dafür geduldig mit alten Knöpfen. Und Jule war froh, nicht allein zu sein. Sie hatte sich seit langem ein Hündchen gewünscht. Das war etwas Ähnliches . . .

      In der Herberge aber wurden die Leute nicht alt. Eines Tages war's vorbei mit der Jule. Es war der gewohnte Winterschnupfen gewesen. Von dem sie zu sagen pflegte, daß er drei Tage komme, drei Tage stehe und drei Tage gehe. Wohl fünfzigmal hatte sie recht behalten mit dieser Diagnose. Aber diesmal kam's anders. Nicht der Schnupfen ging, sondern die Jule. Doch ehe sie ihre übernommene Mutterpflicht aufgab, steckte sie dem Vater Spreemann ein kleines, schmieriges Säckchen zu. Einige sorgsam versteckte Groschen klirrten erschreckt darin auf. Für Klaus sollten sie sein. Begraben konnte die Stadt Berlin ihre treue Beamtin. Dienst gegen Dienst. Dreimal benieste Jule noch diese Wahrheit. Dann war sie ihres Berufs und allen Gespöttes enthoben. Sie sah zufriedener aus als je im Leben. Klaus' Vater aber steckte das Groschensäckchen tief in den Stiefelschaft und wunderte sich, daß selbst am einfachsten Geld kein schlechter Geruch bleibt . . .

      Von dieser Stunde an wanderte Klaus mit dem Vater mit. Sein sehnlichster Wunsch war, ebensoviel aufbuckeln zu können wie dieser. Ein dickes Bündel unter dem linken Arm, ein gleiches auf der linken Schulter, das schwerste aber in der rechten Hand. Bald konnte er's. Schwer beladen hielt er Schritt, in faltigen Hosen und einem alten Männerrock. Die Stiefel so weit und groß, daß die Füße darin immer noch einen Schritt allein für sich machten. Trotzdem sie doch reichlich genug zu laufen bekamen. Seit dem Tod der Mutter hatte Klaus keine Kleider mehr getragen, die für ihn selbst bestimmt waren.

      Begreiflich, daß er manchmal mit sämtlichen Packen halt machte, wenn er einen Altersgefährten in neuen Kleidern sah; daß er weit hinter dem Vater zurückbleiben konnte, um mit weitaufgerissenen Augen zuzustarren, wie ein Dickbauchiger, der des Vaters Angebot ärgerlich abgewinkt hatte, seinem Hunde ein großes, richtiges Fleischstück zuwarf.

      Ja reich mußte man sein. Reich. Die Reichen waren die Starken.

      Und des Abends, wenn Vater und Sohn den Stadttoren zueilten und rings in den dunklen Wiesen die Kobolde kauerten, träumte Klaus, daß er schon solch ein reicher Mann sei. Der im Sommer im Schatten sitzen und süße Getränke gegen den quälenden Durst trinken konnte. Der im Winter durch die Scheiben der warmen Stuben die Schneeflocken zählte. Der sogar seinen Hund mit gebratenem Fleisch futtern konnte, das manche Jungen nicht einmal Sonntags bekamen.

      Und blinkten die ersten Lampen auf, war die Wirklichkeit wieder da, sagte Klaus sich's immer aufs neue: Reich muß man sein. Reich. –

      Dieser zähe Wunsch war sein erstes Kapital, das ihm Zinsen brachte wie jedes Vermögen.

      Erstaunlich schnell begriff Klaus die alten Hosen und Jacken so vorzulegen, daß Flicke und Risse auf der andern Seite waren. Verstand er mehr zu verlangen, als selbst der Vater als Bezahlung wünschte. Lernte er, daß Kunden angelächelt sein wollten, gleichviel ob man fror oder schwitzte.

      In den ersten Jahren seines Umherwanderns sprach man noch viel vom Krieg. In den Schilderungen von Raub- und Beutezügen hockte der Neid über das rasche Soldatenglück. Klaus wünschte sich neue Kriege. Er wollte Soldat werden. Gewiß, es würde Gefahr geben, aber auch ebensoviel Wege zu Geld und zu Glück.

      Wenn er dergleichen dachte, machten seine Beine so große Schritte, daß sie den humpelnden Füßen des Vaters lange vorauskamen.

      Aber es wurde nicht wieder Krieg.

      Es kamen bessere Zeiten für die Berliner. Gute Tage. Sehr gute Jahre. Aus der Ruhe des Friedens hob sich der Wohlstand. Auf blutgedüngtem Boden wogte Erntesegen.

      Neue Zeiten – neue Kleider.

      Mancher, der nie eine neue Jacke getragen, konnte sich, wenn's ihm gefiel, jetzt zwei auf einmal anmessen lassen.

      Viele, die jeden Lumpenfetzen verkauften, um einen Sechser in die leere Tasche zu kriegen, erinnerten sich gar nicht mehr, je dergleichen Handel getrieben zu haben, und klapperten mit Geld im gut gefütterten Rock.

      Friedrich Spreemanns Geschäft war gehemmt.

      »Die

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