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eben gehörte noch einmal sagen.

      Spreemann merkte nichts davon; denn er gab dem Lehrling Auftrag, Kuchen mit Schlagsahne zu holen und Mamsell Lieschen mitzuteilen, daß man Kaffeegäste habe.

      Als Spreemann die Damen nach oben begleiten wollte, kamen die ersten Kundinnen dieses Tages. Es waren zwei Milchfrauen, denen gestern die großen Schutenhüte abhanden gekommen waren.

      Madame Ziehlke und Karoline gingen allein hinauf, was ihnen nicht ungelegen kam; denn sie wollten diese Mamsell da ein wenig aufs Korn nehmen.

      Lieschen hatte einen ungeheuren Respekt vor Herrn Spreemanns Verwandtschaft. In demütiger Zuvorkommenheit befreite sie Madame Ziehlke von Samt und Pelz, nahm der Tante Karoline ihren leicht wiegenden Umhang ab, dann eilte sie davon, um den Kaffee zu bringen.

      Als sie die dickbauchige Kanne auf den Tisch setzte, meldete sich der Lehrling und berichtete, daß der Herr Konditor sagen lasse, daß es heute keinen frischgebackenen Kuchen gebe und daß die süße Sahne heute sauer sei.

      Um des Lehrlings Mund lag bei der Erledigung dieser Bestellung etwas, das im Kontakt stand mit der Kokarde in seiner Tasche. Aber die Damen hatten keine Gelegenheit, dies zu beobachten.

      »Das sind doch ganz ungeheuerliche Zeiten, in denen wir leben,« sagte Tante Karoline. »Am hellichten Tage kein Krümchen Streuselkuchen in ganz Berlin.«

      »Ach, es ist zu verstehen,« sagte da unglücklicherweise Mamsell Lieschen. »Nach solcher Nacht.«

      »Ja, alles Gesindel hat sich diese furchtbaren Stunden zunutze gemacht,« sagte Tante Karoline und maß Mamsell Schmidt von oben bis unten.

      Lieschen merkte, daß man ihr böse war, und weil sie keinen Grund dafür wußte und heute ohnehin zum Weinen geneigt war, holte sie ihr weißes Taschentuch hervor.

      »Ich habe nichts Unpassendes getan,« sagte sie und drehte ihre kurze, bescheidene Nase im Tuch herum.

      Tante Karoline sagte, daß sie nichts Näheres über diese heikle Angelegenheit zu erfahren wünsche und sie nur ihren armen, unschuldigen Neffen bedaure. Und dann fügte sie hinzu, ob man nicht wenigstens ein Stück Brot mit Butter zum Kaffee bekommen könne.

      In schnellem Gehorsam eilte Mamsell Lieschen davon.

      Madame Ziehlke war von Lieschens Tränen bewegt worden. Sie teilte nicht mehr Karolinens Argwohn und sagte es ihr auch.

      »Wer ist heute nicht müde,« sagte sie. »Auch ich kann meine Arme kaum heben.«

      »Warum sagst du denn immer Arme?« antwortete Karoline gereizt.

      »Nun, weil es doch zwei sind,« antwortete Madame Ziehlke, nun auch aus ihrer Ruhe gebracht. Diese magere Person konnte wirklich den freundlichsten Menschen in Wut bringen. Madame Ziehlke hatte gerade etwas in diesem Sinne auf der Zunge, als Mamsell Schmidt hereingestürzt kam und voll Erregung ausrief:

      »Ruhe ist die erste Bürgerpflicht.«

      Und dann in bebender Eile erklärte, daß man drüben, an der Hausecke, ein Manifest des Königs angeschlagen habe, worauf man vom Schlafzimmerfenster des Herrn Spreemann deutlich lesen könne, daß Ruhe die erste Bürgerpflicht sei.

      »Aha, das sollte gewiß schon gestern fertig sein,« sagte Madame Ziehlke und trank befriedigt den Rest des guten Kaffees aus.

      »Ich weiß nicht, was Sie immer in Herrn Spreemanns Schlafzimmer zu suchen haben,« sagte dagegen Tante Karoline, die aufgestanden war. »Man kann die Manifeste des Königs wohl auch von anderswo lesen, scheint mir.«

      Sie nahm sich selbst den Umhang um; denn sie wollte nun rasch nach Haus. Sie verstand nicht viel von Politik und fürchtete neue Aufregungen durch Mariechen und den Herrn Sekretär.

      Auch Madame Ziehlke ging. Die Dämmerung nahte, und man konnte nicht wissen, was geschah.

      Erregende äußere Vorgänge hemmen die Innenpolitik. Beide Tanten vergaßen, ihrem lieben Neffen Lebewohl zu sagen.

      Spreemann hatte sich mit seinen Kundinnen ein wenig verschwatzt. Man hatte auch hier des Königs Aufruf erörtert, wovon ein Abdruck gerade neben Spreemanns Ladentür geklebt worden war. Spreemann sah darin eine Auszeichnung. Sein Selbstbewußtsein hob sich, als er sich darauf als »Lieber Berliner« angeredet sah. Familiäre Fäden zogen sich vom Dönhoffplatz nach dem Schloß.

      Darüber hätte Spreemann auch mit seiner engeren Verwandtschaft gern einige Worte ausgetauscht. Er war sehr erstaunt, niemanden mehr am Kaffeetisch zu finden.

      »Etwas Unangenehmes?« fragte er; denn er hatte wohl bemerkt, daß Mamsell Schmidt bei seinem Kommen rasch die Nase aus dem Taschentuch geholt hatte.

      »Nicht daß ich wüßte,« antwortete die Mamsell und stopfte das nasse Schnupftuch in die Tasche. Aber sie konnte doch nicht hindern, daß ein letzter Schluchzer aus ihrem unruhigen Gemüt in das stille, behagliche Zimmer sprang.

      »Was ist das? Sind Sie krank?« fragte Spreemann und bedachte im gleichen Augenblick, daß dies sowohl Kosten, wie Störung mit sich bringen würde.

      Lieschen schüttelte den Kopf.

      Spreemann dachte nach. Einen Todesfall in der Familie konnte sie auch nicht zu beklagen haben, da sie allein in der Welt stand. Er hatte dies stets besonders an ihr geschätzt. Seine früheren Wirtschafterinnen benötigten beständig Urlaub zu Begräbnissen oder Taufen.

      Lieschen schluchzte weiter. Gedämpft und ruckweise, wie ein Kind, das in der Ecke steht. Spreemann sog an seiner Pfeife.

      »Ist es der Laubfrosch?« fragte er vorsichtig.

      Lieschen schüttelte den Kopf.

      »Oder der arme Herr Hirschhorn?«

      Lieschen verneinte.

      »Überhaupt so das Unglück im allgemeinen?«

      Jetzt antwortete Lieschen, daß sie doch Herrn Spreemann gesund und munter vor sich sähe und es somit eine Sünde sein würde, über fremdes Unglück zu weinen.

      Und der Sprache nun wieder habhaft, stotterte sie weiter hervor, daß Madame Karoline sie nicht für wert befunden habe, sich den Umhang von ihr zureichen zu lassen.

      »Woran haben Sie es fehlen lassen?« fragte Spreemann.

      Lieschen stieß ruckweise hervor, daß Madame Karoline – der Meinung zu sein scheine – daß sie – Mamselle Schmidt – in der verflossenen Unglücksnacht – nicht ihre Pflicht erfüllt habe.

      »Und dabei ist die Zehe doch geheilt,« sagte sie zum Schluß, das Gesicht vergraben in dem durchweichten Tuch.

      Spreemann räusperte sich und stand auf.

      Er hatte Tante Karoline besser verstanden.

      Er fand es plötzlich sehr warm im Zimmer. Schwül. Unangenehm.

      »Öffnen Sie das Fenster, Mamsell Schmidt,« befahl er.

      Voll Diensteifer gehorchte Lieschen. Als sie auf den Stuhl stieg, um den oberen Riegel zu öffnen, fiel es Spreemann zum erstenmal auf, daß auch mit ihr viel Rundliches verbunden war. Er war erstaunt.

      Als Lieschen mit bescheidenem Sprung wieder auf dem Teppich stand, sagte er:

      »Ich bin nicht unzufrieden mit Ihnen, das genügt.«

      Lieschens Tränen waren getrocknet. Mit dankbarem Blick fragte sie, ob sie Herrn Spreemann zum Abend Radieschen vorsetzen dürfe, die schon gestern geputzt wären.

      Herr Spreemann genehmigte es, und jeder ging an seine Arbeit.

      Lieschen hatte sich den ganzen Tag über noch nicht aus dem Hause gewagt, aber nun war der Wasservorrat zu Ende. Sie mußte auf den Hof hinunter, da half nichts. Kaum, daß sie unten mit den Eimern klapperte, kam Kreisrats Anna dazu.

      Sie sah ebenso verweint aus wie Mamsell Lieschen.

      »Haben Sie auch einen dabei?« fragte sie und schneuzte die Nase am rotwollenen Ärmel entlang.

      »Wo?« fragte Mamsell Lieschen und zog mit aller Kraft die Eimer in die Höhe.

      »Bei den Soldaten natürlich. Alle müssen sie mit Wrangeln

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